„Das Problem ist, dass das Gesetz so ist“
„Die Residenzpflicht ist mir scheißegal.“ Mit diesem Satz kündigte Mohammad Kalali im Juli 2012 an, sich nicht an dieses deutsche Sondergesetz zu halten, das dem Iraner verbietet, die Oberpfalz zu verlassen. In Begleitung des Journalisten Stefan Aigner reiste Kalali quer durch die Republik und besuchte andere protestierende Flüchtlinge. Das Amtsgericht in Cham verurteilte ihn am Donnerstag zu einer Geldstrafe von 250 Euro wegen mehrere Verstöße gegen die Residenzpflicht. Er hat dagegen Berufung eingelegt.
Von Emil Mosebach
„Wie ist ihr Familienstand?“, fragt der Richter den Angeklagten. „Meine Familie wo ist“, antwortet Mohammad Kalali. Der Richter stutzt. „Ihr Anwalt hat mir nicht mitgeteilt, dass Sie einen Dolmetscher brauchen.“ Auch aus den Akten sei dies nicht hervorgegangen. „Ich verstehe nicht. Ich schon zwei Jahre hier, aber bekomme keine Deutschkurs“, erwidert Kalali. Und so steht bereits nach vier Minuten eine Unterbrechung der Verhandlung am Amtsgericht Cham an. Zum Glück findet sich im Publikum eine Dolmetscherin. Und so kann die Aufnahme von Kalalis Personalien fortgesetzt werden.
Sachbearbeiter sperrt sich gegen Arbeitserlaubnis
Auf die Frage des Richters nach Kalalis Beruf, verweist dieser auf die Tatsache, dass es ihm verboten ist, in Deutschland zu arbeiten. Dabei weist er mit einer Geste auf einen der Zuhörenden: seinen Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde Cham, der die Verhandlung interessiert verfolgt. Später – nach der Verhandlung – wird Kalali erklären, dass er kürzlich einen Aufenthaltsstatus mit eingeschränkter Arbeitserlaubnis erhalten hat, dieser Sachbearbeiter jedoch weiterhin auf stur schaltet und ihm das Recht, zu arbeiten verweigert.
Nur vier Verstöße werden verhandelt
Dann ergreift der Staatsanwalt das Wort. Obwohl Mohammad nach eigener Aussage mehr als 25 Mal bei Verstößen gegen die Residenzpflicht von der Polizei kontrolliert wurde, kommen in der Anklage nur vier Fälle zur Sprache – vom Juni, Juli und August 2012 in Nürnberg und Würzburg. Auch der Verstoß während seiner öffentlichen Reise gegen die Residenzpflicht wird nicht aufgeführt, obwohl er im selben Zeitraum stattfand.
Kalali gibt offen zu, an den besagten Tagen nicht in der Oberpfalz gewesen zu sein – der Richter wird ihm das später positiv anrechnen: als „Geständnis“. Kalali, der als politischer Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland kam, betont indes, dass er sich nicht an Gesetze halten werde, die elementare Bereiche seines Lebens beeinflussen und ihm keine eigene Entscheidungsmöglichkeit lassen.
Dass sowohl der Richter als auch der Staatsanwalt Kalali ausführlich erklären, dass dieser sich – wie Gericht und die Staatsanwaltschaft auch – an die bestehenden Gesetze gebunden seien, ändert daran nichts. „Das Problem ist, dass das Gesetz so ist“, konstatiert der Richter. Kalali erwidert darauf, dass dieses Gesetz eben nicht von jenen Menschen gemacht wurde, die davon betroffen seien.
Das Problem mit dem Gesetz…
Am Ende wird er schließlich zu 50 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt. Damit hat er gerechnet, seine Anwältin wird Berufung einlegen. Die nächste Instanz wird dann das Landgericht Regensburg sein. Vor den Augen von Journalisten, Polizisten und dem Sachbearbeiter der Chamer Ausländerbehörde stellt sich Kalali im Anschluss an die Verhandlung mit einigen Unterstützern vor das Amtsgericht, um weiter für die Abschaffung der Residenzpflicht zu demonstrieren.
Die Residenzpflicht wurde im Jahr 1982 im Rahmen des Asylverfahrensgesetz eingeführt. In Bayern und Sachsen bedeutet dies, dass Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge den ihnen zugewiesen Regierungsbezirk nicht verlassen dürfen. In allen anderen Bundesländern wurde die Residenzpflicht bereits auf das Bundesland ausgeweitet. „Dieses Gesetz ist Teil der 1982 begonnen Abschreckungsdoktrin, die 1993 durch die de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl vollendet wurde“, so eine Unterstützerin aus Regensburg nach der Verhandlung. „Und es ist nicht nur die Residenzpflicht, die sofort abgeschafft werden muss.“
Rindermarkt-Aktivist in Regensburg anerkannt
Zeitgleich zu der Verhandlung in Cham wurde vor dem Verwaltungsgericht Regensburg der Asylantrag eines des Iraners Mehdi Mahdawizadehs verhandelt. Er gehört zu den Aktivisten, die vor etwa einem Monat an dem Durststreik am Münchner Rindermarkt teilgenommen hatten. 90 Minuten dauert die Befragung durch das Gericht und einen Vertreter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, in deren Zuge Mahdawizadehs letztlich beweisen musste, dass er nicht lügt. Am Ende wurde er vom Gericht als politisch Verfolgter anerkannt.