Richterin schlampte beim Mollath-Urteil
Während Otto Brixner, der Vorsitzende Richter aus dem entscheidenden Mollath-Prozess von 2006, aus Zeitdruck umgeladen wurde, äußerte sich heute dessen Beisitzerin. Dabei wurde klar: So genau hat man es damals auf der Richterbank nicht genommen. (Alle Prozessberichte gibt es hier.)
Von David Liese
Gerichte stehen meist unter Zeitdruck. Das können sich (trotz 17 Verhandlungstagen) wohl auch die Prozessbeteiligten im Wiederaufnahmeverfahren gegen Gustl Mollath vorstellen. Doch gemessen an den ursprünglichen Verfahren am Nürnberger Amtsgericht und vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, das 2006 Mollaths Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie anordnete, nimmt sich die Kammer in Regensburg viel Zeit.
Erster Zeuge am Freitag ist der Richter, der den Prozess gegen Gustl Mollath im April 2004 am Amtsgericht Nürnberg führte. Damals sei er gerade drei Wochen Strafrichter gewesen, berichtet er. Den Verhandlungstermin habe sein Vorgänger angesetzt – zeitlich nicht allzu reichlich bemessen.
Richter: „Atmosphäre war anfangs nicht schlecht”
Viel weiß der Jurist heute nicht mehr. Er kann sich aber daran erinnern, dass „die Atmosphäre anfangs gar nicht so schlecht war”. Das habe sich irgendwann geändert. Ansonsten rekonstruiert er die Verhandlung hauptsächlich aus den Akten. Die habe er sich schon vor der Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags noch einmal durchgelesen.
Richterin Elke Escher hält ihm immer wieder Inhalte aus dem Protokoll seiner damaligen Verhandlung vor. Die Qualität der Mitschrift wurde im Wiederaufnahmeverfahren schon bei der Vernehmung von Petra S., der Freundin von Mollaths Ex-Frau, kritisiert. Zwischen ihren heutigen Angaben und denen im Verhandlungsprotokoll von 2004, auf die S. sogar vereidigt worden war, waren inhaltliche Widersprüche aufgetaucht.
Mängel im Verhandlungsprotokoll: „Nicht mehr hundertprozentig nachvollziehbar.”
Der Richter weiß noch, dass die damalige Protokollantin „nur aushilfsweise da” war. Dass Sie Inhalte „zusammengereimt” habe, die in der Hauptverhandlung so gar nicht gesagt wurden, hält er für unwahrscheinlich. Aber: „Ob jetzt jede Formulierung so exakt gefallen ist, ist nicht mehr hundertprozentig nachvollziehbar.”
Mollaths Verteidiger Gerhard Strate nimmt den Richter etwas härter in die Zange. Er zitiert ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001, nach dem die zwangsweise Unterbringung seines Mandanten zur Begutachtung rechtswidrig gewesen sei. Mollath hatte diesbezüglich auch gegen den Richter geklagt. Erfolglos. Weiterhin will Strate wissen, warum der Richter Mollaths damaligen Pflichtverteidiger Thomas Dolmány auf dessen Antrag hin nicht von seinem Mandat entbunden hatte. Nachdem Dolmány sich von Mollath bedroht gefühlt haben soll, habe er sich „in einem offenkundigen Interessenskonflikt” befunden. Der Richter hat dazu keine Erinnerung mehr.
Mollath-Urteil „kurz vor dem Urlaub” diktiert
Zumindest etwas besser ist es mit dem Gedächtnis der zweiten Zeugin am Freitagvormittag bestellt. Sie war Beisitzerin und Berichterstatterin im Prozess am Landgericht Nürnberg-Fürth. Als solche diktierte sie 2006 auch das schriftliche Urteil – unter akutem Zeitdruck. „Das war kurz, bevor ich in den Urlaub gefahren bin”, sagt die mittlerweile pensionierte Juristin heute. Am Freitag kommt sie dort übrigens gerade her, aus dem Urlaub. Sie ist extra für die Vernehmung angereist. Neben ihr steht ein großer Rollkoffer. Unter Zeitdruck ist sie wiederum – sie muss ihren Flug am Nachmittag erreichen.
Urteil fast ohne Akten geschrieben
Die Akten habe sie bei der Formulierung des Urteils bis auf wenige kopierte Auszüge nicht vor sich gehabt. Auch die Abschrift ihres Diktats konnte sie aus zeitlichen Gründen nicht mehr überprüfen. Auf Nachfrage gibt sie zu, dass es sich bei dem fertigen Schriftstück wohl eher um einen „Urteilsentwurf” handle. Dieser wird von den im Gerichtssaal anwesenden Sachverständigen in wesentlichen Punkten heftig kritisiert. Ein Beispiel: Im Urteil ist die Rede davon, Petra M. sei von Mollath mehrmals getreten worden, während sie bewusstlos am Boden lag. Der Sachverständige Prof. Eisenmenger gibt zu bedenken, dass Petra M. nichts bezeugen habe können, was zum Zeitpunkt ihrer Bewusstlosigkeit geschah. Die Zeugin antwortet: „Ich bin kein Rechtsmediziner.”
Attest: Unstimmigkeiten „waren bekannt”
Überraschend ist, was die damalige Beisitzerin zum immer wieder thematisierten ärztlichen Attest von Petra M.s Verletzungen zu berichten weiß. Die Beschreibung der Verletzungen im Urteil beruhe darauf. Und: Schon damals habe man von der auf dem Stempel des Dokuments angegebenen Nürnberger Ärztin erfahren, dass das Attest gar nicht von ihr, sondern dem Sohn stamme.
Daraufhin habe zur Debatte gestanden, die Verhandlung zu vertagen, um die Ärztin als Zeugin befragen zu können. Das sei aufgrund des allgegenwärtigen Zeitdrucks für den damaligen Vorsitzenden Richter Otto Brixner nicht infrage gekommen. Im Urteil wurde dann doch festgehalten, das fragliche Attest stamme von der Ärztin. Dieser Widerspruch sei „ihr auch aufgefallen”, bestätigt die Zeugin heute. Die Ironie dabei: Diese Schlamperei war der ausschlaggebende Grund für die Anordnung des Wiederaufnahmeverfahrens.
Brixners Vernehmung wird vertagt
Otto Brixner selbst habe sie ferner dabei beobachtet, wie er sich vor der Verhandlung mit Petra M.s neuem Lebensgefährtin Martin M. unterhalten habe, so die Zeugin weiter. Brixner habe ihr erzählt, dass er M. kenne. „Ich bin dann davon ausgegangen, dass er diesen M. zum ersten Mal nach langer Zeit wiedergesehen hat”, sagt die Zeugin. Brixner sei schließlich „ein Mensch, der keine Winkelzüge” mache. Eine eventuelle Verbindung zwischen Brixner und Martin M. wurde auch vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags heftig diskutiert.
Weiterhin soll Brixner dem Finanzamt in Steuerfragen Auskünfte über Mollath erteilt haben. Doch zu all diesen Vorwürfen kann ihn das Regensburger Gericht am Freitag nicht mehr vernehmen. Seine Anhörung wird vertagt – aus Zeitdruck. Elke Escher will offensichtlich auf eine Zeugenvernehmung wie einen Parforceritt verzichten. Ganz anders übrigens Brixner und seine Kammer: Sie hatte vor acht Jahren für die Vernehmung von neun Zeugen im Fall Mollath nur eineinhalb Stunden vorgesehen.