„Regensburg ist eine Übermutter“
Tina Lorenz ist nicht nur die einzige Frau im OB-Kandidaten-Reigen. Die 32jährige Theaterdozentin ist auch die einzige, bei der noch unklar ist, ob sie überhaupt zur Wahl antreten darf: Den Piraten fehlen bis zum Stichtag am 2. Februar noch über 250 Unterstützerunterschriften. Vom Leder zieht sie trotzdem: Auf Podiumsdiskussionen, bei Protestaktionen und bei uns im Interview.
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Ihr “Herz für Regensburg” erfährt recht wenig Unterstützung: OB-Kandidatin Tina Lorenz.
Frau Lorenz, was ist mit den Piraten los? Im Internet ist Ihre Partei hochaktiv. Außerhalb veranstalten Sie immer wieder Protestaktionen, die – zumindest medial – für Aufsehen sorgen, aber die Unterschriften, um bei der Kommunalwahl anzutreten, scheinen Sie nicht zusammenzubekommen (Etwas mehr als 100 von rund 400 notwendigen Unterstützern haben bislang bei der Stadt unterschrieben. Anm. d. Red.). Reicht die Unterstützung außerhalb des Internets nicht mal für das?
Wir sind eine kleine Partei und haben deutlich weniger Budget als die anderen: 700 Euro waren das und die sind schon weg. Wir können uns also keine großen Werbeaktionen oder Unterstützungsaufrufe leisten. Natürlich ist es deutlich einfacher, bei Facebook etwas zu liken oder sich zu empören, als sich im Winter mit dem Pass ins Bürgerbüro zu begeben und zu unterschreiben. Wir haben auch eine ganz andere Situation als vor sechs Jahren. CSB und Linke konnten ihre Unterschriften direkt vor dem Bürgerbüro in der Maxstraße sammeln. Dort, wo die Leute vorbei laufen. Jetzt ist das Büro an der Martin-Luther-Straße, beim Neuen Rathaus. Wir dürfen nicht direkt davor stehen, weil es eine unspezifische Bannmeile gibt. Wir dürfen auf der anderen Straßenseite sammeln. Da gibt es einen Biomarkt, eine Baustelle und eine Bushaltestelle. Da ist ja fast niemand. Und diese Wenigen müssen wir dann noch dazu bewegen, über die Straße zu gehen. Aber es wird schon noch klappen.
„Wir sind keine zweite Liste Alz.“
Die Aktionen, mit denen sie es in der Vergangenheit in die Medien geschafft haben, waren vielleicht nicht unbedingt dazu angetan, sich Sympathien zu erwerben: Bobbycar-Rennen vom Galgenberg, Champagner-Trinken vorm Bahnhof, sich nackt oder halbwegs nackt oder irgendwie nackt ausziehen, um gegen den Besuch des US-Botschafters zu protestieren. Spaßpartei hatten wir in Regensburg schon mal.
Ich höre jeden Tag von Leuten: „Die Piraten finde ich scheiße, aber was Du da neulich in der Zeitung gesagt hast, find ich gar nicht verkehrt.“ Stimmt schon: Wir haben einen extrem schlechten Ruf. Bundesweit und hier in Regensburg ganz besonders. Weil wir laut sein müssen, um wahrgenommen zu werden. Deshalb werden wir häufig nur in unserer Lautstärke wahrgenommen und nicht mit unseren Inhalten.
Diese Aktionen hatten nämlich alle einen ganz konkreten Hintergrund. Beim Bobbycar-Rennen ging es um fahrscheinlosen Nahverkehr, am Bahnhof um die neue Verdrängungsdoktrin der Polizei und beim Botschafterbesuch haben wir gegen die Praxis geheimdienstlicher Überwachung protestiert. Wenn dann alle Medien schreiben, dass wir uns nackt ausziehen werden, obwohl das in keiner unserer Presseankündigungen so stand – so what. Wir sind eine APO, außerhalb des Gremiums Stadtrat. Das heißt, wir müssen immer ein bisschen lauter sein. Wir sind aber keine Spaßpartei oder eine zweite Liste Alz, obwohl ich die sehr liebe. Wir haben ein Programm. Wir haben Ideen für Regensburg.
„Das Motto im Stadtrat: Die Piraten sind sowieso dämlich.“
Seit kurzem haben Sie ja eine Stadträtin, um Inhalte einzubringen. Ewa Tuora-Schwierskott hat die Grünen verlassen und ist Piratin geworden. Sie hat seitdem unter anderem damit Schlagzeilen gemacht, dass sie Kifferbuden für Regensburg gefordert hat. Ein Thema, für das die Kommune überhaupt nicht zuständig ist. Vor kurzem hat sie drei Anträge gestellt, bei deren Behandlung sie nicht anwesend war und die von der übergroßen Mehrheit des Stadtrats dann ohne Debatte als unbrauchbar abgebügelt wurden.
Ewa musste beruflich nach Polen und hatte die Stadtverwaltung schriftlich um die Verschiebung ihrer Anträge gebeten. Aber das war dem Oberbürgermeister egal. Er hat noch süffisant rumgelästert. Wie unsere Anträge ansonsten behandelt werden, es waren mehr als Sie hier erwähnen, finde ich darüber hinaus sehr schade.
Wir haben zum Teil nichts anders gefordert, als andere Parteien es schon vor uns oder gleichzeitig gemacht haben. Die Übertragung von Stadtratssitzungen im Internet hat die FDP schon zwei Mal beantragt. Freies W-Lan in Regensburg fordern auch die Freien Wähler. Unsere Anträge wurden auch nicht abgelehnt, weil sie blödsinnig sind, sondern weil der politische Wille fehlt. Nach dem Motto: Die Piraten sind sowieso dämlich.
Selbst der Antrag zu Cannabis Social Clubs hatte Hand und Fuß. Das sind keine Kifferbuden, sondern eine Art Homegrowing-Vereine. Die Leute treffen sich, tauschen Samen aus und züchten diese Pflanzen für den Eigenbedarf. Das ist deswegen auch für Regensburg relevant, weil man das Ganze als wissenschaftlichen Feldversuch anmelden könnte. Und der darf in einer Kommune stattfinden. Das ist die gesetzliche Möglichkeit, auf die wir hinweisen wollten. Aber das hat anscheinend keiner im Stadtrat verstanden.
„Wir finden es schön, wenn die CSB uns kopieren.“
Selbst wenn alle Anträge der Piraten Hand und Fuß haben sollten: Hat Regensburg keine dringlicheren Probleme als das Fehlen von Homegrowing-Vereinen und freies W-Lan?
Wir mischen uns bei vielen Themen ein. Natürlich haben wir unsere Kernthemen, aber wir sehen, dass die Hauptprobleme dieser Stadt nicht bei Livestreams aus dem Stadtrat liegen.
Beim ÖPNV etwa fordern wir den fahrscheinlosen Nahverkehr. Das haben wir auch durchgerechnet. Jeder bezahlt eine Pauschalabgabe und jeder darf die Busse nutzen, in Stadt und Landkreis. Dann braucht es auch keine Kontrolleure mehr und es müssen nicht, wie jetzt geplant, alle vorn beim Fahrer einsteigen. Wir fordern außerdem Nachtbusse, die diesen Namen auch verdienen. Was es da im Moment gibt, ist eher ein schlechter Witz. Wir möchten außerdem, dass die Idee einer Stadtbahn weiter verfolgt wird.
Wir möchten die Sperrzeiten abschaffen. Was passiert denn, wenn man die Leute alle um zwei aus den meisten Kneipen rausschmeißt? Ich wohne im Obermünsterviertel. Die stehen erst mal alle Punkt zwei da draußen und holen sich nen Döner. Dann geht es bis vier in die Clubs und zwischen vier und sechs steht wieder alles auf der Straße rum, weil die Züge erst um fünf oder sechs wieder fahren.
Aber solche neuen Ideen vorzubringen, funktioniert nicht. Das sind doch die Piraten. Das sind Dummköpfe und Querulanten. Darüber diskutieren wir nicht. So sieht’s doch aus.
Von diesen Inhalten bekommt man wenig mit. Sie haben ein Plakat mit „Ein Herz für Regensburg“. Das unterscheidet sich jetzt nicht so sehr von den ersten Plakaten der SPD („Regensburg ist ein Geschenk“), der CSU („Der kann’s“) oder den Grünen („Die Grünen“). Am ähnlichsten ist das sogar noch der CSB, bei der Christian Janele „Regensburg im Herzen“ trägt.
Wir haben ein Herz für sehr vieles. Auch für die Copy&Paste-Kultur und wir finden es schön, dass die CSB uns kopiert haben. Wissen und Ideen vermehren sich ja, wenn man sie teilt. Zu unserem Herz: Wir haben keine Werbeagentur. Wir haben kein Geld. Wir machen einen improvisierten Wahlkampf. Ehrenamtliche machen die Plakate. Der Slogan „Ein Herz für Regensburg“ ist zunächst mal einfach etwas Positives. Das Herz ist gepixelt, das weist auf unseren Markenkern hin: den digitalen Wandel. Und als letztes wollen wir damit vor allem Jüngere ansprechen. Das wäre auch mal nötig bei diesem alten Stadtrat.
„Im Stadtrat sind zu wenig Junge.“
Sie reiten gern auf dem Alter des Stadtrats herum. Jetzt im Gespräch, aber auch schon früher in Pressemitteilungen. Müssen alle Personen jenseits der 40 damit rechnen, von Ihnen wegen ihres Alters diskriminiert zu werden?
Ach. Das hat mir Jürgen Huber schon mal ein bisschen krumm genommen. Dabei meine ich das gar nicht so. Und schon gar nicht persönlich. Auch Jürgen Huber ist trotz seines Alters sicher ein wundervoller Politiker, aber wenn ich mir die Altersstruktur im Stadtrat anschaue, dann ist meine Generation eine extreme Minderheit. Da gibt es zwei oder drei, die unter 40 sind. Wenn ich darauf hinweise oder das auch mal überspitze, dann ist das nicht altersdiskriminierend. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Dass so wenig Leute unter 40 im Stadtrat sind, sollte einen zum Nachdenken bringen. Ich will ja den Stadtrat nicht dominieren, aber ich möchte, dass die Stimme meiner Generation dort auch eine Rolle spielt oder zumindest gehört wird. Deswegen will ich da rein.
„Es wird behauptet, wir seien pulsierende Metropole. Auf der Straße sieht’s anders aus.“
Die Jugend ist also auch ein Thema bei Ihnen? Was haben Sie denn dazu anzubieten?
Wir wollen zum Beispiel einen Jugendstadtrat, um Jugendliche stärker in den politischen Prozess einbinden. Jugendliche haben viele politische Ideen und Vorstellungen, aber je näher sie ans Wahlalter kommen, desto frustrierter werden sie. Dazu stehen wir auch in Kontakt mit dem Stadtjugendring. Unser Bundestagskandidat Jan Kastner hat da einen guten Draht und die befürworten das auch. Gerade auf kommunaler Ebene kann man da viel erreichen, um der Demokratiemüdigkeit entgegenzuwirken. Man bringt einen Antrag ein, über den abgestimmt wird und wenn er positiv beschieden wird, passiert etwas. Da merken die Jugendlichen, dass Demokratie ein lebendiges und funktionierendes System ist. Wer so etwas erlebt, wird sich später viel eher politisch engagieren.
Und wenn Sie noch ein Thema wissen wollen: Aus demselben Grund wollen wir auch die Beiräte stärken. Die sollen Antragsrecht bekommen. Natürlich ist es schön, wenn man einen Ausländer- oder einen Kulturbeirat hat. Nur zu sagen haben die nichts. Politik entsteht aber durch einen lebendigen Prozess. Wenn es für die Beiräte eine transparente Wahl und Antragsrecht gibt, dann könnten von dort Impulse kommen, von der die Stadtspitze derzeit wohl eher im negativen Sinne träumt, die aber extrem belebend und bereichernd sein können für eine moderne Stadt. Und das wollen wir doch sein, oder? Wir sind nicht nur Weltkulturerbe. Wir sind nicht nur Touristenstadt. Wir sind doch auch, das wird zumindest dauernd behauptet, die pulsierende Metropole in der Oberpfalz, auch wenn es anders aussieht, wenn man raus auf die Straße geht.
„Stadträte leben in einer eigenen, kleinen Welt.“
Sie reden viel über Politik. Wie oft waren Sie denn schon mal bei einer Stadtrats- oder Ausschusssitzung?
Seit ich zur OB-Kandidatin nominiert wurde, gehe ich öfter da hin. Vor allem der Kulturausschuss und der Planungsausschuss interessieren mich. Ich war jetzt vielleicht ein Dutzend Mal. Es ist allerdings extrem schwierig, daran teilzunehmen. Um 15 oder 16 Uhr arbeite ich normalerweise, so wie die meisten Menschen. Und im Internet kann ich mir die Sitzungen ja nicht anschauen. Und wenn man mal eine Viertelstunde zu spät zu einer Sitzung kommt, kann es passieren, dass die schon fast beendet ist, obwohl 27 Punkte auf der Tagesordnung gestanden sind. Da frag ich mich schon: Was habt ihr da gemacht? Einfach abgenickt? Und ja: Genau so war’s. Was soll denn das? Als normaler Bürger hast Du da keine Chance, den Anschluss zu behalten, geschweige denn den Durchblick.
Manchmal glaube ich, Stadträte leben in ihrer eigenen kleinen Welt. Das merk ich auch, wenn ich jetzt mit den anderen OB-Kandidaten auf Podien diskutiere. Bei vielen Themen sind sich die meisten einig, aber sie streiten darum, wer die Idee zuerst hatte. Oder wer die Idee am schönsten formuliert hat. Die leben alle in ihrer kleinen Stadtratswelt. Herr Schlegl etwa ist vermutlich noch nie in seinem Leben Bus gefahren. Da kommen dann so Sätze wie: „Warum. Der kommt doch alle 20 Minuten?“ Der Mann stand noch nie 20 Minuten in der Kälte und hat gewartet. So oder so ähnlich ist das bei vielen. Da denk ich mir manchmal schon, dass die den Anschluss an die Stadtgesellschaft in gewisser Weise verloren haben.
„Der Trend geht Richtung Gated Communitys.“
Ein Thema, bei dem sich alle einig sind, ist das Fehlen von Wohnraum. Dazu haben Sie bislang gar nichts gesagt. Die Piraten haben unter Ihrer Federführung zwar öfter gegen Gentrifizierung demonstriert. Dabei ging es aber dann um das Aus für die Alte Filmbühne oder die Heimat. Es mag schon tragisch sein, wenn beliebte Kneipen schließen, aber erstens haben beide wieder einen anderen Platz gefunden und zweitens wäre doch wohl die Gentrifizierung von Wohnraum das wichtigere Thema, oder?
Sie haben recht. Das sind zwei paar Schuhe. Aber zu Wohnraum haben wir auch schon was eingebracht. Wir sprechen uns zum Beispiel für eine Sozialwohnungsquote von 30 Prozent aus. Wir haben einen Antrag eingebracht, in dem wir fordern, dass die Stadtbau Immobilien – vor allem im Altstadtbereich – zurückkaufen soll. Der wurde abgebügelt und nicht mal diskutiert.
Mal zur Stadtbau: Wenn ich in der Stadt beim Flyer verteilen herumkomme, dann fällt mir immer öfter auf, wie lieblos das alles gestaltet wird. Das sind abgegrenzte Quartiere. Beim Alten Schlachthof kommen die günstigeren Stadtbau-Wohnungen in einen eigenen Block direkt an die Straße. Bei der ehemaligen Zuckerfabrik dienen diese günstigen Wohnungen als Lärmschutzriegel, damit man die Buden dahinter lukrativer vermarkten kann. Soziale Durchmischung scheint ein Fremdwort zu sein. Was soll denn der Scheiß mit solchen Reichen- und Armenghettos? Irgendwann haben wir Gated Communitys wie in den USA, wo die Reichen unter sich sind. Das ist eine Entwicklung, die man gerade bei den neuen Quartieren in Regensburg beobachten kann. Dabei könnte man das anders machen, wenn der politische Wille da wäre.
Das andere Thema ist Kulturverdrängung. Wenn etwa ein Kino wie das Ostentorkino auf einmal ein Konzept vorlegen soll, das den Wünschen der Investoren entsprechen soll, die dort von einer Event-Location träumen, dann wird mir schlecht. Dieses Kino gibt es seit 40 Jahren. Die wissen, wie man Filme zeigt. Das ist ein Kulturgut für Regensburg, genau wie die Kinopkneipe, auch wenn sie runtergeranzt und nicht jedermanns Geschmack sein mag. Aber das ist mal wieder typisch Regensburg.
„…und immer schön winken, wenn der Touristen-Bus vorbei fährt.“
Was soll typisch Regensburg sein?
Regensburg will eine total geschniegelte Stadt sein. Manchmal kommt sie mir vor wie eine übervorsichtige Mutter, die zu ihrem kleinen Kind sagt: „Renn nicht. Du könntest hinfallen. Entschuldige mal, aber der Tisch da hat Ecken. Das müssen wir jetzt mit Schaumstoff abkleben, damit Dir ja nichts passiert. Du könntest Dich ja verletzen.“ Wenn man in Regensburg unbequem ist oder weh tut, dann wird man sofort ausgebremst. Was harmlos ist oder der Brauchtumspflege dient, wird gefördert und unterstützt. Hitler-Gartenzwerge auf dem Neupfarrplatz? Bloß nicht. Ein Jakob Friedl am Europabrunnendeckel? Ja nicht. Punkkonzerte? Um Gottes Willen.
Ein OB-Kandidat hat mal bei einer Podiumsdiskussion zu mir gesagt, dass es auch Aufgabe der städtischen Kulturpolitik sei, zu kontrollieren. Und das ist keine Einzelmeinung. Da denk ich mir: Hallo! Schon mal ins Grundgesetz gekuckt? Schon mal was von Kunstfreiheit gehört? Da werden die Regensburger unmündig gehalten. Wir lassen uns hier von Leuten regieren, die uns in Watte packen. Leuten, die sagen: Hier hast Du Dein Dirndl. Da hast Du Deinen Maßkrug und wenn der Touristen-Bus vorbei fährt immer schön winken. Das ist Regensburg.