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Fein säuberlich verteilt liegen sie auf den Kirchenbänken – die Textblätter mit der Bayernhymne. Denn auch wenn das Regensburger Domforum jedes Mal mit diesem „religiösen Lied“ (Bischof Müller) beschlossen wird – wenigstens die zweite Strophe hat auch manch eingefleischter Katholik nicht immer präsent. Ein Katholik ist es nicht, der da eben eine gesprochen hat und auch kein Bayer. Frank Walter Steinmeier ist Protestant, „auch noch aus der calvinistischen Ecke“, wie er selbst sagt, und dazu noch Sozialdemokrat. Da sei der Bischof schon ein hohes Risiko eingegangen, ihn hier reden zu lassen, bemerkt er zu Beginn süffisant vor den mit Regensburger Prominenz gefüllten Kirchenbänken. Die Regensburger SPD-Granden Norbert Hartl und Joachim Wolbergs erwarten sich hier ebenso Erhellendes wie Fürstin Gloria, Polizeipräsident Rudolf Kraus, Landgerichtspräsident Günther Ruckdäschel oder Unirektor Thomas Strothotte. Es ist weitgehend eine Veranstaltung der Eliten, die da im Dom stattfindet.

„An Europa glauben“

Was Steinmeier unter der Überschrift „An Europa glauben“ vorträgt, ist – passend für den Dom – tatsächlich ein Glaubensbekenntnis. Steinmeier will weiter an den europäischen Gedanken glauben und ruft dazu auf, es ihm gleich zu tun. Immer wieder spricht er von Ideen, von Hoffnung und eben von Glaube. Die pessimistische Bestandsaufnahme, die Steinmeier zunächst vorträgt, ist genau das, was man tagtäglich nicht nur den Medien, sondern auch den Gesprächen an Stammtischen auf der einen und politischen Reden auf der anderen Seite entnehmen kann. Er spricht von der zunehmenden Abneigung gegen Europa, der Tendenz zur Renationalisierung, der Tatsache, dass der, durch das Zusammenwachsen Europas erreichte Friede und Wohlstand mittlerweile als selbstverständlich hingenommen werde und dass sich schnell Unmut breit macht, wenn dieser Wohlstand durch Krisen bedroht wird. Bei der Frage nach einem gemeinsamen Europa gehe es plötzlich nicht mehr um das „Wie“, sondern immer öfter um das „Ob“.

Suche nach gemeinsamer Grundlage

„Manchmal scheint es mir, dass nicht einmal mehr die Eliten ein Interesse an Europa haben“, so Steinmeier. „Es gibt kaum noch einen Politiker, der sich den europäischen Gedanken glaubwürdig zu Eigen machen kann.“ Dabei brauche es gerade jetzt eine „neue gemeinsame tragfähige Grundlage“, zu der sich die Menschen bekennen müssten, „egal vor wem sie sprechen“. „Sinkt der europäische Phönix in die Asche zurück?“, lautet seine bange Frage, die er aber gleich mit „Nein“ beantwortet. Zu einem geeinten Europa gebe es keine Alternative. Doch wie soll die gemeinsame Grundlage dieses geeinten Europa aussehen, die immer mehr Menschen abhanden zu kommen scheint? Steinmeier spricht im Dom. Und hier – zumal unter den Augen des katholischen Bischofs Gerhard Ludwig Müller auf der einen und des evangelischen Regionalbischofs Hans-Martin Weiss auf der anderen Seite – stellt er die Rolle der christlichen Kirchen in den Mittelpunkt.

Kirchen als Vorbild?

Das von Bischof Müller ins Leben gerufene Domforum, bei dem vor Steinmeier beispielsweise schon Edmund Stoiber oder Otto von Habsburg gesprochen haben, hat sich „den Erhalt des christlichen Erbes“ von Europa auf die Fahnen geschrieben. Eine rein christliche Ableitung Europas, wie sie von abendländischen Kulturkämpfern gern vorgetragen wird, greift für Steinmeier allerdings kurz. Dennoch, so sein versöhnlicher Ansatz, stünden die christlichen Kirchen „in der europäischen Tradition der Aufklärung“. Steinmeier spricht gar von einer „Selbstaufklärung der Religionen“, die ein „guter europäischer Sonderweg“ sei. Er wünschen sich eine Kirche, „die denen widerspricht, die sagen, dass der Islam keinen Platz in Europa hat“. Er wünsche sich eine Kirche, „die sagt, dass die Wirtschaft eine dienende Rolle hat“. Das hört man nicht zum ersten Mal. Gerade Bischof Müller tut sich oft als Kritiker eines entmenschlichten Kapitalismus hervor – der Erfolg solche Appelle und solcher Kritik hält sich allerdings, auch das ist nichts Neues, in Grenzen.

Keine politischen Lösungsansätze

Steinmeier hat recht, wenn er weiter sagt, dass Europa nicht allein eine „Kreation der Politik“ ist, sondern auf der Basis einer gemeinsamen Geschichte, Tradition und religiöser Prägung steht. Aber – das mag daran liegen, zu welchem Anlass er spricht – die Rolle der Politik dabei, die dienende Rolle der Wirtschaft in den Vordergrund zu stellen, redet Steinmeier am Donnerstag nicht nur klein, er schweigt dazu. Den Kirchen weist er in Europa die Rolle zu, Vorbild dafür sein, „wie man in Vielfalt auf Basis gemeinsamer Werte lebt“. Doch dazu, was die gemeinsame Basis, die „neue gemeinsame Grundlage“ in Europa sein könnte, sagt Steinmeier nur wenig. Zur Frage, warum die Europa-Skepsis stetig zunimmt, gibt er nur oberflächliche Antworten. Und wenn Steinmeier den wartenden Journalisten nach Gebeten und Bayernhymne schließlich im Altarraum sagt, er habe eine „Rede gegen den Trend“ halten wollen, dann mag man auf den ersten Blick zustimmen. Bei genauerer Betrachtung war es aber nur eine dem Anlass entsprechende, gut formulierte Festrede, die dem Ort Kirche und einem Christen, ob nun calvinistischer Protestant oder Katholik, angemessen war. Für einen Politiker war das zu wenig.

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