SOZIALES SCHAUFENSTER

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Aschermittwoch 2011. Wir befinden uns im gelobten Land, in Gottes eigenem Wahlkreis. Und an diesem Ort politischen Sachverstands erfährt man, dass die Bayern-SPD nur aus Ameisen und Würmern besteht, dass Joachim Gauck der beste Bundespräsident ist, den sich die CSU vorstellen kann, und dass es Morde gibt, die dem Ministerpräsidenten nahegehen. Manche. „Warum bist Du nicht in Vilshofen beim Ude?“, meint der Taxifahrer auf dem Weg zur Dreiländerhalle. Was für eine Frage, an einem solchen Tag. Einem Tag, an dem die Sonne vom weiß-blauen Himmel auf das „gelobte Land“ (Horst Seehofer über Bayern) scheint, auf „Gottes eigenem Wahlkreis“ (Seehofer über Passau), dort, wo die sich versammeln, die da sind, „wo oben ist“ (Seehofer über die CSU). Zusammen mit „Mr. Aschermittwoch“ (Seehofer über Edmund Stoiber), dem derzeitigen Staatsoberhaupt (Seehofer) und zwischen 4.000 (Zählung verschiedener Presseagenturen) und 7.000 (CSU-Zählung) anderen Besuchern nehme ich an einem „Hochamt“ (Seehofer) teil, dem 60. politischen Aschermittwoch der CSU.

„Intellektuelle Standortbestimmung“

Der Geist von Franz-Josef Strauß weht an diesem Tag durch die Dreiländer-Halle. Immer wieder wird er zitiert und manchmal gewinnt man den Eindruck, dass Straußens politische Enkel ihm Zitate ebenso freimütig unterschieben, wie er ehemals den alten Griechen und Römern. Büsten von Strauß werden aber beim Aschermittwoch seit geraumer Zeit nicht mehr feil geboten. Dieser traditionsreiche Aschermittwoch ist, das erfährt man heute, „keine Fortsetzung von Fasching, keine Folklore“ (Stoiber). Das geflügelte Wort vom „größten Stammtisch der Welt“ fällt heuer nicht einmal. Das war schon immer „seriöse Politik“ (Manfred Weber, Chef der Niederbayern-CSU) und „intellektuelle Standortbestimmung“ (Strauß via Stoiber). „Ich kenne keinen anderen Ort, wo so viel politischer Sachverstand versammelt ist“, sagt Horst Seehofer. Hier werde alljährlich „politische Bestandsaufnahme für Bayern, Deutschland“ und zwischenzeitlich auch Europa gezogen.

Dafür oder dagegen? Hauptsache Griechenland

An diesem Ort politischen Sachverstands kann man von CSU-General Alexander Dobrindt (letzte Rede, kurz und knackig, was Emotionales fürs christlich-soziale Herz) erfahren, dass die Bayern-SPD sich aus „Ameisen und Würmern“ zusammensetzt, die Grünen aus Kiffern und die Linke aus „lauter Irren“. Man bekommt mit, dass die Freien Wähler jetzt zum Glück einen Henkel, den Hans-Olaf, haben, „mit dem man sie gleich wegwerfen kann“. Und es fällt auf, dass die FDP mittlerweile nicht einmal mehr einer Erwähnung wert ist. Keinem Redner. An diesem Ort wird frenetischer Beifall generös verteilt. Für Dobrindts Forderung nach einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone gibt es welchen. Und fast noch lauter wird geklatscht, als Edmund Stoiber für das Gegenteil plädiert.

Gauck? „Was soll man gegen diesen Mann haben?“

An diesem Ort klärt Edmund Stoiber auch ein für allemal, warum ein Bundespräsident Joachim Gauck für die CSU eine „sehr gute Wahl“ ist: „Er ist für Hartz IV“ (viel Applaus). „Er ist gegen den EU-Beitritt der Türkei“ (mehr Applaus, Zwischenrufe). „Er hat auch für Thilo Sarrazin ein gutes Wort übrig“ (donnernder Applaus, Johlen). „Was soll man denn gegen diesen Mann haben?“ Und was soll man gegen das derzeitige Interims-Staatsoberhaupt haben? Den Ministerpräsidenten Bayerns. Horst Seehofer hält eine einstündige, äußerst zahme Rede, frei von Verbalattacken und Polemik. Er ist eben grade Bundespräsident, sorgt dafür, „dass in Bellevue etwas bairisch gesprochen wird“ und muss deshalb „staatstragendes Format“ beweisen.

Morde, die nahegehen und Morde, die man erwähnen muss

Diesem Umstand – dem Staatstragendem – ist es wohl auch zu verdanken, dass die Opfer der Nazi-Morde in der Dreiländerhalle wenigstens kurz Erwähnung finden. Pflichtschuldigst. Er werde – in seiner Funktion als Staatsoberhaupt – an dem Staatsakt für die Opfer teilnehmen, sagt Seehofer. Das war’s dann auch schon wieder mit diesem leidigen Thema. Morde, die dem Ministerpräsidenten nahegehen, sind nämlich andere. „Tief eingegraben, auch emotional“ hat sich bei Seehofer die Ermordung des Staatsanwalts am Dachauer Amtsgericht im Januar und die eines 41jährigen Polizisten in Augsburg vergangenen Oktober. Dass dieser Mord schnell aufgeklärt wurde, sei kein Zufall gewesen, sondern „Ergebnis professioneller und zielstrebiger Ermittlungsarbeit“, „ein Zeichen dafür, dass man in Bayern mit so etwas nicht durchkommt“ und dafür, dass wir „jene schützen, die uns schützen“. Den NSU-Mördern, die fünf Menschen in Bayern erschossen haben, hat man diese Zeichen ja nicht gegeben. Da wurde zielstrebig ermittelt. In die falsche Richtung. Aufgeflogen sind sie völlig zufällig. Und aufgeklärt ist überhaupt noch nichts. Vor allem nicht in Bayern. Es waren halt nicht Menschen, die uns schützen, die da abgeknallt wurden, sondern solche, die man besser hätte schützen sollen. Aber na ja: Seehofer geht ja zum Staatsakt. Als Staatsoberhaupt. Und „jeden Extremismus bekämpfen“. Das mache man in Bayern ja eh, und zwar konsequent.

CSU-Klassentreffen mit einem Hauch Taizé

Ansonsten ist Seehofers Rede – ein Hohelied auf Bayern, gespickt mit seiner politischen Vita, ein wenig Europa, Länderfinanzausgleich und Schuldenabbau – schon sehr „staatstragend“, ein wenig einschläfernd, langweilig. Und so füllen sich die Freifläche vor und die Brotzeit-Ausgabe (Fischsemmeln, Brezen und Käse) im hinteren Teil der Halle im Lauf der guten Stunde. Man ratscht mit den angereisten CSU-Fans aus dem hohen Norden, tauscht Visitenkarten aus und beschenkt sich mit CSU-Fähnchen, -Schals und -Krüglein. CSU-Klassentreffen mit einem Hauch Taizé. Daneben wird Seehofers Rede genutzt, um die ersten ein, zwei Maß Bier (6,80 Euro) im dauerüberfüllten Pissoir abzuliefern. Es ist kurz vor zwölf. Alles wartet auf Edmund Stoiber und als Seehofer schließlich mit „Deutschland braucht Bayern. Bayern muss Bayern bleiben. Gott mit Dir, Du Land der Bayern“ seinen Schlussapplaus einfordert, geht dieser fast unmittelbar in „Edmund, Edmund“-Rufe über. Und dann kommt er, der Edmund.

Hilfe in der Stunde des Staatstragens

Als „Elder Statesman“ (Stoiber über Stoiber) kehrt er – wie Otto Rehhagel zu Hertha BSC – kurz „von der Tribüne, wo ich Daumen drücke“, zurück „aufs Spielfeld“, um seiner Partei zur Seite zu stehen. In der Stunde der Not. Not? Moment. Nein. In der Stunde des Staatstragens. Eigentlich läuft nämlich alles blendend. Das haben vorher schon Weber und Seehofer erklärt. Das erklärt jetzt auch Stoiber. Drei Reden – eine Struktur. Drei Reden – immer dieselbe Botschaft. Die potentiellen politischen Gegner? Unwichtig. Das Abwatschen übernimmt Dobrindt. Integration? Riesenleistungen. Die ganzen Vertriebenen des II. Weltkriegs, die vielen Zugewanderten aus Norddeutschland und ja, auch Ausländer. Bildung, Finanzen und Kultur? Überall ist Bayern vorn dabei. An der Spitze. Bis 2030 – da plant die CSU langfristig – will man gar schuldenfrei sein.

Ein „Elder Statesman“ auf Koks

Länderfinanzausgleich? „Da sind wir zwar solidarisch, aber nicht blöd.“ Griechenland? Die sollen zwar nicht raus aus dem Euro. „Kein Mensch weiß, was das für Folgen hat, wenn ein Land an der Peripherie Europas dann zusammenbricht und die Demokratie weggefegt wird“, sagt Stoiber. (Lauter Applaus) Aber sparen sollen sie. „Runter auf den Standard von Bulgarien.“ Da hilft alles nichts. Der (vielzitierten) „nachfolgenden Generationen“ wegen. Europa? „Die beste Idee, die es je gab.“ Und eigentlich von der CSU erfunden. So redet auch Stoiber ein knappes Stündchen. Immer wieder unterbrochen von Applaus und Jubel. Manchmal wegen dem, was er sagt, manchmal, weil er es ist, der da was sagt. „Stoiber Superstar“-Schilder werden in Massen hochgehalten. Kaum „Ähs“, viel Gestikuliererei. Stoiber wirkt, allem „Elder Statesman“ zum Trotz, wie ein Kokainsüchtiger, der lange auf Entzug war und jetzt wieder Stoff bekommen hat. Redestoff. Bühne. Öffentlichkeit.

„Deutschland muss Führerschaft übernehmen“

Deutschland müsse endlich seine Verantwortung wahrnehmen, appelliert er. „Seit der Krise sind wir – ich will das deutsche Wort nicht verwenden – Lead-Nation in Europa.“ Im Ausland könne kaum jemand verstehen, warum Deutschland nicht „endlich „eine stärkere Führerschaft“ übernehme, seine Verantwortung nicht wahrnehme. „An Deutschland hängt es.“ (Applaus) Auch, weil man es ja mit China aufnehmen muss. Deshalb: Auf zu stabilen Finanzen. Mit Deutschland an der Spitze, unter Führung der CSU. (Applaus, Rufe) Die müsse zurück zur „legendären Geschlossenheit“. Zurück zur „Volksbewegung CSU.“ „Dann kann uns keiner was.“ Dann werde „das“, Stoiber meint den Verlust der absoluten Mehrheit, „nur eine Episode“ gewesen sein. „Wir müssen wieder so werden wie wir waren“, ruft er, während seine letzten Worte schon im Applaus und den „Edmund“-Rufen untergehen. Und als Horst Seehofer nach oben kommt, um mit der Bemerkung „Das war doch eine gute Idee ihn einzuladen“ etwas von dem Jubel abzubekommen, bleibt ihm doch nur, etwas verloren daneben zu stehen und „Mr. Aschermittwoch“ auf die Schulter zu klopfen.

Dobrindt, Hymnen, Abfahrt

Es folgt zum entspannten Abreagieren ein kurzer Dobrindt (siehe oben). Dann Bayern- und Nationalhymne, zu der dann auch gut ein Drittel der „Beobachter der Medien“ (CSU-Bezeichnung für Journalistinnen und Journalisten) aufstehen und – die Hand auf der Brust – mitsingen. Es folgen Jubelrufe und Fußballgesänge. Fahnen gibt es in diesem Jahr kaum. Dann leert sich die Halle schnell. Leere Bierkrüge werden abgeräumt und letzte Krapfen und Fischsemmeln an den Mann gebracht. Ein Extrablatt des Bayernkuriers mit den Höhepunkten der grade zu Ende gegangenen Veranstaltung wird verteilt. Um kurz vor 14 Uhr ist alles vorbei. Die 4.000 bis 7.000 Besucher steigen in ihre Reisebusse und Autos, kehren gestärkt und motiviert „Gottes eigene Wahlkreis“ den Rücken. Auf dem Weg zurück zum Hauptbahnhof zeigt der Taxifahrer auf ein Plakat am Straßenrand. „Beim Ude in Vilshofen soll es ja auch ganz gut gewesen sein.“ Ude? Wer ist das? Wer will den? Der hat doch nicht die geringste Chance. Das weiß der gute Mann nicht. Er war einfach nicht im gelobten Land, in Gottes eigenen Wahlkreis, da wo die sind, die oben sind.
Gerichtsnotorischer Arbeitgeber

Etappensieg für Schuma-Beschäftigte

Die Geschäftsführung der Schuma Frucht GmbH muss mit dem Betriebsrat intensiver über deren Recht auf einen Sozialplan diskutieren. Das entschied das Arbeitsgericht Regensburg am Donnerstag. Bemerkenswert: Wie immer erschien Schuma-Chefin Margit Schuster-Lang trotz persönlicher Ladung nicht. Und zum wiederholten Mal hatte das keine Konsequenzen.

„Wir wollen dieses niemals vergessen!“

Babi Jar – eine leere Floskel in der Regensburger Gedenkpolitik

Die Ermordung von 33.000 Juden in der Schlucht von Babi Jar zählt zu den größten Massakern des Zweiten Weltkriegs. Dass Oberbürgermeister Hans Schaidinger bei mehreren Gedenkreden angesprochen hat, dass ein Regensburger daran maßgeblich teilgenommen hat und deshalb 1971 ein „Juden-Mordprozeß“ am hiesigen Landgericht stattfand, erscheint verdienstvoll. Ist es das auch?

Briefe aus der Wagenburg

Diözese an Missbrauchsopfer: Wir bedauern, aber Sie lügen!

UPDATE am 25.02.12: Mittlerweile liegen uns weitere Schreiben der Diözese an Missbrauchsopfer vor. Sie haben alle denselben Wortlaut. Wir haben mehrere Anfragen an die Diözese und die Deutsche Bischofskonferenz gestellt. UPDATE ENDE

„Perfides Nachtreten.“ So nennt die Therapeutin eines Opfers von sexueller Gewalt ein Schreiben der Diözese Regensburg. In wohlgesetzten Worten wird der heute 63jährige Mann darin zum Lügner abgestempelt. Wenn er die Gründe wissen wolle, könne er sich ja an den Anwalt des Bistums wenden, schreibt ihm Generalvikar Michael Fuchs. Wir veröffentlichen den Brief im Original.

Mit Stadtteilgesprächen, Eigenlob und edlen Zielen

Sanfter Wahlkampfauftakt der SPD

Als Wahlkampfauftakt wollen die Spitzen der SPD-Fraktion ihr Jahrespressegespräch am Valentinstag nicht verstanden wissen. Trotzdem ist es einer. Und vieles von dem was da gesagt wird, hört sich auch nach Wahlversprechen an: Gut und nachvollziehbar, wenig konkret und unter zahlreichen Vorbehalten stehend.

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Ehemaliger Neonazi packt aus – nur was?

Die Friedrich-Ebert-Stiftung lädt zur Podiumsdiskussion: Manuel Bauer, ehemaliger aktiver Neonazi, Günther Kohl, Regionalbeauftragter für Demokratie und Toleranz, und Thomas Witzgall, Endstation RECHTS. Und sie sind alle gekommen, die Studenten. Was bleibt ist ein schaler Nachgeschmack und die Frage, wie man sich des Problems „Neonationalsozialismus“ annehmen soll.

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