„Der Versuch, Giftgas einzusetzen“
Unterschiedlicher hätten die zwei ökumenischen Veranstaltungen vom gestrigen Dienstag zum Kriegsende vor 69 Jahren kaum sein können. Während die Einen in der Dominikanerkirche am Adlersberg einen ökumenischen Friedengottesdienst und die Verschonung Regensburgs im Zweiten Weltkrieg feierten, versuchten die Anderen im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung des Evangelischen Bildungswerks und des Verlags Pustet die historischen Abläufe des Regensburger Kriegsendes zu rekonstruieren.
Schon seit 20 Jahren veranstaltet Die Kameradschaft Ehemaliger Soldaten, Reservisten und Hinterbliebener im Deutschen BundeswehrVerband e.V. Regensburg (ERH) einen ökumenischen Gottesdienst auf dem Adlersberg. Immer am letzten Mittwoch im April wird der kampflosen Übergabe der Stadt Regensburg an die Amerikanischen Truppen vom 27. April 1945 gedacht.
Zweck dieses Friedensgebets: Zu danken, „dass unsere wunderschöne Stadt Regensburg – heute UNESCO-Weltkulturerbe – von den sinnlosen Zerstörungen der letzten Kriegstage verschont worden ist und an die zu erinnern, die sich dafür eingesetzt haben“. Und: „Vor allem aber auch derer zu gedenken, die sich in der damaligen Zeit wie heute für die Bewahrung der völkerrechtlichen Identität unseres Vaterlandes (einschließlich der kulturellen Werte) unter Einsatz ihres Lebens aufgeopfert haben.“
Während die Veranstaltungen die letzten Jahre unangefochten über die Bühne und hinterher zum Prössl-Bräu gingen, musste der Vereinsvorsitzende, Oberst a.D. Norbert Hettmer, in diesem Jahr gegnerische Angriffe abwehren. Sein Lagebericht: „Im Westen nichts Neues – außer ein bisschen Pulverdampf und Nebel, und der Versuch, Giftgas einzusetzen.“ Was war geschehen?
Neue Recherchen passen nicht zur Heldenlegende
Seitdem die Regensburger Autoren Peter Eiser und Günter Schießl ihr Buch „Kriegsende in Regensburg – Revision einer Legende“ 2012 im Pustet Verlag veröffentlichten haben, ist die bis dahin gültige Darstellung der letzten Kriegstage vom April 1945 als Werk eines Selbstdarsteller und Fälschers zu betrachten.
Eiser und Schießl haben mit aufwändigen Archiv- und Zeitzeugenrecherchen überzeugend dargelegt, dass die Geschichte des (selbsternannten) Retters der Stadt Regensburg so nicht stimmen kann. Sie haben die Legende des ehemaligen Wehrmachtsmajors Robert Bürger zerstört, der in der Nacht zum 27.4.1945, mit dem Geschick des einzigen Ortskundigen, ein kampfbereites Regiment aus der Stadt geführt und somit einen Kampf mit bzw. die Vernichtung der Stadt durch die amerikanischen Streitkräfte verhindert haben will. Alle Belege für die Heldentat Bürgers gehen, so Eiser und Schießl, auf ihn selbst zurück. Nach Recherchen von Regensburg-Digital-Autor Robert Werner wird unter anderem an den unterschiedlichen geschwärzten und „geweißten“ Fassungen von Bürgers Kriegstagebuch dessen Fälschungsabsicht deutlich.
Da Robert Bürger der EHR-Kameradschaft jedoch weiterhin als Held und Retter der Stadt gilt, konnte sie die Revision von Eiser und Schießl und Analysen, die in dieselbe Richtung zielen, nicht unwidersprochen hinnehmen.
Bundeswehr als Friedenstifter
Zur Einstimmung auf das diesjährige Friedensgebet in Adlersberg verfasste Oberst a.D. Norbert Hettmer einen Essay mit dem irreführenden Titel „Die Kapitulation Regensburgs 1945 und Major Robert Bürger – eine Legende?“ Hettmer behauptet darin, dass der Hergang der Ereignisse in Regensburg Ende April 1945 „über 60 Jahre lang“ dokumentiert und die Darstellung Robert Bürgers „30 Jahre lang“ unbestritten gewesen sei. Dass Major Bürger der Dokumentenfälschung geziehen wurde, er seine Darstellungen über Jahrzehnt hinweg sukzessiv und zum Teil widersprüchlich ausbaute, und er schon „zu Lebzeiten“ sehr wohl Widerspruch erfuhr, damit gibt sich der ERH-Chef Hettmer nicht ab. Er hält Major Bürger für glaubwürdig, obgleich dieser sich selbst und „seine Rolle in positivem Licht darstellte“.
Ein Auszug aus Robert Bürgers der allerersten Erstfassung seines Berichts von 1975 macht hingegen deutlich, wie interessensgeleitet der ehemalige Wehrmachtsoffizier Robert Bürger tickte:
„Bisher war nur den wenigen Beteiligten die Wahrheit über die Geschehnisse in der Nacht vor der kampflosen Übergabe der Stadt Regensburg an die Amerikaner bekannt. Die vorausgegangene ungeheure Angst der Einwohner vor der sinnlosen Zerstörung und der Vernichtung von Frauen und Kindern im Bombeninferno hatte der Phantasie am Morgen der friedlichen Übergabe an die Amerikaner breiten Raum gegeben und Gerüchte zur Legende werden lassen. Denn wie durch ein Wunder ist Regensburg bei Kriegsende nicht zerstört worden. Das ist in erster Linie ein Verdienst der deutschen Wehrmacht!“
Oh Herr! Gib, dass Robert Bürger unserer Vorbild bleibe.
In seiner gestrigen Begrüßungsrede gab sich Oberst a.D. Hettmer ganz friedensliebend. Die militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine – im „zivilisierten Europa“ – bewegen und verstören ihn. Für den Frieden müsse sich immer wieder neu eingesetzt werden, auch die Bundeswehr tue dies in ihren vielfältigen Einsätzen. So Hettmers Appell an die etwa 50köpfige Zuhörerschaft, die heuer ohne Politprominenz aufkommen musste. Nach einigen Stücken des Barbinger-Männerchors (mit krachend lauter Orgelbegleitung) folgen Schriftlesung, Predigt, Friedengruß und Fürbitten.
Schon in der ersten Fürbitte, die eigentlich der Organisator des Friedensgebets, der verhinderte CSU-Stadtrat Erich Tahedl, vortragen hätte sollen, wird Robert Bürgers und seines vorbildlichen Engagements bei der Rettung der Stadt (nachts, geheimer Weg, Mut etc.) gedacht und Gott um Beistand für ähnliche Situationen gebeten. Nach dem händereichenden Friedensgruß der Besucher – der katholische Pfarrer und die evangelische Pfarrerin umarmen sich – folgten auf Gemeindelied, gesungenem Vater-Unser und Segen, die Abschiedsworte von Oberst a.D. Hettmer. Friede bedeute, nicht nur keine Feuerwaffen auf den anderen zu richten bzw. benutzen, sondern das Gegenüber auch in Wort und Schrift nicht zu verletzen. Genau dies sei aber durch die Kritiker des Wehrmachtsmajor Robert Bürger geschehen. Hettmer hofft, dass dies unterbleibe und sei gespannt darauf, wie sich die Stadt Regensburg oder andere Institutionen in der Frage Kriegsende in Regensburg verhalten würden. Er wolle sich über den bereits erwähnten Essay hinaus nicht äußern.
Giftgas im Regensburger Kleinkrieg?
Darin heißt es, er habe geschrieben, um den Angehörigen der Kameradschaft eine Einschätzung der Lage zu geben, und „um die Diskussion nicht gänzlich der Enthüllungsjournaille zu überlassen“. Denn die Autoren Eiser/ Schießl seien in dieser Angelegenheit Antworten auf die Kernfragen schuldig geblieben, auch andere hätten „keinen weiteren Deut zur Klärung beigetragen und scheinen nun einen personenbezogenen Kleinkrieg gegen die Herren Wanderwitz und Chrobak führen zu wollen“. Hettmers abschließendes Fazit: „Im Westen nichts Neues – außer ein bisschen Pulverdampf und Nebel, und der Versuch, Giftgas einzusetzen.“
Giftgas im Kleinkrieg gegen Wanderwitz und Chrobak? Gegen die ERH? Hier erscheint die Phantasie Hettmers, gelinde gesagt, sehr lebendig. Seinen Kritikern so etwas entgegenzuhalten, ist, um bei Hettmer zu bleiben, durchaus dazu geeignet, „das Gegenüber in Wort und Schrift zu verletzen“.
Die in die Geschichtsklitterung Robert Bürgers tiefverstrickten Herren Wanderwitz und Chrobak hielten sich übrigens weder am Adlersberg noch im Evangelischen Bildungswerk (EBW) auf.
Noch-OB fand keinen Gefallen an einer Studie
In der gestrigen Veranstaltung im EBW spielte die ERH-Kameradschaft fast keine Rolle. Nach der Begrüßung durch Geschäftsleiter Dr. Carsten Lenk und einem Grußwort des Verleger Friedrich Pustet stellte Peter Eiser den etwa 75 Gästen die wesentlichen Ergebnisse, Fragestellungen und Arbeitsweise des Buches dar. Günter Schießl berichtete von unter anderem von seinen persönlichen Erfahrungen mit dem ehemaligen Wehrmachtsmajor Othmar Matzke, der bei der Kapitulation vom 27. April die militärische Verantwortung getragen habe. In der anschließenden Diskussion gab es neben einigen, nicht immer nachvollziehbaren, persönlichen Betroffenheitsberichten von Zeitzeugen oder Zeitzeugenkindern, eine teils kontroverse Debatte über das weitere Vorgehen.
Zwar sei die Legende des Robert Bürgers zerstört, eine umfassende historische Aufarbeitung des Regensburger Kriegsendes stehe aber noch aus. Doch wer dies leisten könne oder möge, blieb unklar. Mehrfach wurde der fehlende politische Wille der Regensburg Stadtpolitik, die Ereignisse wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen, bemängelt. Eine von Stadtarchivar Heinrich Wanderwitz im November 2013 in Aussicht gestellte Studie zum Kriegsende Regensburg, die vor allem von der Stadt finanziert werden sollte, ist sang und klanglos verschwunden. Dem Vernehmen nach habe der scheidende OB Hans Schaidinger keinen Gefallen an einer solchen Studie gefunden. Der bisweilen mit deutschnationalen Tönen auftretende Hans Schaidinger hat auf die Wehrmacht noch nie etwas kommen lassen. Die neue politische Stadtführung ist nun gefragt.