Bladd änd Hanna: Der Ehrenmann ist zurück
„Scheppe war keine dumme Hausfrau.“ Scheppe? So klingt der Name Zschäpe aus dem Mund ihres Thüringer Nazikumpans Tino Brandt, der diese Woche als Zeuge im NSU-Prozeß aussagte. Was war sie dann, die Scheppe? Eine intelligente nationalsozialistische Powerfrau mit Killerinstinkt? – Es ist wohl kein Zufall, daß Zschäpe Stunden später erklärte, kein Vertrauen mehr zu ihren drei Verteidigern zu haben. Doch was kommt jetzt? Bricht die Hauptangeklagte ihr Schweigen? Und was hat der Zeuge Brandt eigentlich alles verzapft, was jetzt in der Aufregung um Zschäpe untergeht? Jener Tino Brandt, der seine steile Neonazikarriere vor zwanzig Jahren im Regensburger Kolpinghaus begann. Eine Reportage aus dem Schwurgerichtssaal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts.
„Haben Sie Medikamente genommen?“, will die Verteidigung vom Zeugen wissen, und sie meint damit: Psychopharmaka. Ja, sagt der Zeuge, ein halbes Jahr oder ein Jahr habe er ein Antidepressivum verschrieben bekommen. Bereits 2001 habe er unter Depressionen gelitten. Damals schon habe er sich mit Selbstmordgedanken getragen. Aber richtig schlimm sei es dann Ende 2011 geworden. Als er in der Zeitung lesen habe müssen, er sei „der Chef der Mörder“ gewesen.
Der Zeuge heißt Tino Brandt. Wir befinden uns im NSU-Prozeß, letzten Mittwoch, später Vormittag, kurz vor der Mittagspause. Die Verteidigerin, die den Zeugen so einfühlsam befragt, heißt Anja Sturm, ihre Mandantin Beate Zschäpe. Nach der (zweimal verlängerten) Mittagspause wird der Vorsitzende Richter bekanntgeben, daß Zschäpe ihren drei Verteidigern das Vertrauen entzogen habe. Und das Verfahren damit vorläufig ausgesetzt werde. Bis Dienstag. Dann will das Gericht verkünden, ob es dem Ansinnen der Hauptangeklagten, ihre Verteidiger zu entlassen, stattgibt.
Zielstrebig zur nationalsozialistische Schreckensherrschaft
Der „Chef der Mörder“ will es nicht gewesen sein. Tino Brandt, der berüchtigte Nazi-Anführer aus Thüringen, der seit gut zwanzig Jahren zielstrebig daran arbeitet, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft wiederzuerrichten, der in der zweiten Hälfte der 90er Jahre der Kopf der kriminellen Vereinigung mit dem netten Namen „Thüringer Heimatschutz“ war, aus dem das Mördertrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hervorging – Tino Brandt war‘s nicht. Tino Brandt ist in Wirklichkeit ein verständiger Mann, der politisch interessiert ist und sich Sorgen um den Kurs seines Vaterlandes macht. Was ihm vom linken Medienkartell nur leider mit voller Absicht falsch ausgelegt wird – auch regensburg-digital hat sich hier hervorgetan.
Als V-Mann tabu
Vermutlich hat Tino Brandt, kadermäßig geschulter und gestählter Nationalsozialist, der er ist, einfach nur den Hitlerprozeß von 1924 vor Augen. Als das Münchner Volksgericht am 1. April 1924 das Urteil gegen Hitler und seine Mitverschwörer wegen des gescheiterten Putschversuchs vom 9. November 1923 sprach, war darin vom „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen der Angeklagten“ die Rede. Tino Brandt kennt das von der bundesdeutschen Justiz nicht anders. Laut Thüringer Innenministerium wurde gegen Brandt 35 (in Worten: fünfunddreißig) Mal ermittelt. Wegen solcher Bagatellen wie: Landfriedensbruch, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung, Volksverhetzung, Verstoß gegen das Waffengesetz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, und und und. Die einschlägigen Delikte eines notorischen Neonazis eben. Nur stand am Ende dieser Ermittlungen 35 Mal entweder die Einstellung oder ein Freispruch. Denn Tino Brandt war V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes und als solcher tabu.
200.000 Mark für die  „Bewegung“
So um die 200.000 Mark erhielt Tino Brandt dafür, daß er den Schlapphüten vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Woche für Woche einen Bären aufband: „Ich habe denen doch nur gesagt, was die ohnehin schon wußten“, so Brandt in einem Interview im November 2011. Wo floß die Kohle hin? „Das Geld habe ich natürlich in die Bewegung investiert.“ Und die Speerspitze dieser kriminellen Bewegung, die hieß spätestens ab Januar 1998 Mundlos/Böhnhardt/Zschäpe. Brandt schließt die drei in dem Interview auch ausdrücklich mit ein und drückt sie an seine breite Brust: „Die drei gehörten doch zu uns!“
Tino Brandt bleibt auch bei seiner Aussage als Zeuge vor dem Münchner Oberlandesgericht bei dieser mannhaften Solidaritätsbekundung gegenüber dem Mördertrio. Der einzige Unterschied: diesmal hört man es aus seinem eigenen Mund, in Thüringer Tonfall: „Wir hatten auch Skinheadgirls, die alles nur nachgesprochen haben. Scheppe dagegen hatte schon Ahnung, wofür sie einstand.“ – Ein Kompliment an Beate Zschäpe, die ihm schräg gegenübersitzt.
Tags zuvor hat er ihr bereits attestiert, daß sie „keine dumme Hausfrau“ sei. Zweifelhafte Schmeicheleien für die Hauptangeklagte, deren drei Verteidiger bislang auf eben diese Strategie setzten: ihre Mandantin als naive, junge Frau hinzustellen, die nicht so richtig mitbekam, daß sie zwei leidenschaftlichen Killern den Haushalt führte. Andererseits: wenn Zschäpe zwei Stunden später diesen ihren Verteidigern das Vertrauen entzieht – womöglich gefällt ihr das, wenn sie von so einem maßgeblichen Neonazi als zuverlässige und bewußte Nationalsozialistin gerühmt wird? Von so einem Original-Ostzonennazi, der den internationalen Zusammenschluß von Nazi-Terroristen „blood and honour“ („Blut und Ehre“) wie ein Kenner ausspricht, nämlich sächsisch: „Bladd änd Hanna“).
Wie? Was? Mord?
Ja, es wäre direkt lustig, dem Zeugen Brandt zuzuhören. Wenn es nicht um zehn Ermordete und unzählige Verletzte mehrerer Sprengstoffanschläge ginge (von den Banküberfällen zu schweigen). – Wie? Was? Mord? – Der Zeuge Brandt versteht nicht recht: „Natürlich gab‘s Sachbeschädigungen durch Aufkleber und so.“ Aber Terror als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln? Das weist Brandt entrüstet von sich. Wie heißt‘s beim Weiß Ferdl: „Ja mei, Herr Richter! Wie mir so gemütlich beieinandersitzen – auf einmal hängt einem das Auge heraus!“
Die Verwunderung darüber, daß er seit kurzem tatsächlich in U-Haft sitzt, ist dem Zeugen Brandt anzusehen. Zwanzig Jahre lang hat er sich als Neonazi ausgetobt, daß die Fetzen flogen – die demokratische Republik, die er erklärtermaßen zertrampeln will, hat ihn gewähren lassen, hat ihre schützende Hand über ihn gehalten. Es sind auch nicht Brandts Naziaktivitäten, die ihn ins Gefängnis brachten, auch nicht die Ermittlungen wegen bandenmäßigen Versicherungsbetrugs, die die Staatsanwaltschaft Gera seit zweieinhalb Jahren gegen ihn führt, sondern erst die jüngsten Ermittlungen wegen Zuhälterei: Tino Brandt steht im Verdacht, minderjährige Burschen an Freier verschachert zu haben.
Er zwitschert wie ein Vögelchen
Und so wird der Zeuge Brandt an der Zange in den Gerichtssaal geführt. Eine bayerische Spezialität, wie ein Justizwachtmeister erklärt: Ein Handgelenk des Delinquenten ist von einer eisernen Schelle umschlossen, daran ist ein Griff befestigt, an dem ein Beamter den Gefangenen vorführt. Man weiß nicht: wird hier ein Ochse am Nasenring hereingeführt oder schreitet ein Opernpaar zur Bühnenrampe, um eine zweistimmige Arie zu singen?
Tino Brandt singt jedenfalls, er zwitschert wie ein Vögelchen, nur leider sind 90 Prozent von dem, was er sagt, gelogen (zehn Prozent Wahrheitsgehalt muß auch der notorischste Lügner miteinbauen, sonst hört ihm niemand zu). Tino Brandt lügt das Blaue vom Himmel herunter: Das wöchentliche Treffen des Thüringer Heimatschutzes sei lediglich eine Art Stammtisch gewesen. In Wirklichkeit saßen hier hundert mordbereite Neonazis zusammen und heckten ihre nächsten Anschläge aus. Daß sie dabei auch hektoliterweise Bier tranken, das sind die zehn Prozent Wahrheit.
Narrenfreiheit vor dem Regensburger Amtsgericht
Aber Tino Brandt ist es nun mal seit zwanzig Jahren gewohnt, daß er mit seinen Märchen durchkommt. Es geht schon damit los, daß er Zeuge ist, und nicht Angeklagter. Das war bereits 1994 vor dem Regensburger Amtsgericht so. Damals hatte er noch nicht mal Narrenfreiheit als V-Mann (V-Mann wurde er angeblich erst ein Jahr später, in Thüringen), nein, in Regensburg waren es ganz normale Juristen, die einem ganz normalen Neonazi alles durchgehen ließen.
Tino Brandt trat damals als Zeuge der Anklage auf. Angeklagt waren zwei Studenten, die im Supermarkt Meister, dem Arbeitsplatz des Auszubildenden Brandt, Flugblätter verteilt hatten, in denen Brandt als Neonazi angeprangert wurde, dem das Handwerk zu legen sei. Brandt erstattete Anzeige – und fand bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter vollstes Verständnis.
Obwohl sich bald herausstellte, daß die Staatsanwaltschaft Bochum gegen Brandt wegen Aufstachelung zum Rassenhaß ermittelte – er hatte sich vom Lehrlingsheim im Kolpinghaus aus, wo er wohnte, bei einem Naziversand stoßweise antisemitische Aufkleber bestellt – stellte sich der Regensburger Staatsanwalt Johann Piendl dumm. Und der Richter Werner Gierl noch dümmer. Tino Brandt ein Neonazi? Woher denn! Beziehungsweise: Und wenn schon! Zum nationalsozialistischen Propagandamaterial, das sich Brandt schicken ließ, heißt es im Urteil, es handle sich um „Schriftstücke möglicherweise rechtsextremistischer Provenienz“.
Wie titelte die Titanic einst aus vergleichbarem Anlaß: „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ Tino Brandt verließ das Regensburger Amtsgericht 1994 erhobenen Hauptes und als Ehrenmann, der sich auf die Justiz verlassen konnte. Die zwei Regensburger Studenten, die in Tino Brandt genau das erkannten, was er heute noch ist: ein brandgefährlicher Neonazi, wurden wegen übler Nachrede verurteilt. Zwanzig Jahre danach wäre es an der Zeit, daß sich die Regensburger Justiz bei den beiden Flugblattverteilern in aller Form entschuldigt.