Einsatzstrategie: Eskalation der Gewalt (Video)
Warum brechen Polizisten jemandem die Rippen, gegen den sie nicht einmal Anzeige erstatten, geschweige denn seine Personalien aufnehmen? Die Gewalt bei der Räumung der Blockade gegen den NPD-Truck am Donnerstag war nicht nur sinnlos, sie wurde von der Einsatzleitung billigend in Kauf genommen – auch auf Kosten ihrer eigenen Beamten.
Drei Beamte der Bereitschaftspolizei drücken einen jungen Mann auf den mit Glasscherben übersäten Boden, einer kniet auf seinem Kopf, während ihm ein anderer Handschellen anlegt. Unter anderem der Bayerische Rundfunk veröffentlichte am Donnerstag dieses Foto, das symbolisch für die gewaltsame Auflösung der Blockade gegen den NPD-Truck am Domplatz steht. Auf einem Video, das unserer Redaktion vorliegt (siehe unten), ist zu sehen, wie einer der Polizisten regelrecht mit dem Knie auf den Kopf des regungslosen Mannes springt. Doch was hat der am Boden liegende Demonstrant gemacht und was waren die Folgen des rabiaten Polizeieinsatzes?
Wir haben den 22jährigen ausfindig gemacht und mit im gesprochen. Seinen Namen veröffentlichen wir vorerst nicht und auch die Polizei kennt ihn offenbar nicht. „Es wurden weder meine Personalien aufgenommen, noch wurde Anzeige gegen mich erstattet“, sagt er uns. Er sei aus der Blockade, in die er „irgendwie hineingeraten“ sei, herausgezerrt, einige Meter abseits gebracht und dann auf den Boden geworfen worden. Mit Handschellen am Rücken wurde er dann in Richtung Westportal abgeführt. „Dort hat mir ein Polizeiarzt kurz in die Augen geschaut und gesagt: ‘Dem fehlt nichts.’“
Dann seien ihm die Handschellen abgenommen worden und einer der Beamten habe ihm mit den Worten „Verpiss Dich“ Platzverweis erteilt. Passanten riefen schließlich einen Krankenwagen, der den ihn ins Uniklinikum brachte. Die Bilanz der Polizeiaktion: Eine gebrochene Rippe, eine leichte Gehirnerschütterung, Schürfwunden und Prellungen. „Der Notarzt hat das Video gesehen und mir geraten, Anzeige zu erstatten“, erzählt uns der junge Mann. Nun will er sich mit seinem Rechtsanwalt beraten.
Aufnahmen immer wieder behindert
Das Ganze ist kein Einzelfall. Uns liegen Aufnahmen von zwei weiteren Festnahme vor, die ein ähnlich „tatkräftiges Vorgehen“ der Beamten zeigen: Die Betroffenen werden zu Boden geworfen, mit Knie auf dem Kopf nach unten gedrückt. Dann werden Handschellen angelegt. Die Polizei war am Freitag nicht mehr für eine Stellungnahme zu erreichen, doch nach bisherigen Recherchen unserer Redaktion scheint es in keinem der Fälle eine Anzeige gegen die Betroffenen gegeben zu haben.
Unser Kameramann, der die Festnahmen gefilmt hat, die durchweg abseits des Getümmels stattfanden, wurde zunächst bei seinen Aufnahmen immer wieder behindert. Schließlich wurde ihm ein Platzverweis erteilt. „Zu Ihrer eigenen Sicherheit“, so der zuständige Einsatzleiter wörtlich.
Der Druck kam nicht aus der Blockade
Doch wie kam es zu dieser Eskalation, nachdem die Einsatzkräfte zuvor noch durchaus besonnen und deeskalierend aufgetreten waren? Flaschenwürfe oder Gewalt von Seiten der Blockierer, wie sie in einer Pressemitteilung der Polizei als Grund angeführt werden, konnten von unserer Redaktion nicht beobachtet werden. Kollegen von anderen Medien, die das Geschehen beobachtet und mit denen wir gesprochen haben, bestätigen diese Wahrnehmung. Geflogen sind nicht Flaschen, sondern Konfetti und Luftschlangen.
Betrachtet man Aufnahmen und Fotos von der Räumung der Blockade kann man nur von einer fatalen Strategie der Einsatzleitung sprechen, die eigentlich nur zu einer Eskalation führen konnte.
Mit Bus und Lkw durch Menschenmassen
Während die Polizeibeamten zunächst vergleichsweise ruhig vorgehen und jeweils mit den Personen sprechen, die sie anschließend – noch mit Zerren und Ziehen – aus der Blockade herausholen, rollen von hinten der NPD-Truck und zwei Begleitbusse im Zentimeterabstand durch die Menschenmassen – abgeschirmt von Bereitschaftspolizisten, die dabei immer mehr zwischen den Fahrzeugen und den Gegendemonstranten eingeklemmt werden.
Als es immer enger wird, auch deshalb, weil immer mehr Menschen aufstehen, um die Blockade zu verlassen, beginnt das Ganze zu eskalieren. Hektisch, teilweise panisch greifen die Polizisten zu Schlagstöcken und Pfefferspray, schlagen zu und treten, um sich Platz zu verschaffen. Auch Passanten außerhalb der Blockade, die irgendwie im Weg stehen, bekommen Schläge und Reizgas ab. Bürgermeister Joachim Wolbergs, der zunächst inmitten der Einsatzkräfte versucht, deeskalierend auf die Blockierer einzureden, zieht sich zurück.
Gewalt wird billigend in Kauf genommen
„Der Fairness halber“ müsse man sagen, dass „der Druck auf die Einsatzkräfte immer weiter gestiegen sei“, wird er später mehreren Journalisten sagen. Da hat er in gewisser Weise recht. Der Druck kam allerdings nicht von Seiten der Blockierer, sondern von hinten. Durch die Fahrzeuge und nachdrängende Polizisten.
Was wäre geschehen, wenn einer der Fahrer von der Kupplung rutscht? Wenn ein Beamter oder Passant zu Fall kommt und unter die Räder gerät? Man will es sich nicht vorstellen. Und das geschah alles völlig ohne Not.
2012: Friedliche Auflösung der Blockade
Als der NPD-Truck im vergangenen Jahr in Regensburg war, gab es ebenfalls eine Blockade. Damals auf dem Neupfarrplatz. Diese wurde ohne Knüppel und Reizgas aufgelöst. Die Demonstranten wurden zunächst durch Gespräche zum Gehen aufgefordert. Wenn das nichts half, weggetragen und im Zweifel wandten die Beamten auch „Schmerzgriffe“ an. Der NPD-Lkw fuhr erst los, als der Weg frei war.
Über Sinn und Unsinn der Blockade vom Donnerstag mag man streiten. Damit wurde weder der Auftritt in Regensburg verhindert, noch hatte der braune Konvoi für die Donnerstag eine weitere Station auf dem Programm.
Einsatzleitung gefährdet bewusst Menschenleben
Die gewalttätige Eskalation bei der Räumung ist indes dem Versagen der Einsatzleitung geschuldet, die durch ihre Strategie nicht nur Leib und Leben der Demonstranten, sondern auch ihrer eigenen Beamten bewusst aufs Spiel gesetzt hat. Einer der Verantwortlichen: Polizeidirektor Wolfgang Mache.