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Gustl Mollath gewann am Dienstagvormittag an Glaubwürdigkeit. Ein Vorfall in Bad Pyrmont zum Jahreswechsel verpuffte. Bei den Reifenstechereien aus dem Jahr 2005 kamen zumindest erhebliche Zweifel an Mollaths Täterschaft auf. (Alle Prozessberichte gibt es hier.)

Von David Liese

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Gustl Mollath (2. v. l.) und seine Verteidiger können mit dem Verlauf des Dienstagvormittages durchaus zufrieden sein. Foto: ld.

Am Montag hatte sich das Bild von Gustl Mollath im Wiederaufnahmeverfahren insgesamt eher verdunkelt. Unter anderem hatte die Nebenklage neue Anschuldigungen gegen Mollath vorgebracht und die Beiziehung von Ermittlungsakten zu einem Vorfall in Bad Pyrmont beantragt. Dort soll Mollath zum Jahreswechsel eine Frau aggressiv eingeschüchtert haben.

Ganz anders heute. Gleich zu Sitzungsbeginn erleben die Anwesenden einen Paukenschlag zugunsten des Angeklagten. Die Vorsitzende Richterin Elke Escher verkündet, bei der Staatsanwaltschaft Hannover sei kein Verfahren gegen Mollath „anhängig oder anhängig gewesen.“ Die Polizei in Bad Pyrmont führe zu seinem Namen „keine Eintragungen“.

Mollaths Verteidiger Gerhard Strate spricht von einer „Luftblase“, die „sofort zerplatzt“ sei. Er mahnt die Medienvertreter, mit neuen Vorwürfen gegen seinen Mandanten sorgsamer umzugehen. „Ich hatte ja gestern schon davon gesprochen, dass das ein Strohfeuer ist, das von der Nebenklage angezündet wurde. Nicht mal das hat sich bewahrheitet.“

Reifenstechereien: Polizeioberkommissar vernommen

Auch mit der Vernehmung des ersten und wichtigsten Zeugen am Dienstagvormittag dürften Gustl Mollath und sein Verteidiger zufrieden sein.  Der Nürnberger Polizeioberkommissar Stefan G. ermittelte 2005 wegen der Reifenstechereien, die Mollath zur Last gelegt werden. Was seine Aussagen im Regensburger Gerichtssaal zutage fördern, lässt auch diese alten Anschuldigungen zumindest bröckeln.

Mollath soll damals mehr als 100 Autoreifen von „Widersachern“ zerstochen haben, darunter allein mehr als 50 Stück, die auf dem Gelände eines KFZ-Teile-Händlers gelagert waren. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte einen Teil dieser Taten im entscheidenden Urteil von 2006 als besonders gefährliche Sachbeschädigungen gewertet, weil die Reifen so angestochen worden seien, dass die Luft langsam entweiche und ein Schaden nicht vor Fahrtantritt zu erkennen wäre. Die Überzeugung des Gerichts fußte auf dem von Stefan G. vorgelegten Schlussbericht.

Entscheidender Hinweis kam von einem Bekannten Martin M.s

Den entscheidenden Hinweis, dass Mollath für die Reifenstechereien verantwortlich sei, habe der Polizist von Rechtsanwalt Wolfgang G. erhalten. Auch an dessen Dienstwagen und am Fahrzeug seiner Frau waren Reifen zerstochen worden. Wolfgang G. hatte eine gemeinsame Kanzlei mit einem damaligen guten Bekannten von Martin M., dem neuen Ehemann von Mollaths Ex-Frau.

Wolfgang G. habe Polizeioberkommissar Stefan G. ein Schreiben zukommen lassen, das ihm von Gustl Mollath geschickt worden sei. Darin soll Mollath mehrere Personen aufgelistet haben, die er für seine damalige Situation verantwortlich machte. Da bei vielen der Aufgeführten Reifen zerstochen worden waren, habe der Ermittler auf Mollath als Täter geschlossen. Andere mögliche Täter seien nie verdächtigt worden.

Videoüberwachung, „weil gerade Kapazitäten frei waren“

Im Zuge einer Videoüberwachung des Anwesens von Wolfgang G., die man einrichtete, „weil gerade Kapazitäten frei waren“, hatte man zweimal einen Mann mit Mantel und Baskenmütze filmen können, der am Auto von G.s Frau vorbeiging. Einmal hätte er sich vor dessen Reifen gekniet und sich daran zu schaffen gemacht. Mollaths Ex-Frau Petra M. hatte ihren Mann auf dem Videomaterial zwar nicht persönlich identifiziert, ihn aber anhand seines „Bewegungsablaufs“ und der Tatsache, dass er „auch so einen Mantel und so eine Mütze“ besäße, erkannt.

Bei einer Hausdurchsuchung seien dann auch „so ein ähnlicher Mantel und so eine Mütze“ in Mollaths Anwesen gefunden worden, sagt Stefan G. dem Gericht. Damit sei der Fall für ihn klar gewesen. Auch die Tatsache, dass die Reifenstechereien aufhörten, nachdem Mollath in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wurde, habe für die Richtigkeit seiner Ermittlungen gesprochen.

Sachverständiger zerlegt die Ermittlungsakte

Dass man durchaus zweifeln darf, wird spätestens klar, als der Sachverständige Rauscher im Gerichtssaal seine Fragen stellt. Rauscher zerlegt große Teile der Ermittlungsakte. Unter anderem kommt dabei heraus, dass Stefan G. keinen einzigen der zerstochenen Reifen selbst zu Gesicht bekommen hat. Ebenso wurden nie eine Reifengröße, der Zustand der Reifen oder ihr Alter festgestellt.

Nicht einmal konkrete Aussagen, ob die Reifen auf der Lauffläche oder an der Flanke zerstochen wurden und wie viele Stiche festgestellt wurden, sind in den Ermittlungsakten enthalten. Einzelne Zeugenaussagen, die die Gefährlichkeit der Sachbeschädigungen belegen sollen, widersprechen sich oder sind sachlich nicht schlüssig. Bei einem der Reifen am Fahrzeug von Rechtsanwalt Wolfgang G. etwa hatte ein angestochener Reifen bei der Fahrt nur 0,5 Bar an Druck verloren, statt „platt” zu sein, wie es seine Frau zu Protokoll gegeben hatte.

Nicht einmal Fotobeweise existieren

Kein einziger Reifen wurde zudem fotografiert. Stefan G. begründet das damit, dass „Fotografie damals noch teurer“ war.  Die Behauptung, die Reifen seien mit einem „runden Stechwerkzeug“ zerstochen worden, tauche erst in G.s Schlussbericht auf, so Rauscher. Vorher werde in den einzelnen Aktenvermerken das „Stechen mit einem Messer“ beschrieben.

„Kann es sein, dass es da zu überhaupt keinem Schaden gekommen ist?“

Schließlich kommt der Sachverständige auf das Video zu sprechen, das angeblich Gustl Mollath beim Zerstechen der Reifen eines Pkw zeigt. Rauscher bemerkt, dass auf keinem einzigen Lichtbild der Aufnahmen – das komplette Band existiert nicht mehr – zu erkennen sei, dass der Verdächtige die Reifen des Fahrzeugs auch nur berühre. Stefan G. muss das eingestehen. Der Sachverständige fragt, ob sich der Polizeioberkommissar denn wenigstens in diesem konkreten Fall die beschädigten Reifen angesehen habe. Stefan G. verneint das. „Kann es sein, dass es da zu überhaupt keinem Schaden gekommen ist?“, fragt Rauscher schließlich. G. meint, dazu könne er heute nichts mehr sagen.

Verteidiger Strate findet schließlich die Frage interessant, ob Stefan G. bei seinen Ermittlungen eventuell „Hinweise“ bekommen hatte, „die auf Mollath deuteten“. G. erinnert sich, dass Martin M., der heutige Mann von Mollaths Ex-Frau, „ihn da mal angerufen“ und „etwas geäußert“ haben müsse. Der Anruf habe schließlich zu einer Aussage des Kfz-Teile-Händlers geführt, bei dem Mollath sich mit dem vermeintlichen Tatwerkzeug, einem „angespitzten Schraubenzieher“, habe sehen lassen.

Dienstgruppenleiter bei dem Sportverein tätig, den heute Martin M. führt

Einen echten Zufallstreffer, der im Fall Mollath noch interessant werden könnte, landet Strate mit der Frage nach dem damaligen Dienstgruppenleiter von Stefan G.. Der, ein gewisser Werner W., hatte wichtige Entscheidungen bei den Ermittlungen getroffen. Der Zeuge bemerkt, dass Werner W. ehrenamtlich als Trainer beim selben Sportverein tätig war, bei dem Martin M. mittlerweile als Geschäftsführer arbeitet.

Strate regt daraufhin an, Werner W. als Zeugen zu laden. Schließlich wären alte Bekanntschaften über Sportvereine im Fall Mollath nichts Neues: Auch Richter Otto Brixner, der Gustl Mollath 2006 in die Psychiatrie einweisen ließ, kannte Martin M. vom Handballtraining. Brixner wird am Donnerstag als Zeuge vernommen.

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