O Faulheit, erbarme Du Dich des unendlichen Elends! O Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei Du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit!
Paul Lafargue
Man ging ihm aus dem Weg, so gut es ging. Meistens ging es nicht gut, er hatte verdammt scharfe Augen, noch im Delirium, und er war oft im Delirium. Es war Anfang der 90er Jahre, ich wohnte am Fischmarkt. Der Punker-Mike war ein Faktotum in der Stadt. Er terrorisierte die Leute allein durch seine Anwesenheit, durch seine Ekelhaftigkeit, durch seine Hartnäckigkeit, ich kann mich zum Beispiel an eine solche Szene im „Flex“ erinnern, einer kurzlebigen Kneipe im Weißgerbergraben. Selbst der Martin und der Stefan, meine älteren und abgebrühteren Freunde, fürchteten ihn.
Aber dann war da diese Begegnung am Fischmarkt: Der Punker-Mike, wieder mal. Doch diesmal hatte er sich was besonderes ausgedacht. Er hatte sich eine Matratze auf den Rücken geschnallt. Wenn ich’s nicht selber gesehen hätte! Ich weiß nicht, wie er das technisch gemacht hat, jedenfalls funktionierte es astrein. Es war eine eher schmale und auch nicht übermäßig lange Matratze, sie saß ihm wie maßgeschneidert. Natürlich ragte sie über ihn hinaus und bog sich über seinen Kopf nach vorn herunter, sodaß sie gleichzeitig auch noch als Kopfbedeckung diente. Auf jeden Fall war ich sprachlos ob dieser genialen Erfindung und bin es im Grunde noch heute.
Hinter all der Widerborstigkeit und manchmal auch aggressiven Feindseligkeit steckte eben doch ein Philosoph! Und was für einer! Diogenes mit seiner Tonne kann einpacken gegen den Punker-Mike mit seiner Matratze!
All die Schlaumeier und Dampfplauderer, die jahrzehntelang die „menschliche Unbehaustheit“ beklagten und die „existenzielle Obdachlosigkeit“ beschworen – der Punker-Mike hat ihnen für immer das Maul gestopft: Laßt das lamentieren! Schnallt euch eine Matratze um! Problem gelöst!
Nie mehr auf den Rücken fallen und wehrlos wie ein Käfer herumzappeln! Stattdessen: jederzeit auf den Rücken fallen können und auf der Stelle selig einschlafen! (Wie man mit einer Matratze auf dem Rücken allerdings wieder hochkommt – das geht vermutlich doch eher in Richtung strampelnder Käfer, ich hab’s nicht gesehen, wie’s der Punker-Mike gemacht hat.) Auf jeden Fall war sich der Punker-Mike des Problems bewußt: daß man jederzeit als ungeheures Ungeziefer aufwachen kann. Bzw. daß man als berufsmäßiger Punker eh schon von allen als Zecke und sonstwas angesehen wird. Soviel ist sicher: Kafka hätte sich totgelacht, wenn er Anfang der 90er am Regensburger Fischmarkt vorbeigekommen wäre. War Gregor Samsa ein Punker? Nach hundert Jahren emsiger Kafkaexegese eröffnen sich ganz neue Perspektiven!
Nicht minder für die Heiligenverehrung im Bistum Regensburg. Die Resl von Konnersreuth war sieben Jahre lang ans Bett gefesselt, Anna Schäffer ihr Leben lang. Die eine wird dafür seliggesprochen, die andere heilig. Der Punker-Mike hat sich immerhin freiwillig – nein, nicht ans Kreuz schlagen, aber doch an die Matratze binden lassen, und wie er so geringfügig gebückt mit seiner leichten Last am Rücken daherkam, das war natürlich auch eine schier jesusmäßige Allegorie, die Vollendung des Kreuzwegs, die 15. Station: Nach einer endlosen Via dolorosa bricht der Heiland am Fischmarkt zusammen, er kippt nach hinten, doch wer fängt ihn mit sanften Armen auf? Seine weiche Matratze!
Angesichts der nichtendenwollenden Sympathie- und Solidaritätsbekundungen westlicherseits mit den für ihren Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale zu Straflager verurteilten Pussy Riots und der unausgesprochen dahinterstehenden Überzeugung, „bei uns im Westen“ sei so ein drakonisches Urteil nicht möglich, muß man sich nur mal vorstellen, irgendein teuflisch veranlagter Mensch hätte dem Punker-Mike seinerzeit eine Fahrkarte nach Altötting gekauft, der Punker-Mike hätte seine Matratze umgeschnallt und sich auf den Weg gemacht, um den Pilgern, die, ein Holzkreuz auf den Schultern, auf den Knien um die Gnadenkapelle rutschen, Gesellschaft zu leisten… Mit zwei Jahren Straflager wär der Punker-Mike nicht davongekommen! Sondern vermutlich mit lebenslanger Einweisung in die Psychiatrie! Und die Zeitungen hätten darüber einen höhnisch-belustigten Einspalter gebracht, aus, fertig, amen.
Das Pussy-Riot-Fieber im Westen ist eine späte Freilichtinszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“: „Nach Moskau! Nach Moskau!“ Doch wer rühmt den Propheten daheim am Fischmarkt? Der Punker-Mike war wahrlich nicht der geringste unter den Aufrührern!
Unzählige Polizeieinsätze hat der Punker-Mike ausgelöst. Panische Reaktionen angstbesessener Bürger. Wer ihm furchtlos in die Augen schaute, kam mit ihm zurecht. Doch die ganze Stadt war in neurotischer Abwehr auf ihn fixiert. Beim alltäglichen Glockenspielterror von St. Johann oder bei den Vorstandswahlen der Altstadt-CSU ruft niemand die Polizei. Aber wehe, ein Punker provoziert die arbeitsame Bevölkerung mit einer umgeschnallten Matratze!
Jeder hat so sein Päckchen zu tragen! Der Punker-Mike hat das bürgerliche Elend glasklar erkannt. Und mit einem genialen Kunstgriff ein entwaffnendes Erlösungsangebot gemacht, die Melodie kommt, wie der Punk, aus Engelland: Just take a look at the bright side of life! Und dafür wird er ja auch, wie diese Hagiographie zeigt, heute noch verehrt.
Der heilige St. Emmeram steht seit tausend Jahren scheinheilig mit seiner Leiter herum, Don Juan kriegt seinen Fuß nicht vom Türkenkopf herunter, doch der stille Held dieser Stadt ist ein Mann, dessen Insignium die Matratze ist: In hoc signo vinces!
John Lennon hätte sofort ein Lied über ihn geschrieben, die ultimative Weiterentwicklung des bed-in hätte ihm auf der Stelle eingeleuchtet. Jajaja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt! Räder müssen rollen für den Sieg! Da packt den Punker-Mike gleich die Arbeitswut, er kämpft vergeblich dagegen an, er fällt nach hinten um. Wumm.
Graz hat Werner Schwab hervorgebracht, London Sarah Kane, Dortmund Martin Kippenberger, Oberhausen Christoph Schlingensief, Regensburg (neben Wolfgang Grimm) immerhin den Punker-Mike. Seine Bühne: der Haidplatz. Der Fischmarkt. Seine Mitspieler: jeder, der es wagte, über den Haidplatz zu gehen oder der ihm auf dem Fischmarkt in die Quere kam. „Wir sind der Schmerz, nicht die Ärzte.“ Soll Gottfried Benn im Namen der Künstler gesagt haben. Oder stammt der Satz doch vom Punker-Mike?
Adenauer hat das beleuchtete Stopfei erfunden, Samuel Cohen die Neutronenbombe, der Punker-Mike die Immerdabeimatratze.
Heimat bist du großer Söhne: Don Juan d’Austria bewahrte das christliche Abendland vor der Herrschaft der Türken, Ratzinger hielt eine Rede im Audimax, die die halbe islamische Welt in Aufruhr versetzte, der Punker-Mike schlief am Fischmarkt den Schlaf der Gerechten. Auf daß das Wort des Propheten erfüllt werde: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.
„In einer Welt, die vor Tüchtigkeit aus den Fugen gerät“ (Kurt Marti, Leichenreden, 1969), war der Punker-Mike ein Schlummerapfel auf zwei Beinen, ein Sandmännchen in höherer Mission, ein Propagandist der Faulheit und Prediger des Nichtstuns, ein Botschafter der Verweigerung und der Sabotage, der Patron der Faulenzer und Taugenichtse, der Erzfeind aller Gschaftlhuberei und Emsigkeit, der Bloßsteller der allseitigen Beflissenheit und Betriebsamkeit, der Verächter und Verarscher aller Arbeitsamkeit.
Arbeit schändet nicht!? Arbeit macht frei!? Das einzige, was nicht schändet und was frei macht, ist die allgegenwärtige und allzeit verfügbare Matratze! Da schaut der biedere Bürger: Da legst di nieder!
Liebe Brüder und Schwestern, gedenket allzeit des Punker-Mikes! Der da war ein großer Schlendrian vor dem Herrn! Sehet die Lilien auf dem Felde, sie säen nicht, sie ernten nicht, und doch werden sie vom Bauern mit einem Breitbandherbizid ausgemerzt! Sehet dagegen den Punker-Mike auf dem Fischmarkt! Er werkelt nicht, er wuselt nicht, und doch fällt er nach getaner Arbeit immer auf eine weiche Matratze!
Wer dem Punker-Mike nachfolgen will, der verleugne die nationale Arbeitsfront und nehme seine Matratze auf sich! Und so, wie schon der Märtyrer des Matratzenlagers von Horst Seehofer in die Walhalla aufgenommen ward, so wird auch der Punker-Mike dereinst auf marmorner Matratze ruhn!
Ein Hinz ist uns geboren, ein Punk ward uns geschenkt! Michael Hinz – andere Leute, die so heißen, legen sich einen zweiten Vornamen zu, oder zumindest einen abgekürzten: Michael J. Hinz, Michael Maria Hinz. Der Punker-Mike begnügte sich damit, seinen Familiennamen abzuwerfen und seinem Vornamen die Berufsbezeichnung hinzuzufügen: Punker-Mike. Schlichte Erhabenheit. Wie Papst Benedikt. Oder Jack the Ripper. Die Schlichtingers und Viehbachers und Schaidingers dieser Stadt sind austauschbar, von den Grabers und Müllers ganz zu schweigen, man wird sie miteinander verwechseln, sie werden in Vergessenheit geraten. Allein der Punker-Mike wird vor der Geschichte bestehen. Der Adel der Einzigartigkeit umweht ihn. Ein erratischer Solitär, ein Widerporst von Gottes Gnaden, ein Punkerprinz, als sei er vom Himmel gefallen, ein Aristokrat der Armut, ein so aufrichtiger und bedingungsloser Punk, daß er ein Dutzend Dandies in die Tasche gesteckt hätte. Eine Thurn und Taxis und ein Gerhard Ludwig Müller ließen sich PRhalber zusammen mit Folklore-Punkern ablichten. Vor dem Punker-Mike hätten sie Reißaus genommen und nach ihren Bodyguards gerufen.
Eine Stadt, in deren Ehrenbürgerliste unauslöschlich der größte Domspatzenfan und -förderer aller Zeiten, unser geliebter Führer Adolf Hitler, verewigt ist, die aber seit dem 8. Mai 1945 auf ihr Recht pocht, davon nichts mehr hören zu wollen, eine solche Stadt hat sich den Punker-Mike allemal redlich verdient! Besser gesagt: auch so gesehen ist der Punker-Mike allzu früh von uns gegangen! Er hätte diese verkommene Stadt von Rechts wegen noch tausend weitere Jahre piesacken müssen!
Als Kardinalstaatssekretär erteile ich der allseitigen Verehrung des Punker-Mikes hiermit das Nihil obstat!
Regensburg, im November 2012+ Paul Casimir Marcinkus
Wer dem NS-Bürgermeister Schottenheim den Gedenkkranz der Stadt Regensburg gewidmet hat, weiß man weiter nicht. Eines scheint aber festzustehen: Es war kein Sozialdemokrat.
In Donaustauf soll die ehemalige Pension Walhalla in ein Flüchtlingslager umgewandelt werden. Der Besitzer des Gebäudes gilt den Gegnern als „Saubär“, „Arschloch“ und „elender Hund“. Man sei aber schon gastfreundlich. Das und mehr bekamen unsere Gastautoren Emil Mosebach und Mathias Roth bei der Marktratssitzung am Donnerstag zu hören.
Im Sommer wurde in Regensburg ein Gewerkschafter von zwei Neonazis zusammengeschlagen. Das Ermittlungsverfahren gegen die unbekannten Täter hat die Staatsanwaltschaft jetzt eingestellt. Eine Neonazi-Seite darf sich straflos über solche Gewalttaten freuen und weiter Hetze betreiben – obwohl der Server in Deutschland liegt und die Urheber bekannt sind.
Ein städtischer Gedenkkranz auf dem Grab von Otto Schottenheim? Bei der Stadtverwaltung weiß man nichts von solch posthumen Ehren für den einstigen Nazi-Bürgermeister. Trotzdem liegt er da – mit offiziellen Bändern der Stadt. Ein übler Scherz oder der Alleingang eines städtischen Mitarbeiters? Fest scheint zu stehen: Ein solcher Kranz liegt dort um Allerheiligen fast jedes Jahr.
Eine vergleichsweise neue Bewegung gegen Rüstungsexporte aus Deutschland ist die „Aktion Aufschrei“. Am Samstag informierte in Regensburg Pax Christi darüber, wo und womit der weltweit drittgrößte Waffenexporteur Deutschland so Kasse macht.
„Skyfall“ startet in den deutschen Kinos besser als jeder Bond-Film zuvor. Verständlich, versteht es doch kaum ein Franchise ähnlich gut, den Zuschauern deren gewollte Portion popkulturellen Kitsch zu servieren. Dass dieser auch und vor allem ideologisch geprägt ist, enttarnt FilmRISS.
Die Stadt Schwandorf hätte dem Neonazi Daniel W. an Silvester keinen Platzverweis erteilen dürfen. Die Anordnung der Verwaltungsangestellten aus dem Kulturamt, ausgeführt durch die Polizei, war rechtswidrig, da von dem früheren Vorsitzenden der NPD Oberpfalz und des NPD-Kreisverbandes Cham/Schwandorf keine unmittelbare Gefahr ausgegangen sei.
„Von mir ist nie ein kriminelles Potential ausgegangen. Ich habe Waffen einfach nur gemocht. Schon als Kind.“ Am Donnerstag begann die juristische Aufarbeitung einer schlagzeilenträchtigen Waffenrazzia. Verantworten musste sich ein 46jähriger, bei dem die Ermittler ein beträchtliches Arsenal sichergestellt hatten.
Peter Gauweiler trat 1968 als Student in die CSU ein. Selten ist ein Statement zur Weltanschauung einfacher zu interpretieren. Heute fühlt sich der ehemalige Konterrevolutionär und Superkonservative sogar ein klein wenig links und schwelgt gerne in Erinnerungen an damals, als er Fritz Teufel nach Stadelheim fuhr. Die Anekdoten von damals gab Gauweiler bei einer Buchvorstellung an der juristischen Fakultät vor einem mäßig besetzten H24 zum Besten.
Im angeblichen Kampf des Veranstalters Peter Kittel um die Pressefreiheit (mehr dazu hier und hier) wirft sich nun der Landtagsabgeordnete Franz Rieger (CSU) für seinen ehemaligen Wahlkampfmamager in die Bresche. Als Beleg dient Rieger – ebenso wie zuvor schon der Mittelbayerischen Zeitung – ein vier Jahre altes Zitat von Wolbergs gegenüber regensburg-digital.de, das wir in […]
Das Semesterticket scheint nach dem Votum der Studierenden am Dienstag vor dem sicheren Aus zu stehen. Ein Grund zu resignieren? Ganz im Gegenteil. Ein Kommentar von David Liese.
Vor Gericht stand am Dienstag ein gebrochener Mann. Wegen Untreue in über 40 Fällen wurde der Ex-Stadtrat Reinhold F. zu drei Jahren Haft verurteilt. Damit sind nicht nur sein Ansehen und sein Ruf dahin, er verliert auch all seine Pensionsansprüche. Vom jähen Absturz eines Vorzeige-Bürgers.
Die Studenten stimmen mit überwältigender Mehrheit für ein Studententicket, das 59 Euro kosten soll. Die Bahngesellschaften verlangen einen nicht verhandelbaren Anteil von 25 Euro an den Gesamteinnahmen. Das Studentenwerk beugt sich dem Votum der Studierenden und wird die Verhandlungen mit RVV und Bahngesellschaften auf der Basis eines 59-Euro-Tickets führen. Das bedeutet nach über 14 Jahren das Aus für das Semesterticket.
Rebellen gegen alle Widerstände – so geriert sich Frei.Wild. Dabei würden sich die Südtiroler Deutschrocker beim politischen Aschermittwoch der CSU gar nicht schlecht machen.
„Mia san mir und schreim dea me se uns“ – was viele bayerische Landsleute augenzwinkernd dahersagen und nur wenige allzu ernst nehmen, hat Wilfried Scharnagl zu einer Forderung ausgearbeitet. „Bayern kann es auch allein“, behauptet der frühere Redenschreiber von Franz-Josef Strauß und Ex-Chefredakteur des Bayernkuriers in seinem neuesten Buch. Der Kreisverband der CSU Regensburg hat ihn in den Prüfeninger Schlossgarten eingeladen und lauschte nur allzu gerne seinem „Plädoyer für den eigenen Staat“ (Untertitel).
Zwei berühmt-berüchtigte CSUler besuchen Regensburg. Ein angeblicher Angriff auf die Pressefreiheit wird nun auch vom vermeintlichen Opfer thematisiert und eine Stadträtin erteilt dem OB eine Geschichtsstunde. Das und mehr in den Links und Pressemitteilungen.
Gegendemo, nur vier Interessenten und Flucht durch den Hinterausgang: Das Gründungstreffen der Gruppierung „Pro Regensburg“ am Mittwoch war für die Rechtsextremen ein ziemlicher Flop. Am Rande wurde offenbar, wie zerstritten die „Pro-Bewegung“ in Bayern ist. Da heißt es Pro contra Pro.