Detaillierte Rekonstruktion einer Schreckensfahrt
Seit Montag muss sich der Amokfahrer von Regensburg vor dem Landgericht verantworten. Der Angeklagte schweigt, während anhand von Zeugenaussagen seine etwa einstündige Fahrt durch die Stadt rekonstruiert wird, an deren Ende der Tod eines fünfjährigen Mädchens stand.
Von David Liese
Der Amokfahrer schweigt. Das hat er gleich zu Beginn des Prozesses über seinen Rechtsanwalt verkünden lassen. Im sauber gebügelten weißen Hemd sitzt er da, leicht zusammengekauert, den Blick starr vor sich auf die Tischplatte gerichtet. Stoisch, regungslos, emotionslos.
Der 46-jährige Regensburger ist wegen Totschlags angeklagt. Am 1. August des vergangenen Jahres unternahm er eine mitunter absurd anmutende Irrfahrt quer durch die Stadt, teils durch Grünanlagen, teils über Fuß- und Radwege. Laut Anklage rammte er dabei unter anderem ein Auto, schleifte einen Passanten, der ihn an der Weiterfahrt hindern wollte, mehrere Meter mit sich, provozierte einen Auffahrunfall mit einem Streifenwagen, der ihn verfolgte.
Frage nach der Schuldfähigkeit des Angeklagten
Das schreckliche Ende: Mit seinem silbernen Sport-Cabriolet raste der Beschuldigte in den Eingangsbereich eines Waschsalons und erfasste dabei zwei kleine Kinder. Für eines von ihnen, ein fünfjähriges Mädchen, kam jede Hilfe zu spät. Es verstarb wenige Stunden später im Krankenhaus. Die Eltern sitzen dem Fahrer nun als Nebenkläger im Gerichtssaal gegenüber.
Neben der Rekonstruktion der Fahrt, die ein Menschenleben kostete und viele weitere gefährdete, liegt vor der Schwurgerichtskammer noch eine ganz andere Aufgabe. Es geht darum, festzustellen, inwieweit der Angeklagte überhaupt für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden kann. Denn: Dieser leidet an einer psychischen Störung, befand sich bis zum Tag vor der Tat sogar in Behandlung im Bezirkskrankenhaus, in das er am Abend des 31. Juli aber nicht mehr zurückgekehrt war.
In der Anklage ist von Schuldunfähigkeit und einer Gefahr für die Allgemeinheit die Rede. Das gilt es vor Gericht zu überprüfen. Letzten Endes ist die juristische Kernfrage dieses Verfahrens, wann der Maßregelvollzug nach Paragraph 63 des Strafgesetzbuches greift. Konkret bedeutet das: Wird der Mann nach diesem Paragraphen bestraft, erwartet ihn die forensische Psychiatrie. Die Maßregel ist in diesem Fall unbefristet.
Zum Teil widersprüchliche Beobachtungen von Zeugen
Zuletzt wurden am Dienstag Zeugen vernommen, die die Vorkommnisse an jenem 01. August 2013 schilderten und dabei helfen sollten, das Fahrverhalten des Angeklagten vor der Haupttat nachzuvollziehen. Darunter befanden sich auch zwei Polizisten, die den Sportwagen vom Gerichtsgebäude an der Kumpfmühler Straße über den Bahnhof bis hin zur tödlichen Kollision unweit des Oberen Katholischen Friedhofs verfolgten.
Ob anhand solcher Aussagen aber tatsächlich Klarheit gewonnen werden kann, ist fraglich. Denn die Schilderungen der Ereignisse gehen zum Teil weit auseinander, widersprechen sich mitunter regelrecht. Schon die Frage, wie viele Einsatzfahrzeuge der Polizei dem Tatfahrzeug folgten, ist unklar. So wollen manche Zeugen ein Zivilfahrzeug mit Blaulicht gesehen haben, das unmittelbar hinter den besagten Polizisten im Streifenwagen hergefahren ist.
Geblinkt, bevor er auf den Geweg fuhr
Die beiden Beamten haben davon weder etwas gesehen noch gehört. Ein Fahrzeughalter, dessen Auto vom Sportwagen des Angeklagten gerammt wurde, sprach bei seinem Notruf an die Polizei von „fünf uniformierten Fahrzeugen“, die dem Täter folgten. Heute erinnert er sich noch an drei, kann aber auch das nicht mit Gewissheit sagen.
So liegen viele Etappen der Amokfahrt weiterhin im Dunkeln. Andere Aussagen provozieren schlicht Fassungslosigkeit. Ein junger Mann, der dem Sportwagen des Angeklagten ausweichen musste, als ihm dieser auf dem Gehweg entgegenkam, ist sich sicher, dass der Fahrer geblinkt habe, bevor er von der Straße auf den Bürgersteig wechselte.
Wird sich der Angeklagte äußern?
In den nächsten Sitzungen des Gerichts wird sich die Rekonstruktion der Fahrt immer stärker auf den schrecklichen Unfall am Ende fokussieren. Es bleibt fraglich, ob der Angeklagte weiter zu seinen Taten schweigen wird. Denn ganz kalt scheinen ihn die Geschehnisse jenes 01. August 2013 dann doch nicht zu lassen.
Das zeigt sich, als vor Gericht ein Polizeibeamter erzählt, wie er eines der schwer verletzten Kinder unter dem Fahrzeug hervorgezogen und notversorgt hat. In diesem Moment löst sich der Angeklagte kurz aus seiner Starre, vergräbt das Gesicht in seinen Händen, beugt sich zu seinem Verteidiger.
Kurze Zeit später schildert ein anderer Polizist, der den durch den Unfall ebenfalls verletzten Angeklagten aus seinem Sportwagen gezogen hat, dessen Festnahme. Gesagt habe der Fahrer nichts, aber er habe merkwürdigerweise im Booklet einer CD geblättert, das er noch in der Hand hielt. Zu diesem Zeitpunkt hat der Mann auf der Anklagebank schon wieder seine stoische Pose eingenommen, starrt ins Leere.
Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.