Aquarelle für den Vorarbeiter
Der Grad an Unterstützung und Aufmerksamkeit durch die Stadt könnte unterschiedlicher nicht sein. Während Kulturreferent Klemens Unger neulich – akkurat am 9. November – im Historischen Museum mit überschäumender Begeisterung und einiger Deutschtümelei („Befreiungskampf der Völker“ gegen Kaiser Napoleon) die Schau „Die Befreiungshalle Kelheim & König Ludwig I.“ eröffnete, besuchten letzte Woche nur OB-Kandidat Joachim Wolbergs und zwei, drei Stadträte die Eröffnung in der Staatlichen Bibliothek.
Dort wurden die außergewöhnliche und sehenswerte Ausstellung „Überleben durch Kunst. Zwangsarbeit im Konzentrationslager Gusen für das Regensburger Messerschmittwerk“ gestartet, ein gleichnamiger Begleitband wurde vorgestellt.
Den Ausgangspunkt dieser Schau und des hervorragenden Begleitbands bildet ein Zufallsfund des Regensburger Antiquars Reinhard Hanausch. Dieser stieß im Jahr 1997 zufällig auf zehn Aquarelle, die der polnische Häftling Franciszek Znamirowski 1944 im KZ Gusen gefertigt hatte. An sich schon ein Glücksfall. Im Lichte der Fundumstände besehen, ist der Fund als eine mittelschwere Sensation zu bezeichnen.
Hanausch fand die Bilder im Nachlass des Regensburgers Karl Seider, der ab 1944 als ziviler Vorarbeiter für Messerschmitt die Malerwerkstatt im KZ Gusen leitete. Seider war in dieser Funktion der direkte Vorgesetzte des Künstlers. Der KZ-Häftling Znamirowski schenkte die besagten Aquarelle Karl Seider 1944 zum Geburtstag. Vor dem Krieg diente Znamirowski als Major in der polnischen Armee, 1939 nahm er an der Verteidigung Warschaus teil, um danach bis zu seiner Verhaftung 1943 in der „Armia Krajowa“ (deutsch: Heimatarmee) im Untergrund gegen die Deutschen zu kämpfen.
Derzeit können Znamirowskis frisch renovierte Bilder, die Hanausch der Staatlichen Bibliothek vermachte, in der Gesandtenstraße 13 besichtigt werden.
Empathie für die Opfer
Hanausch war es, der die etwa 200 Gäste im Evangelischen Bildungswerk (EBW) mit einem Zitat des Philosophen Walter Benjamin begrüßte: „Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen, wie es denn eigentlich gewesen ist.“ Es gehe vielmehr darum, „sich einer Erinnerung zu bemächtigen“ und Empathie für die Opfer zu zeigen. In einem schlaglichtartigen Rückblick erzählte der Antiquar von seiner Motivation und dem Zufallsfund der Aquarelle im Jahr 1997. Er dankte seinen Unterstützern und Freunden, die ihn auf dem 15-jährigen Weg bis zu dieser Ausstellung begleiteten. Möglich sei Ausstellung und Publikation durch einen Zuschuss der Regensburger Sparkasse geworden, die dafür 10.000 Euro spendete. Ein großzügiger Beitrag zur Erforschung der Vergangenheit. Die Zentrale der Sparkasse befindet sich auf dem Areal der ehemaligen Messerschmittwerke.
Dusan Stefancic: „Schlimmste Zeit meines Lebens“
Als Überlebender des Konzentrationslagers Gusen sprach Dusan Stefancic als Ehrengast ein kurzes Grußwort. Das KZ Gusen war im April 1940 20 Kilometer südöstlich von Linz neben einem Steinbruch errichtet worden. Stefancic, seit fünf Jahren Präsident des Comité International de Mauthausen, reiste dafür aus der slowenischen Hauptstadt Ljubljana an. Er wurde im Januar 1944 als 16-jähriger Widerständler im vom Nazideutschland annektierten Slowenien von Kollaborateuren verhaftet und in diverse Konzentrationslager verschleppt. Seit Sommer 1944 musste Stefancic im Gusener Konzentrationslager unter fürchterlichen Bedingungen Zwangsarbeit für die Regensburger Messerschmitt GmbH leisten. Die Flugzeugwerke hatten die Produktion der Kampfflugzeuge Bf 109 und Me 262 dorthin verlagert. Die „schlimmste Zeit“ seines Lebens habe er dort verbracht, so Stefancic. Für weitere Details verwies der Redner auf seinen Aufsatz im Begleitband, wo seine Erinnerungen als Messerschmitt-Zwangsarbeiter erstmals veröffentlicht werden.
Der Bericht des Zeitzeugen, der schildert, wie es eigentlich war, scheint übrigens nicht so recht zum oben zitierten geschichtsphilosophischen Diktum von Walter Benjamin zu passen.
Vorstellung des umfangreichen Begleitbands
Es ist ein kaum überschaubares Themengeflecht, das in der Ausstellung und vor allem im Begleitband behandelt wird: Kunst im KZ, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeit, Messerschmitt Regensburg als nationalsozialistischer Muster-Rüstungsbetrieb, Geschichte und Rüstungsproduktion des KZ Gusen, Biografien von Zwangsarbeitern bei Messerschmitt, darunter auch die Lebensgeschichte von Znamirowski, Bildforschung und weitere Themen werden in insgesamt 19 Beiträgen von 16 Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Polen und den USA behandelt.
Dass die Stadt Regensburg weder die Ausstellung noch die Publikation unterstützte, überrascht kaum. Der Kulturreferent Unger betrachtet die Flugzeugwerke Messerschmitts schließlich als beispielhaft für „wirtschaftlichen Fortschritt, politisch demokratische Stabilität und kulturelle Identität“ der Regensburger bzw. der Bayern. Mit diesem affirmativen Verständnis vom nationalsozialistischen Musterbetrieb Messerschmitt warb Unger bekanntlich für das Haus der Bayerischen Geschichte.
Festvortrag zu „Zwangsarbeit im Dritten Reich“
Mark Spoerer, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Regensburg und einer der wenigen Fachhistoriker für NS-Zwangsarbeit, leitete seinen Vortrag mit einer Begriffsbestimmung ein. Unter Zwangsarbeitern verstehe man Menschen, die gegen ihren Willen und meist fernab von ihrer Heimat in einem Arbeitsverhältnis stehen, auf dessen konkrete Ausgestaltung sie kaum oder keinen Einfluss nehmen können. Man unterscheidet drei Gruppen: zivile Arbeitskräfte aus dem Ausland, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Erstere seien anfangs zum Teil auch freiwillig nach Nazideutschland gekommen, jedoch überwog auch hier bald der reine Zwang. Aus fast allen Gebieten, die die deutsche Wehrmacht unterjocht hatte, kamen Zwangsarbeiter. Als Ausnahme nannte Spoerer Norwegen und Dänemark. Die Mehrheit der Zwangsarbeiter kam allerdings aus dem Osten. Insgesamt geht man von 11,5 Millionen Personen aus, die auf dem Territorium des Dritten Reichs schuften mussten. Für die von den Deutschen besetzten Gebiete jedoch gebe es keine detaillierten Untersuchungen, man müsse für diese Räume aber nochmals von mindestens der gleichen Anzahl an Zwangsarbeitern ausgehen.
Messerschmitt-Zwangsarbeit: Erst in Flossenbürg, dann Gusen
Im Frühjahr 1942 wurde die Deportation von Arbeitskräften unter dem „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ Fritz Sauckel neu systematisiert und ab Sommer desselben Jahres griffen die Nazis auch auf KZ-Häftlinge zurück. Die Gefangenen des Konzentrationslagers Flossenbürg gehörten hierbei zu den Ersten, die für die Rüstungsproduktion herangezogen wurde. Die Regensburger Messerschmitt GmbH verlagerte ihre Teileproduktion ab Sommer 1943 teilweise direkt in die Konzentrationslager von Flossenbürg und Gusen. Dort trafen Znamirowski, der damals als KZ-Häftling aus Auschwitz kam, auf den deutschen Messerschmitt-Vorarbeiter Karl Seider.
Menschlichkeit an einem unmöglichen Ort
Spoerer rundete seine Einführung mit einer Skizze der Handlungsspielräume von Karl Seider als Vorarbeiter in Gusen ab. Hierbei sei es von Bedeutung, dass Seider – soweit bekannt – seine ihm untergebenen Zwangsarbeiter in der Malerwerkstatt nicht tyrannisierte oder schlug. Die rassistische Hierarchie bzw. die Rechtlosigkeit der Gefangenen hätte dies Seider als sogenanntem „Herrenmensch“ ohne weiteres erlaubt. Obwohl verboten, schien Seider privaten Umgang mit Znamirowski gepflegt und ihn geschützt zu haben. In einer Bildunterschrift schildert der polnische Maler, der 1972 in Kannada verstarb, den deutschen Vorarbeiter als „gut gesinnt“. Seider, der Ende 1937 in die NSDAP eingetreten war, habe, so Spoerer weiter, an einem Ort „Menschlichkeit bewiesen“, wo es in der Regel überhaupt nicht für möglich gehalten werde.
Die herausragende Bedeutung der von Hanausch gefundenen und als bedeutsam erkannten Aquarelle liege darin, dass sie ein greifbares Zeugnis für „die unwahrscheinlich Solidarität zwischen einem Deutschen und dem Gusener KZ-Häftling“ darstellen.
Die Ausstellung „Überleben durch Kunst. Zwangsarbeit im Konzentrationslager Gusen für das Regensburger Messerschmittwerk“ läuft in der Staatlichen Bibliothek bis zu 31. Januar 2013. Neben den Aquarellen werden Archivalien und Bilder über das KZ Gusen, die Messerschmittwerke, den Künstler und zu NS-Zwangsarbeit ausgestellt. Öffnungszeiten: Mo – Fr: 9-18 Uhr, Sa: 14-18 Uhr, Eintritt frei.
Zum Begleitprogramm:
Am 27. November handelt ein Vortrag von Dr. Heike Wolter (Uni Regensburg), Barbara Völkl und Sabrina Schön (Schüler des Gymnasiums Neutraubling) im EBW von der Geschichte und Erinnerungsgeschichte des KZ-Außenlagers Obertraubling.
Am 12. Dezember spricht Dr. Roman Smolorz über die von ihm erstmals erforschten Biographien der beiden Protagonisten der Ausstellung: Franciszek Znamirowski und Karl Seider.
Der Begleitband:
Reinhard Hanausch, Bernhard Lübbers, Roman Smolorz, Mark Spoerer (Hg.): Überleben durch Kunst. Zwangsarbeit im Konzentrationslager Gusen für das Messerschmittwerk Regensburg, Peter Morsbach Verlag Regensburg 2012; ISBN 978-3-937527-52-9, 343 Seiten. Preis: 14,90 €.