Es fiel nur wenigen auf: Beim Ostengassenfest der Sozialen Initiativen hatte die Künstlerin Carolina Samson einen Häuserkuchen gebacken – die Ostnerwacht gab’s zum Vernaschen. Ein Sinnbild für die Geschichte des Altstadtviertels, das in der Vergangenheit zahlreichen Begehrlichkeiten ausgesetzt war, in Zuge derer weite Teile der Ostnerwacht „vernascht“ – sprich: abgerissen – wurden.
Vor allem der irrwitzige Plan, eine breite Verkehrstrasse mitten durch die Altstadt zu schlagen, zerstörte Anfang der 60er Jahre weite Teile des Viertels. „Die östliche Altstadt wurde zum Versuchsfeld für straßentechnische Planspiele degradiert“, heißt es dazu in einem Aufsatz des städtischen Denkmalpflegers Klaus Heilmeier im Jahr 2001.
Umgesetzt wurden die Verkehrspläne – vierspurige Straße durch die Altstadt, sechsspurige Brücke über Donau und Gries, eine Verkehrsknotenpunkt am Donaumarkt – nie. Sie scheiterten schließlich Anfang der 90er am Widerstand der Bevölkerung.
Wie sich die Stadt den Donaumarkt aneignete
Das Areal am Donaumarkt konnte sich die Stadt ungeachtet dessen zuvor extrem günstig aneignen – die früheren Bewohner, deren Häuser samt und sonders abgerissen wurden, zockte man dabei regelrecht ab. Durch eine fast 20 Jahre gültige Veränderungssperre war es den Hausbesitzern ab 1946 verboten, Reparaturen an ihren Anwesen vorzunehmen.
Zum Teil flehende Bitten nach der Erlaubnis zur Reparatur, Tausch oder Kauf der Gebäude lehnte die Stadt relativ kaltschnäuzig ab. So verloren die Gebäude zunehmend an Wert und als die städtischen Einkäufer schließlich Anfang der 60er Interesse bekundeten und dabei noch mit Enteignung zwecks „öffentlichem Interesse“ drohen konnten, hatten sie leichtes Spiel. Quadratmeterpreise von zum Teil unter 40 DM waren keine Seltenheit.
„Die Stadt hatte damals eine so verdammte Macht, dass man nichts dagegen tun konnte“, sagt ein ehemaliger Bewohner. Zum Vergleich: Heute liegt der im Sanierungsgebiet vorgeschriebene Preis bei 1.100 Euro den Quadratmeter, für den Kauf des Brüchner-Areals im vorderen Bereich des Donaumarkts löhnte die Stadtbau GmbH 2006 nach einer umstrittenen nicht öffentlichen Entscheidung im Ferienausschuss des Stadtrats einen Quadratmeterpreis von 1.879 Euro.
Beginnend 1896 mit dem Bau des städtischen Lagerhauses auf dem hinteren Teil des heutigen Donaumarkt-Areals, verstärkt im III. Reich und nach dem II. Weltkrieg, bis hinein in die 70er-Jahre bedienten sich städtische Planer mit Vorliebe in der Ostnerwacht, wenn es darum ging, bauliche Begehrlichkeiten in die Tat umzusetzen.
Uralt-Plan wird fast 100 Jahre verfolgt
Es gibt einen mittlerweile 90 Jahre alten Generalbaulinienplan, den der Münchner Architekt und Stadtplaner Professor Otto Lasne im Auftrag der Stadt Regensburg erstellte. Dieser sah einen breiten Autobahnanschluss über den Galgenberg und eine vierspurige Trasse durch die Altstadt vor, wo heute die D.-Martin-Luther-Straße verläuft. In Angriff genommen wurde diese Altstadttrasse zwar erst in den 60ern, die Hoffnung auf eine breite Verkehrsachse ließ bereits die Nazis eine rege Bau- und Abbruchtätigkeit im Stadtteil entfalten.
1937/38 wurden entlang des Minoritenwegs und der heutigen D.-Martin-Luther-Straße mehrere Gebäude abgerissen, um dort das Neue Rathaus zu errichten.
Diese Entscheidung dürfte zum einen den Verkehrsplanungen von Professor Lasne geschuldet gewesen sein, immerhin sollte hier eine der künftigen Hauptverkehrsadern der Domstadt entstehen, zum anderen gab es vor Kriegsbeginn bereits erste Pläne für die Reichsautobahn von Regensburg nach Nürnberg, an die es über den Galgenberg direkten Anschluss geben sollte. Und die Hoffnung, dass der Führer höchstpersönlich das Rathaus auf so direktem Weg erreichen könnte, dürfte die Pläne geradezu beflügelt haben. Das Arbeitsamt – als wichtigste Behörde – zog rasch nach und sorgte für weitere Abbrüche im Minoritenweg und im Kirschgässchen, schließlich folgte die Polizeiwache, der mehrere Wohnhäuser weichen mussten.
Nicht der Krieg zerstörte die Ostnerwacht
Kriegszerstörungen gab es in der Ostnerwacht kaum, lediglich das Stadtlagerhaus wurde durch einen Fliegerangriff 1944 zerstört, ebenso das Erhardihaus, dem 1954 das neu errichtete Kolpinghaus folgte.
Die größte Zerstörung gab es in den 60ern. Die Stadtplaner hatten den Gedanken von Professor Lasne weitergesponnen und die Idee einer sechsspurigen Bayerwaldbrücke geboren, die vom heutigen Donaumarkt-Areal über den Unteren Wöhrd nach Stadtamhof führen sollte. Dort, am Donaumarkt, sollte ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt dieser Stadtautobahn entstehen.
40 Gebäude werden dem Erdboden gleichgemacht
Gebaut wurde die Brücke nicht, doch in vorauseilendem Eifer wurden von der Stadt über 40 Gebäude erworben – zum Teil zu Spottpreisen – und bis 1966 dem Erdboden gleichgemacht. Es war der größte städtebauliche Eingriff in die historische Altstadt seit mehr als 500 Jahren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge wurden weit über 1.000 Menschen zwangsweise aus dem Viertel ausquartiert. Ein Blick in ein Adressbuch aus dem Jahr 1949, wo in aller Regel die Familienvorstände verzeichnet sind, listet knapp 400 Namen auf.
Bis heute wird über die Nutzung des damals entstandenen „Filetstücks“ heftig gestritten. Von Anfang der 80er bis ins Jahr 2007 gab es beständige Versuche, dort eine Stadthalle durchzusetzen – Millionen wurden für Bürgerentscheide, Architektenwettbewerbe und überteuerte Grundstückskäufe verschleudert.
Nun soll dort eine – nicht näher definierte Art – von Wohnbebauung entstehen. Das Areal befindet sich in Besitz der Stadtbau GmbH, städtische Tochter, dem sozialen Wohnungsbau verpflichtet. Ungeachtet dessen ist derzeit meist die Rede davon, am Donaumarkt möglichst hochpreisige Immobilien durch Privatinvestoren errichten zu lassen. Der Erlös soll dann in den sozialen Wohnungsbau fließen, lauten Vorstellungen, die aus der SPD zu hören sind.
In jedem Fall bleibt festzuhalten: Seit den Abbrüchen, die nun fast 50 Jahre zurück liegen, stehen die städtischen Planer vor dem Donaumarkt wie das Kaninchen vor der Schlange. Dass man an dem Altstadtviertel Ostnerwacht einiges gut zu machen hat, steht eigentlich außer Frage. Dort, wo sich heute der exponierteste Parkplatz von ganz Regensburg befindet, gab es bis Ende der 50er ein florierendes Altstadt-Viertel mit gemischter Sozialstruktur, Handwerksbetrieben und Geschäften. Zerstört haben es städtische Planer, die von der damals weit verbreiteten Idee einer autogerechten Stadt getrieben wurden.
Kontrapunkt zur Yuppisierung der Altstadt
Noch ist diese gemischte Sozialstruktur in Teilen in der Ostnerwacht erhalten – das war auch beim Gassenfest zu beobachten. Doch die Begehrlichkeiten von Bauträgern, die in der Ostnerwacht ebenso auf Einkaufstour gehen wie im Rest der Regensburger Altstadt lassen nicht unbedingt darauf hoffen, dass es in absehbarer Zeit noch bezahlbaren Wohnraum geben wird. Mit dem Label „Wohnen im Welterbe“ lässt sich reichlich Kasse machen. Dieser Hoffnung ist auch die Idee geschuldet, den Donaumarkt zum Luxusviertel umzugestalten. Die Folgen wären klar: Weniger begüterte Menschewn werden nach dem Rest der Altstadt auch aus der Ostnerwacht verdrängt.
Auch wenn der erzielte Gewinn aus dem Verkauf des Areals tatsächlich zum Bau von bezahlbarem Wohnraum an anderer Stelle verwendet werden sollte, bleibt die Frage, ob so eine Wunde geheilt werden kann, die von den Rechtsvorgängern der heute verantwortlichen Politiker, Städteplaner und Spitzen der Verwaltung geschlagen wurde. Häufig war mit Blick auf den Donaumarkt von Stadtreparatur die Rede. Das bedeutet aber mehr, als das Gelände mit neuen Gebäuden zu bebauen und dabei einen möglichst guten Schnitt zu machen. Hier könnte die Stadt als mittelbare Eigentümerin einen Kontrapunkt zur zunehmende Yuppisierung der Altstadt setzen. Es ist lediglich eine Frage des politischen Willens – und, mit Blick darauf, wie die Stadt in Besitz des Filtstücks gelangt ist, des Anstands.
Mehr Infos:
Eine Pflichtlektüre für jeden echten Regensburger ist das Buch „Sündenfall an der Donau“ von Peter Eiser und Günter Schießl. Auf 104 Seiten beschreiben sie plastisch und detailreich wie die städtebauliche Wunde am Donaumarkt entstanden ist. Wer dieses Buch liest und die Bilder ihre Geschichten erzählen lässt, der wird begreifen, dass zum Leben und Wohnen in einer Stadt mehr gilt als profitable Umgestaltung um jeden Preis. „Sündenfall an der Donau“ ist in der edition bunte hunde erschienen (ISBN 3-934941-08-7). Der obige Artikel basiert auf Informationen aus diesem Buch, einer Artikelserie der Monatszeitschrift „Der Leserbrief“ aus den Jahren 2006/07 und mehreren Gesprächen mit (ehemaligen) Bewohnern der Ostnerwacht.