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Ein Geheimdienst und seine Vorschriften

Mancher Kunde ist König

Mordende Nazi-Trupps aufbauen oder sich bei den WAA-Protesten eine Geldstrafe einhandeln – das sind schon zwei Paar Stiefel. Klar. In beiden Fällen kann aber dasselbe passieren: Man wird „Kundschaft“ beim bayerischen Verfassungsschutz. Und die Vorschriften, was mit den Daten passiert, die über die einzelnen Kunden gespeichert werden sind streng – zumindest streng geheim.

„Natürlich gelöscht“ und „natürlich nicht gelöscht“: Die Auskünfte des Bayerischen Verfassungsschutzes zu manchen Daten und Akten sind etwas widersprüchlich... Foto: Archiv

„Kundschaft.“ So nennt der Herr vom Bayerischen Verfassungsschutz, mit dem ich Mitte Februar (zum bereits zweiten Mal) telefoniere die Personen, die von seiner Behörde überwacht werden. Weil sie unsere Freiheit und Demokratie gefährden. Rechtsextremisten, Linksextremisten, islamistische und sonstige Extremisten – das sind die Schubladen in der „Kundenkartei“ des Geheimdienstes. Bei einigen Kunden werden Daten schon mal „60 oder 70 Jahre“, ja „ein ganzes Leben lang“ gespeichert. Bei anderen eben nicht. Da hält man sich streng an die Vorschriften.

Kundschaft 1: Der Nationalsozialist

Ein Kunde des bayerischen Verfassungsschutzes war zum Beispiel der bekennenden Nationalsozialist Tino Brandt. Brandt hat den „Thüringer Heimatschutz“ aufgebaut. Mit Geld, das er sich als V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes verdient hat. Aus dieser Nazi-Truppe ging der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hervor, jenes Terrortrio, das zwischen 2000 und 2007 Sprengstoffanschläge, Banküberfälle und mindestens zehn Morde verübt haben soll. Fünf davon in Bayern. Und hier – in Bayern – begann Tino Brandt 1993 auch seine Karriere. In Regensburg versuchte er (letztlich erfolglos) eine Nazi-Truppe aufzubauen. Nebenbei verbreitete er rassistische und antisemitische Hetzpamphlete. Damals war Brandt denn auch „Kundschaft“ des bayerischen Verfassungsschutzes. Er wurde überwacht, aber ansonsten nicht weiter belästigt.

Wegen der Vorschriften: Man weiß nicht, ob man etwas weiß

„Umfangreiche Dokumente“ gebe es aus dieser Zeit, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Anfang Januar hat Herrmann einen umfangreichen Fragenkatalog der Landtagsabgeordneten Maria Scharfenberg (Grüne) zur bayerischen Vorgeschichte Tino Brandts beantwortet. Recht viel geben die Antworten des Innenministers allerdings nicht her. Das liegt an „Datenlöschungs- und Aktenvernichtungsvorschriften“, wie Herrmann bedauernd schreibt. Wegen dieser Vorschriften stünden Daten zu Brandt und dessen Aktivitäten „nur noch eingeschränkt“ zur Verfügung. schreibt Herrmann in einer Vorbemerkung zu seinen ansonsten recht dürftigen Antworten. „Eine Bewertung und Einschätzung von Tino Brandt und seiner damaligen Rolle in der rechtsextremistischen Szene ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb nur bedingt möglich. Inwieweit seine damalige Rolle im Detail rekonstruierbar sein wird, ist derzeit noch nicht abschätzbar.“

Die Vorschriften: Streng geheim

Datenlöschungs- und Aktenvernichtungsvorschriften – was ist das überhaupt? Das Innenministerium antwortet auf diese Frage zunächst einmal nicht. Als ich drei Tage später nachhake, wird mein Anliegen ans Landesamt für Verfassungsschutz weitergeleitet. Von dort kommt – wieder einige Tage später – ein kurzer Anruf. Ich werde auf das Bayerische Verfassungsschutzgesetz verwiesen. Dort steht zwar lang und breit, dass es Vorschriften und Fristen zur Löschung gibt, aber nicht wie diese Vorschriften und Fristen aussehen.
„Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Dauer der Speicherung in Dateien und in Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, auf das Maß festzulegen, das zur Erfüllung seiner Aufgabe nach diesem Gesetz erforderlich ist.“ Artikel 7, Bayerisches Verfassungsschutzgesetz. „Ob die Voraussetzungen der Löschung und Vernichtung (…) vorliegen, ist bei jeder Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen zu entscheiden.“ Artikel 8, Bayerisches Verfassungsschutzgesetz
Der Landesbeauftragte für Datenschutz würde mir zwar gerne weiterhelfen, darf dazu aber nichts sagen, „aus Gründen des Geheimschutzes“, wie es in einer schriftlichen Stellungnahme heißt. Er verweist mich erneut ans Landesamt für Verfassungsschutz und von dort gibt es dazu ebenfalls keine weitere Auskunft. „Sonst kann sich unsere Kundschaft ja ausrechnen, was sie tun muss, um nicht mehr gespeichert zu werden.“

Kundschaft 2: Der Antifaschist

Ja. Was muss man tun, um aufgrund von „Datenlöschungs- und Aktenvernichtungsvorschriften“ aus der „Kundenkartei“ des Verfassungsschutzes gelöscht zu werden? Diese Frage könnte sich Marcus Buschmüller stellen. Buschmüller ist Vorsitzender des Vereins a.i.d.a.. Die Münchner „Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle“ wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel von der SPD oder der Stadt München. Trotzdem gehört sie zur „Kundschaft“ des bayerischen Verfassungsschutzes – in der Schublade „linksextrem“. Vor Gericht hat a.i.d.a. mehrfach erfolgreich gegen diese Einstufung im Verfassungsschutzbericht geklagt. Was dabei so nebenbei herauskam: Über Buschmüller wurden zahlreiche Daten und Akten gespeichert, bis zurück in die 80er Jahre. Und die sind den Vorschriften noch nicht zum Opfer gefallen.

Gespeichert: WAA-Proteste aus den 80ern

Rechtsanwältin Angelika Lex, die a.i.d.a. Mehrfach vor Gericht vertreten hat, spricht von „etlichen Vorgängen“. Dazu gehört – als schwerwiegendster Vorwurf – eine Geldstrafe von 600 D-Mark wegen Protesten gegen die WAA. Ansonsten: Bagatellen. Belanglosigkeiten. Keine Vorstrafen. „Dass der Verfassungsschutz Daten regelmäßig löscht, widerspricht meiner langjährigen Erfahrung mit solchen Fällen“, sagt Angelika Lex. „Das gilt auch, wenn diese Vorfälle sehr lange zurückliegen und vor allem dann, wenn diese Daten angeblich linksextremistische Vorwürfe betreffen.“

„Daten zu Brandt natürlich nicht gelöscht“

Zurück zu Tino Brandt und den teils gelöschten, teils nicht gelöschten Daten und Akten. Als wir das Landesamt für Verfassungsschutz mit dem Beispiel a.i.d.a. konfrontieren scheint die bislang nebulöse Aktenlage zu dieser „Kundschaft“ etwas zu lichten. Dem bayerischen Verfassungsschutz sei in den 90ern „natürlich bekannt“ gewesen, dass es sich bei Tino Brandt um einen „führenden Kader der rechtsextremen Szene“ gehandelt habe, heißt es nun am Telefon. „Das hat er jahrelang bewiesen.“ Deshalb habe man Brandt auch „intensiv beobachtet“, es sei „umfangreiches Material“ gespeichert, das man „natürlich nicht gelöscht“ habe. Nicht mehr vorhanden sein könnten allenfalls Informationen über Brandt, die „in Zusammenhang mit anderen Personen oder Organisationen“ gespeichert wurden und mittlerweile „möglicherweise“ gelöscht sein könnten. Bei wem, ob und in welchem Umfang das der Fall ist? Das hängt dann wieder ganz von ihnen ab – den „Datenlöschungs- und Aktenvernichtungsvorschriften“.

„Daten zu Brandt natürlich gelöscht“

Nachtrag: Anfang März hat sich die Aktenlage zu Tino Brandt dann doch wieder etwas vernebelt. „Das ist doch klar, dass wir dazu nichts sagen“, erklärte da Hermann Weishaupt, Mitarbeiter des bayerischen Innenministeriums, am Rande einer Podiumsdiskussion in Regensburg. Etwas sagt er aber doch: „Tino Brandt hat seit dem Jahr 2000 nicht mehr in Bayern gewohnt.“ Wenn also da etwas gespeichert gewesen sein sollte, dann „wurde das natürlich gelöscht“. Gespeichert sein könnten aber noch Daten in Zusammenhang mit anderen Personen, die noch in Bayern leben… Es ist schon ein Kreuz, mit diesen streng geheimen Vorschriften, die man sich, je nach Kundschaft, zurecht biegen muss. Der hier veröffentlichte Artikel basiert auf einem Mitte Februar fertiggestellten Text, der in der aktuellen Ausgabe des Magazins „MUH“ veröffentlicht wurde.
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