„Ein Staatsstreich in Zeitlupe“
Neun Bands, Theater und der EU-Parlamentarier Ismail Ertug – für den kommenden Freitag, 9. Mai, hat Attac Regensburg ein Kultur-Event mit ernstem Hintergrund organisiert – es geht um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), über das derzeit EU und USA verhandeln. Regensburg Digital sprach mit einem der Initiatoren, Dr. Harald Klimenta.
Ihr habt euch dieses spröde Thema Freihandelsabkommen als Jahresthema ausgesucht – warum?
Weil wir Demokraten sind.
Naja, das sagt nun wenig. Es behaupten viele, Demokraten zu sein.
Dann müssten viele gegen das Handelsabkommen sein. Denn es zerstört Handlungsoptionen für Politiker genauso wie es die möglichen Lebensentwürfe der Menschen einschränkt.
„Mindestens seit 1990 hören wir jetzt die Standort-Leier.“
Wieso sollte ein freizügigerer Handel unsere Lebensentwürfe einschränken?
Größere und reibungsloser funktionierende Märkte bedeuten automatisch, dass mehr Menschen im Wettbewerb zueinander stehen. Standortwettbewerb wirkt als Scheuklappe jedes Politikers: Was kann ich überhaupt noch gestalten, ohne die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht zu gefährden? Das Freihandelsabkommen wird den Standortwettbewerb weiter anheizen.
Und warum schränkt das unsere Lebensentwürfe ein?
Mindestens seit 1990 hören wir jetzt die Standort-Leier. Konkurrenz-Denken durchdringt alle Lebensbereiche – wenn jemand scheitert, dann weil er im Wettbewerb ausgebootet wurde, dann muss derjenige halt besser werden. Der Standortwettbewerb führte dazu, dass die realen Nettolöhne in Deutschland seit über 20 Jahren nicht mehr steigen – es gewinnt höchstens noch das reichste Viertel. Wenn nicht gar Zehntel. Jedenfalls diejenigen, wo Lohnsteigerungen im Wesentlichen irrelevant sind.
Umverteilen wird weniger wahrscheinlich, schließlich kosten Sozialsysteme Geld und hohe Steuern lassen Unternehmen und Reiche flüchten. Die Ungleichheit steigt, immer mehr Menschen kümmern sich fast nur noch um ihr Überleben. Das sind keine Lebensentwürfe mehr! Auch bei weiten Teilen der Mittelschicht bedeutet steigende Standortkonkurrenz mehr Stress in der Arbeit, unplanbarere Arbeitszeiten, geringere Planbarkeit von allem.
Um was geht es denn bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen konkret?
Um sehr vieles. Zum Beispiel um die Wurst – und die Zölle darauf. Momentan wird zum Beispiel der Import von Jungrindern nach Europa mit Zöllen bis weit über 30 Prozent belegt. Das sind ganz klar Schutzzölle. Fallen diese fort, dann ist eines so sicher wie das Amen in der Kirche: Die Gehöftgrößen in Deutschland werden weiter steigen und die Höfe werden weiter industrialisiert. Will man eine kleinbäuerliche Landwirtschaft, kann man nur gegen das Freihandelsabkommen sein. Vor allem geht es bei dem Handelspakt aber um Regulierungen, um Zulassungspraxen und die gegenseitige Anerkennung von Standards sowie den Investitionsschutz.
Bald Chlorhühnchen in Europa?
Das Beispiel vorhin war sehr schön konkret, gibt’s nicht mehr davon?
Das sind alles Geheimverhandlungen, deshalb kann man nur spekulieren. Nehmen wir die häufig bemühten Chlorhühnchen – in den USA werden Hühnchen-Schlachtkörper durch ein Chlorbad gezogen und so von Salmonellen befreit, das ist in Europa nicht erlaubt und auch unnötig. Das wird durch den Vertrag sicher nicht erlaubt, denn dann stimmen die Politiker dagegen. Diese Desinfektion ist aber bei uns deshalb nicht erforderlich, weil die Hygienestandards in Schlachthöfen so hoch sind, doch das verursacht Kosten.
Wenn also etwaige Zölle im Geflügelbereich wegfallen, dann kann der Kostendruck für die europäischen Produzenten so hoch werden, dass sie erstens ihre Tierhaltung noch perverser gestalten müssen, um überleben zu können und zweitens werden sie bei unseren Politikern die hohen Kosten bei den Hygienestandards beklagen. Und schwupps, so könnten wir fünf Jahre nach Vertragsabschluss einfach aufgrund des Kostendrucks doch die ganze Breitseite an US-Errungenschaften auf dem Teller haben: Hormonrinder, Chlorhähnchen, Gen-Food en Masse.
Gleichzeitig sagen Sie damit ja auch, dass bei uns längst nicht alles gut ist.
Natürlich nicht. Aber wer den Kostendruck auf die Unternehmen weiter erhöht, der macht es noch deutlich schlimmer – wie sollen da Löhne steigen oder sonst irgendwas für den Beschäftigten rauskommen? Geschweige denn für die Tierhaltung oder die Umwelt. Und gleichzeitig zementiert das Abkommen diese Entwicklungen.
„Antiamerikanismus liegt uns fern.“
Ist denn in Deutschland alles besser als in den USA? Manchmal hört man ein regelrechtes USA-Bashing bei Ihnen heraus.
Um Gottes willen, nein, darum geht es überhaupt nicht. Erstens gibt es einige Bereiche, die in den USA durchaus streng reguliert sind. So wurden die Finanzmärkte nach dem Banken-Krach ab 2007 strenger reguliert als in Europa. Dass viele andere Bereiche in den USA weniger streng reguliert sind, hängt vor allem mit deren größeren Konzernmacht zusammen. Dagegen kämpfen in den USA große Bürgerbewegungen.
Die prominente US-Aktivistin Lori Wallach etwa schimpft über den Handelspakt, es wäre ein „Staatsstreich in Zeitlupe“. Viele US-Aktive betonen, wie wichtig für sie unser durchaus erfolgreicher Protest etwa im Bereich der Gentechnik ist. Da fühlt man sich dann als Teil einer weltweiten Bewegung gegen die industrialisierte Landwirtschaft – die in den USA genauso heftig kritisiert wird wie in Europa. Die Gegner des Freihandelspakts ziehen an einem Strang und arbeiten auch zusammen. So hat die oben erwähnte Lori Wallach auch einen sehr lesenswerten Text zu unserem Büchlein „Die Freihandelsfalle“ beigesteuert. Nein, Antiamerikanismus liegt uns fern, es geht darum, die Industrie wieder zu Dienern der Gesellschaft zurückzustutzen. Gemeinsam überall auf der Welt.
Vielen Dank für das Gespräch
Mehr Infos
Attac Regensburg veranstaltet am Freitag, den 9. Mai ab 14 Uhr am Bismarckplatz und ab 19.30 in der Arberhütte (Arberstraße, Rheinhausen) eine Kultur-Event,, bei dem 9 Bands, Theater, Interviews, Infostände Gleichgesinnter und viele Infos zum Freihandelsabkommen geboten werden. Zum Zeitplan: www.attac-netzwerk.de/regensburg
Harald Klimenta diskutiert am Dienstag, 6. Mai, um 19 Uhr im Evangelischen Bildungswerk mit dem VWL-Professor Jürgen Jerger über das Freihandelsabkommen.