In eigener Sache: „Politiker hat Sex! Skandal!“
Ein Politiker hat Sex. Ist das berichtenswert? Für manches Drecksblatt schon.
Es gibt Momente, in denen ich mir ernsthaft die Frage nach dem Sinn meines Berufs stelle.
Da wird viel diskutiert über die „Zukunft des Journalismus“, dessen Finanzierbarkeit, Leser-Blatt-Bindung und Glaubwürdigkeit. Manchmal, aber eher selten, geht es sogar um Inhalte.
Und gerne, aber auch das nur gelegentlich, wird der journalistische Ethos – die Berufsehre – in den Raum geworfen, um das, was man da tut, zu rechtfertigen. Die wenigen Privilegien, die man als Journalist genießt (Zeugnisverweigerungsrecht, Informantenschutz, Presse- und Meinungsfreiheit, aber letztere gilt für jeden) zu verteidigen.
Was aber soll das alles für einen Sinn haben und wie soll man sich noch rechtfertigen und verteidigen können, wenn Medien wie die Passauer Neue Presse und ihr angeschlossenes Boulevard-Schmierblatt, wenn Welt Online, diverse Tageszeitungen und Anzeigenblätter (Bild und BamS mal außen vor, deren Niveau und Arbeitsweise sind bekannt) einen – bei allem Respekt – niederbayerischen Provinzlandrat an den Pranger stellen, weil er – huch – Sex hatte?
Nichts anderes ist am Wochenende geschehen und hat sich am heutigen Montag mit zum Teil heuchlerischen Fragen und Überschriften („Billige Kampagne oder Männer-Gate?“, „Skandal oder Intrige?“ etc., etc.) fortgesetzt: Ein Politiker hatte Sex, eine Affäre und wird mit vollem Namen, Foto und Details an den Pranger gestellt. Er hat nichts Illegales getan, kein Geld veruntreut, niemanden bestohlen oder erpresst. Es war freiwilliger, einvernehmlicher Geschlechtsverkehr – manchmal vielleicht an ungewöhnlichen Orten. Sex eben!
Alles nichts Ungewöhnliches, Verwerfliches und schon gar nichts Berichtenswertes.
Im Gegenteil: Dieser intimste Lebensbereich ist durch den Pressekodex ausdrücklich geschützt.
Was sind das für Chefredakteure, die das ins Blatt heben und Journalisten, die das schreiben?
Was sind das für Medien, die so eine Geschichte veröffentlichen oder, wenn sie denn schon mal in der Welt ist, sich nicht klar gegen eine solche Berichterstattung positionieren?
Natürlich – es bringt Aufmerksamkeit, in Form von Klicks, der wichtigen Werbewährung im Internet, wenn man Voyeurismus und Schadenfreude bedient. Darüber hinaus ist es bequem und ungefährlich, den Einzelnen in seiner Intimität anzugreifen – selten klagt ein Betroffener gegen solche Artikel, um nicht noch weiter durch den Dreck gezogen zu werden. Und wenn doch, dann hat man gleich noch ein paar Folgegeschichten. Skrupellos genug dafür ist man ja.
Leicht verdientes Geld mit Sex, seicht und Sensation statt Recherche und ernsthafter Auseinandersetzung mit tatsächlich relevanten Themen ist das Motto.
Es ist ein Zeugnis der Armseligkeit und Verkommenheit von Teilen des Berufsstandes Journalist.
Gerade die Passauer Neue Presse, in der das Ganze wesentlich losgetreten wurde, ist dafür bekannt, dass ihre Berichterstattung all zu oft von Anzeigenschaltungen abhängig ist. Gern ist man denjenigen, die zahlen gefällig. Angegriffen werden andere.
Die PNP ist dafür bekannt, dass sie Themen aufgrund persönlicher Anymositäten oder Konkurrenzdenkens totschweigt – man betrachte nur die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Hubert Denk, die Medien bundesweit beschäftigen, aber am Ort des Geschehens – Passau – totgeschwiegen werden.
Solche Schreiberlinge, ihre Vorgesetzten und Herausgeber zerstören jedwede Glaubwürdigkeit. Sie machen den Ethos, den sie sich ab und an – wenn es gefällig klingt – ans Revers heften zur Farce. Sie führen den Begriff der Pressefreiheit ad absurdum. Sie sind – kurz gesagt – Totengräber des Journalismus. Sie kotzen mich an!
Andererseits: Zum Glück weiß man dann wieder, warum man das tut, was man tut: Um es anders zu machen.