„Unsere Initiative kann nicht allen ehemaligen Zwangsarbeitern helfen, aber zu diesen alten Menschen haben wir seit Jahren intensive Kontakte und bemühen uns, sie in ihrer schweren sozialen Lage zu zu unterstützen“, sagt Hana Pfalzova. Seit 2003 kümmert sich die 34jährige als Betreuerin eines in Bayern einmaligen Hilfsprojekts um ehemalige NS-Zwangsarbeiterinnen und KZ-Häftlinge auf der Krim. Über 16.000 NS-Opfer leben heute auf der ukrainischen Halbinsel. 180 von ihnen kennt Hana Pfalzova persönlich.
Im Rahmen einer Initiative unter Federführung von pax christi arbeitet sie mit dem NS-Opferverein in Simferopol (Hauptstadt der Krim) zusammen. Bis zu drei Mal im Jahr kommt sie auf die Krim, um den alten Menschen Geld für medizinische Behandlung und Medikamente vorbei zu bringen. Die meisten von ihnen sind Frauen. Sie wurden ab 1942 in Vieh- und Güterwaggons nach Deutschland deportiert und hier als Zwangsarbeiterinnen ausgebeutet. Viele von ihnen kamen später ins KZ Ravensbrück. Sie waren damals zwischen 15 und 21 Jahre alt.
1944 waren in Deutschland fast sechs Millionen Zwangsarbeiter registriert, 18.000 davon in Regensburg. Eine von ihnen ist Efrosinja Kirienko (im Bild mit Hana Pfalzova). Sie wurde 1944 verhaftet und sollte unmittelbar deportiert werden. Als Efrosinja sich weigerte, weil sie zu Hause zwei kleine Töchter hatte, wurde sie brutal zusammengeschlagen und zum Hafen geschleppt. Bis zu ihrem Tod im Juli 2008 war sie deshalb auf einem Ohr taub. Nur weil ein Sturm die Abfahrt verzögerte, wurde Efrosinja erlaubt, ihre beiden Kinder zu holen. Zusammen wurden sie am 1. Mai 1944 über Rumänien nach Deutschland verschleppt. Hier musste die damals 25jährige bei der Waffenschmiede Messerschmidt in der Prüfeninger Straße arbeiten.
„Egal ob in der Landwirtschaft oder in der Rüstung, die Menschen aus den besetzten Ländern wurden zu reinen Arbeitskräften deklassiert und als Menschen zweiter Klasse behandelt“, erzählt Hana Pfalzova. Nur selten hat sie in ihren vielen Gesprächen mit den Frauen auf der Krim davon gehört, dass sie gut behandelt worden wären.
Nach dem Ende des Krieges wurden die ehemalige Zwangsarbeiterinnen ein zweites Mal bestraft. Sofern sie ihre Verschleppung nicht verheimlichten, wurde ihnen vorgeworfen, für die Deutschen gearbeitet zu haben. Viele von ihnen wurden wegen Hochverrats verurteilt und in sowjetische Arbeitslager geschickt. Sie bekamen nur extrem schlechte Arbeitsplätze, durften ihre Ausbildungen nicht abschließen und ihre Kinder durften nicht studieren. Bis zu den Gorbatschow-Reformen bekamen sie eine deutlich niedrigere Rente als andere Angehörige ihrer Jahrgänge. „Sie litten ihr ganzes Leben darunter, dass sie in ihrer Kindheit oder Jugend nach Deutschland verschleppt wurden.“
Info: „Medizinische Hilfe für NS-Opfer auf der Krim“Das Projekt Medizinische Hilfe wurde im April 2006 von pax christi Regensburg gestartet. Initiiert wurde es 2003 von der „Arbeitsgemeinschaft für ehemalige ZwangsarbeiterInnen im Evangelischen Bildungswerk e.V.“. Mittlerweile besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Opferverband in Simferopol, über den 180 ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unterstützt werden. 108 Personen sind älter als 75 Jahre. Alle drei Monate erhalten sie Pakete mit haltbaren Lebensmitteln. Seit 2003 wurden 22.000 Euro verteilt, vor allem für Medikamente und medizinische Behandlung. Das Geld stammt zum übergroßen Teil aus Spenden (Spendenkonto: pax christi, Liga Bank Regensburg, BLZ 75090300, Kontonummer 101167464, Betreff: Medizinische Hilfe – Krim).
Auch jetzt im Alter. Die symbolischen Entschädigungszahlungen (3.000 bis 6.000 D-Mark für Zwangsarbeiterinnen, maximal 15.000 D-Mark für KZ-Häftlinge), die die Frauen erhalten haben, sind längst aufgebraucht. Weil es in der Ukraine keine Krankenversicherung gibt können sich die meisten alten Menschen keine medizinische Behandlung leisten; die durchschnittliche Rente beträgt 80 Euro.
Die weltweite Wirtschaftskrise hat dieses Problem noch verschärft. Hana Pfalzova war im März dieses Jahres zum letzten Mal auf der Krim und beschreibt die Situation als dramatisch. „Seit dem vergangenen Jahr haben sich die Preise verdoppelt. Es gibt Massenentlassungen oder der Lohn wird seit einem halben Jahr nicht mehr bezahlt.“ Damit können auch die Kinder ihre Eltern häufig nicht mehr unterstützen.
Der Simferopoler NS-Opferverband ist für 180 Menschen der einzige Rettungsanker. Mehrmals im Jahr besucht Hana Pfalzova die betagten Frauen – zu Hause oder im Krankenhaus –, übergibt ihnen persönlich das Geld für dringende medizinische Behandlungen oder Medikamente, nimmt sich Zeit für lange Gespräche. „Besonders die alten Menschen, die außerhalb der Hauptstadt wohnen, sind mir ans Herz gewachsen“, sagt sie. Manche von ihnen wohnen in kleinen Dörfern in den Bergen, die im Winter kaum zugänglich sind. Andere leben in kleinen Ortschaften in der Steppe, die nur drei Mal die Woche mit dem Bus angefahren werden.
Doch nicht nur finanziell, auch menschlich kommt die Unterstützung an. Hana Pfalzova bekommt regelmäßig Briefe von der Krim, die nicht nur Dankbarkeit, sondern auch ein Stück Versöhnung mit dem Land ihrer Peiniger widerspiegeln.
Eine Gruppe ehemaliger KZ-Häftlinge schrieb im Januar 2007: „Vielen Dank, dass Sie die Spenden für medizinische Hilfe bestimmt haben. Es ist uns eine große Hilfe. Es ist auch sehr schön, wenn Hanka zu uns kommt, es ist wie ein Fest für uns. Sie verteilte auch diesmal Geld und sie vergaß kein einziges Mitglied in Jalta und interessierte sich für jeden persönlich. Am 29. Dezember bereiteten wir gemeinsam ein Mittagessen vor und aßen alle zusammen. Es war ein sehr schönes Fest, als ob wir eine große Familie wären. Auch die sonst traurigen alten Frauen strahlten diesmal. Die Begegnung und die Gespräche mit ihrer Vertreterin weckten in ihnen wieder Interesse. Glauben Sie, es war nicht unbedingt das Geld, was ihre Augen zum Strahlen brachte.“
Im Rahmen der Initiative kam es zu unzähligen Begegnungen zwischen NS-Opfern und Hana Pfalzova. Während ihrer zahlreichen Reisen auf die Krim hat sie Material gesammelt, Interviews aufgezeichnet, Fotos angefertigt sowie schriftliche Erinnerungen gesammelt. Derzeit arbeitet Hana Pfalzova an einem Buch. Anhand von Einzelschicksalen stellt sie das Ausmaß der Kriegshandlungen und ihre Auswirkungen auf das Leben der heute betagten Frauen dar, die nach ihrer Befreiung in ihre Heimat zurückkehrten und weiterer Demütigung oder Verfolgung ausgesetzt waren. regensburg-digital.de wird in loser Folge Auszüge des umfangreichen Materials veröffentlichen.
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