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Hans Joas als kurzzeitiger Gastprofessor an der Uni Regensburg

Die Soziologie als Phantom und Reminiszenz

Soziologie? An der durchmodularisierten Kindergartenuniversität Regensburg schon lange abgeschafft. Doch zur Zeit findet sie zumindest eine Woche lang wieder statt: in Form einer sechsteiligen Vorlesung von Hans Joas.

Falls es jemanden interessieren sollte, warum an der Regensburger Uni die Soziologie abgeschafft wurde: das wird einem derzeit gerade im Großen Sitzungssaal des PT-Trakts vorgeführt. Dort, in der Abgeschiedenheit eines Saals, den die allermeisten Studenten am Tag ihrer Prüfung zum ersten Mal betreten und von dem sie bis dahin nicht mal wissen, wo er ist, obwohl er nur ein paar Schritte von der PT-Cafeteria entfernt ist, dort findet sie nämlich eine Woche lang wieder statt, die Soziologie: in Form einer sechsteiligen Vorlesung von Hans Joas.

Soziologie: weder BMW-kompatibel noch drittmitteltauglich

Und das Feuerwerk, das der Freiburger Soziologe dort jeden Tag zwei Stunden lang abliefert, macht auch einem Taubstummen klar: Soziologie ist nicht BMW-kompatibel und nicht drittmitteltauglich, Soziologie ist weder für irgendwelche PR-Heinis verwurstbar noch für die übrige Abfallwirtschaft unmittelbar verwertbar, sondern einfach nur interessant. Jedenfalls wenn man sie so versteht und betreibt wie Hans Joas. Und eben deshalb hat die Soziologie an einer ordentlich durchmodularisierten Kindergartenuniversität nichts verloren.

„Sakralisierung und Säkularisierung“ lautet das Thema der Gastvorlesung von Hans Joas. Eine kurz aufflackernde Erinnerung an ein ziemlich altes Fach, denn Soziologie ist bei Joas nichts anderes als Philosophie, ein Anknüpfen und Weitertreiben des jahrtausendealten Diskurses – auf den ein Herr Dr. med. dent. Heubisch und eine Frau Dr. plag. Schavan natürlich jederzeit gern verzichten. Was Joas mit Sakralisierung und Säkularisierung meint, ist am besten anhand zweier „Pseudogewissheiten“ zu erklären, auf deren Widerlegung er aufbaut.

Die eine ist die Säkularisierungsthese, die seit mindestens zweihundert Jahren vor allem bei Ungläubigen sehr beliebt ist. Sie besagt, dass die Modernisierung quasi automatisch eine Säkularisierung mit sich bringt. Die etwa in den 70er Jahren bei der Linken weitverbreitete Zuversicht, allein die Steigerung der Produktivität und der wissenschaftliche Fortschritt führe unweigerlich dazu, dass die Religion auf dem absteigenden Ast sei – Hans Joas hält sie zurecht für ein haltloses Gerücht. Ein kurzer Blick auf die USA mache einem klar, dass dieses Denken Unsinn ist: Das Land, das für Fortschritt und Wirtschaftskraft steht, ist gleichzeitig fest in der Hand des Christentums. Und, so könnte man hinzufügen: Selbst ein dunkelhäutiger Präsident ist dort möglich, zumindest für vier Jahre – ein Ungläubiger würde es nicht mal bis zum Kandidaten bringen. Die Gretchenfrage ist in God’s own country kaum weniger entscheidend als im Vatikan.

Ohne Gott ist alles erlaubt? Alles Unsinn!

Die zweite Pseudogewissheit, gegen die Hans Joas angeht, ist die bei Gläubigen oft anzutreffende Theorie, der Mensch sei sozusagen anthropologisch auf die Religion angelegt, ohne die Religion fehle dem Menschen daher etwas entscheidendes, nämlich vor allem die Moral, kurzum, die alte Behauptung: Ohne Gott ist alles erlaubt. Alles Unsinn, sagt Hans Joas. Nichts davon ist nachweisbar: Weder ist in den atheistischen Ländern des Ostens die öffentliche Moral zusammengebrochen, noch ist die Kriminalitätsrate im christlichsten Land der Welt, in den USA, besonders niedrig. Also: Weder wird sich die Religion über kurz oder lang selbst erledigen, wie die Ungläubigen das gern hätten, noch ist die Religion die notwendige Voraussetzung für ein gesittetes Zusammenleben, wie das die Gläubigen immer wieder behaupten. Hans Joas: „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo Gläubige und Ungläubige endlich ohne diese beiden Totschlagargumente miteinander reden sollten.“

Lust am Denken und am Diskutieren

Hans Joas steht zwei Stunden lang da und redet, frei und konzentriert, obwohl ihm, dem weltbekannten Soziologen, der sonst in Chicago lehrt, hier an der Spitzenprovinzuni Regensburg kaum 50 Leute zuhören. Der Mann ist zwei Stunden lang in Fahrt, er spickt seine Vorlesung mit literarischen Einsprengseln von Leo Tolstoj und James Joyce und mit witzigen Alltagsbeobachtungen. Ein seltenes Beispiel einer durch und durch lebendigen, fröhlichen Wissenschaft, die vom Erkenntnisdrang und von der Lust am Denken und am Diskutieren durchdrungen ist. Wenn man Hans Joas zehn Minuten lang zugehört hat, weiß man: der hat in seinem langen Gelehrtenleben noch keinen einzigen Nebensatz von irgendwem abgeschrieben. Im Gegensatz zur Bundesministerin für Wissenschaft, die das in ihrer Doktorarbeit an dutzenden von Stellen getan hat, und das waren nicht nur Nebensätze (siehe schavanplag).

Die Ironie des Schicksals und die Dialektik der Aufklärung haben es so eingerichtet, dass die leider viel zu kurze Regensburger Vorlesung von Hans Joas als Gastprofessur der „Joseph-Ratzinger-Papst-Benedikt XVI.-Stiftung“ deklariert ist, also als Veranstaltung der theologischen Fakultät. Soweit ist es gekommen: Die Theologen haben Sehnsucht nach der Soziologie! Nach der erfolgreichen Amputation der Soziologie scheint einige wenige regelrechter Phantomschmerz befallen zu haben. Was der gute Herr Ratzinger zu dem sagen würde, was Hans Joas hier vorträgt, weiß man nicht. Aber soviel steht fest: Ganz so einfach wie mit dem religiös wie auch machtpolitisch weichgespülten und katechisierten Jürgen Habermas hätte er es bei Hans Joas nicht.

Noch Dienstag und Mittwoch, 5. und 6. Juni 2012, jeweils 16 Uhr, an der Uni Regensburg, am Dienstag im Großen Sitzungssaal des PT-Trakts (Philosophie-Theologie), am Mittwoch im H4.

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