Das Leben von Menschen oder ein paar Stücke Papier?

Seit Samstag befinden sich in München 55 Flüchtlinge im Hungerstreik. Vier wurden bereits ins Krankenhaus eingeliefert. Fotos: privat
„Hierzulande ist Politik nicht erpressbar, wir leben in einem Rechtsstaat, wo man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen kann.” Sozialministerin Christine Haderthauer an die hungerstreikenden FlüchtlingeNach einer Demonstration in München, an der sich am Samstag rund 400 Personen beteiligten, haben mehrere Asylsuchenden gemeinsam mit Unterstützern den Rindermarkt in München besetzt. Die Polizei duldete dies zunächst. Mittlerweile ist die Versammlung angemeldet. Transparente hängen in einem Kreis und in der Mitte liegen, sitzen und stehen die Asylsuchenden unter Pavillons und Planen. Auch Mohammad Kalali und Omid Moradian befinden sich im Hungerstreik. Die beiden Iraner gehören zu den Organisatoren des Protestcamps, das sich von Juli bis September 2012 auf dem Regensburger Neupfarrplatz befand. Sie leben derzeit mit einer sogenannten Duldung in Deutschland und sind laut dieser„ausreisepflichtig“.
Proteste bereits seit März 2012
Mohammad Kalali protestiert bereits seit März 2012 für eine menschenwürdige Behandlung. Fotos aus Würzburg, auf denen er sich die Lippen zugenäht hatte, sorgten bundesweit für Aufregung. Ebenso seine Reise gegen die Residenzpflicht, die er vom Protestcamp in Regensburg aus startete. Er besuchte die zu dieser Zeit Protestzelte von Asylsuchenden in Bamberg, Aub, Würzburg und Düsseldorf. Im August 2012 wurde sein Asylantrag vor dem Verwaltungsgericht in Regensburg abgeschmettert. Begründung: Er sei keine exponierte Person bei den Protesten und habe bei einer Abschiebung in den Iran nichts zu befürchten.

„Am Mittwoch, den 28.11.2012, betraten wir, einige politische Aktivist_innen, um 14 Uhr das Gelände der Iranischen Botschaft, um die politischen Gefangenen im Iran zu unterstützen und unsere Abscheu über das Vorgehen des islamischen Regimes gegenüber Oppositionellen zu demonstrieren. Wir glauben, dass dieses Gelände ein Symbol dieses Regimes in Deutschland ist. Indem wir die offizielle Flagge der Islamischen Republik entfernten, griffen wir deren Identität an und verlangen im Rahmen dieser Aktion die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen. Wir wollen die internationale Gemeinschaft auf die Verbrechen aufmerksam machen, die täglich in den iranischen Gefängnissen stattfinden.“ Dritte Pressemitteilung der Aktivist_innen der Aktion an der iranischen Botschaft in BerlinAuch Houmer Hedayatzadeh hat bei dem am Protestcamp in Regensburg teilgenommen. Er lief nach Berlin, trat in den Hungerstreik und gehörte ebenfalls zu den Besetzern der iranischen Botschaft.
Flüchtlingsstatus Glückssache?
Am 30. April wurde ihm vom Verwaltungsgericht Regensburg der Flüchtlingsstatus zugesprochen – die Verhandlung dauerte keine 30 Minuten. Er sei eine exponierte Person bei den Protesten gewesen, so die Begründung. Zur Aktion an der iranischen Botschaft stellt das Urteil fest: „Es ist davon auszugehen, dass die Teilnehmer dem iranischen Geheimdienst bekannt sind. Das Gericht ist zwar der Überzeugung, dass allein die Teilnahme an diesem Ereignis kein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates auslösen würde.“ Im Falle von Houmer sei das ganze aber in einer „Gesamtschau“ zu sehen. Gemeinsam mit Mohammad, Omid und weiteren Asylsuchenden organisierte Houmer im März 2013 einen Kongress in München. Dort prägten sie den Begriff der Nichtbürger: Diejenigen, die ausgeschlossen sind von dem, was für den Bürger das Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe ist. Die sich auf engstem Raum in „Gemeinschaftsunterkünften“ zurecht finden müssen, die etwa in Bayern immer noch mit (überteuerten) Essenspaketen anstelle von Bargeld versorgt werden, deren Integration explizit unerwünscht ist und die den Mund zu halten und dankbar zu sein haben dafür, dass man sie doch sowieso noch halbwegs menschlich behandelt.„Sie machen das alles, damit der Flüchtling irgendwann aufgibt“
Warum dieser Protest? Wir veröffentlichen dazu eine persönliche Erklärung von Houmer Hedayatzadeh:
Houmer Hedayatzadeh (hier bei seiner Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg): “Sie bringen uns tagtäglich Stück für Stück um, vielleicht nicht physisch aber psychisch, sie zerstören dich.” Foto: as
Sozialministerin will sich nicht „erpressen“ lassen
Es folgten weitere Protestzelte in Bayreuth, Augsburg, Aschaffenburg, Würzburg, Schweinfurt, Nürnberg, Landshut und zuletzt in Regensburg. Sie besuchten von dort aus die Gemeinschaftsunterkünfte und erzählten den Asylsuchenden von ihrem Protest. Nun sind sie mit vielen von ihnen in München am Rindermarkt in einen Hungerstreik getreten.