Ressentiment statt Solidarität?
Die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in der Münchner Bayernkaserne wurde in den letzten Wochen zum Politikum. Anwohner organisierten sich in Facebook-Gruppen, Gerüchte wurden verbreitet, Vorurteile bedient. Auch Münchens extreme Rechte ließ nicht lange auf sich warten.
Ein Streifzug durch den Münchner Norden von Thomas Witzgall
Wer zur Bayernkaserne will, muss mit sonst kaum von Auswärtigen genutzten Linien des Münchner Nahverkehrs fahren. Doch „abgerissen“ oder „verdreckt“ schaut hier keiner aus, eher billig gekleidet. Bedrohlich wirkt das nicht.
Auf Grünflächen, an denen der Bus vorbeifährt, sitzen Menschen in Gruppen beisammen. Die Schilderungen über angeblich herumlungernde Flüchtlinge gehören zu Klischees, die es bis in die großen Münchner Zeitungen geschafft haben. Aber auch hier: die Grüppchen wirken etwa so bedrohlich wie die Studierenden, die bei gutem Wetter vor der Universität zusammensitzen. Ein Fahrgast bemerkt, es seien „alles Wirtschaftsflüchtlinge“. Woher er das wissen will, bleibt sein Geheimnis. Er sieht die meisten nur von hinten.
97 % Wirtschaftsflüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan?
Die Legende, nur etwa drei Prozent der Flüchtlinge würden in ihrer Heimat tatsächlich verfolgt, gehört zu den Standardaussagen rechtsextremer Akteure. Doch tatsächlich bekommt nur ein kleiner Teil der Asylbewerber den rechtlichen Status als politisch Verfolgter nach Artikel 16 a des Grundgesetzes. Wirtschaftsflüchtlinge sind die anderen deshalb aber noch lange nicht. Wer aus einem Bürgerkriegsgebiet flieht, fällt nicht unters Asylrecht. Für ihn gibt es „nur“ Flüchtlingsschutz.
Bei etwa 39% der Anträge, die inhaltlich 2013 geprüft wurden, wurde eine Bedrohung für Leib und Leben festgestellt und den Geflüchteten ein temporäres Bleiberecht gewährt. Von über 9.000 Anträgen von Syrern wurden 2013 nur 23 als unbegründet abgelehnt. Nur 3,4 Prozent der Anträge von Staatsbürgern Eritreas wurden 2013 als unbegründet bewertet. Bei Antragstellern aus Somalia lag die Quote der abgelehnten Anträge knapp unter 19 Prozent. Und in den Irrungen des behördlichen Asylverfahrens scheitert auch so manch berechtigter Antrag eines Flüchtlings.
Das Gerücht mit den Handys
Das sind alles öffentlich bekannte Zahlen. Der Fahrgast mit dem vorurteilsbehafteten Blick könnte sie auf seinem Handy jederzeit einsehen. Stattdessen packt er es demonstrativ weg und tut so, als ob er Angst vor Diebstahl hätte. Handys – auch so ein Thema, das es bis in die Süddeutsche Zeitung geschafft hat: Die Neuankömmlinge bekämen angeblich ein Handy im Wert von 500 Euro geschenkt.
Doch wenn Flüchtlinge mit Handys gesehen werden, dann sind das höchstwahrscheinlich ihre eigenen. Keine Geschenke, wie gerne behauptet. Flüchtlinge müssen nicht arm sein. Man flüchtet, weil es im Heimatland zu gefährlich wird. Nicht aus Geldnot.
Der unangenehme Fahrgast fällt später noch einmal auf. Kurz nachdem er den Bus verlassen hat, starrt er einer blonden Passantin derart auf den Hintern, dass es auffällt. Auch er ist auf dem Weg zur Kundgebung der Münchner Neonazis. Aber nicht, um gegen sie zu protestieren. Er verfolgt das Geschehen vom Rand aus.
Die drei Hetzer von der Bürgerinitiative Ausländerstopp
Wo Gerüchte über Flüchtlinge ins Kraut schießen, muss man nicht lange nach den organisierten Rassisten suchen. Besonders nicht in München. Mit Michael Stürzenberger überzieht ein Islamfeind seit mehreren Jahren die Stadt mit Kundgebungen, die zu seinem Lebensmittelpunkt geworden zu sein scheinen.
Auch NPD-Chef Karl Richter ist gut genug versorgt, um rund um die Uhr politisch aktiv zu sein. Als Münchner Stadtrat für die NPD-Tarnliste Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) bekommt er monatlich etwa 2.500 Euro Aufwandsentschädigung. Als persönlicher Referent von Udo Voigt, seit Mai für die NPD im Europaparlament, wird er ebenfalls noch mal eine größere Summe einstreichen: Richter ist quasi doppelter Empfänger staatlicher Leistungen.
Vor etlichen Tagen sprang der Münchner Neonazi auf das Thema Bayernkaserne auf. Seitdem hat er mehrfach Kundgebungen in der Nähe der Einrichtung durchgeführt. Sein Mitteleinsatz ist gering, sein Risiko auch. Mit gerade mal zwei Mitstreitern stellt er sich am 19. August den Anwohnern und Gegendemonstranten. Die Lautsprecher werden auf das Dach eines VW-Golfs gepackt. Dann legt er los.
Karl Richter, der Austeiler
Die Gegendemonstranten werden mit den Nationalsozialisten verglichen. So habe das, will Karl Richter angeblich wissen, „damals auch angefangen“: Gegner auspfeifen und Parolen brüllen. Wäre es nur Unwissenheit, müsste man ihm sämtliche Scheine aus seinem Geschichtsstudium aberkennen. Bei Richter ist es aber Provokation, schon oft gehört, aber immer wieder aufs Neue widerlich. Wer als Gegendemonstrant seine gute Kinderstube vergisst, handelt sich von ihm auch schon mal eine Anzeige wegen Beleidigung ein.
Richter redet von Verwahrlosung und Unreinlichkeit, Beschuldigungen, die zu seinem „Baukasten“ gehören. Angeblich würden die Flüchtlinge überall ihre Notdurft verrichten. In einem Regensburger Onlineforum argumentierte kürzlich eine Teilnehmerin gegen die hier geplante Unterkunft, sie kenne Flüchtlinge, die den Müll nicht trennen würden.
Ungeschicktes Agieren der Behörden
Der bayerische Rundfunk meldet derweil, in der Unterkunft gebe es nur eine funktionierende Toilette für etwa hundert Personen. Es ist nicht das einzige Versäumnis der staatlichen Stellen, die Richter und seinen Gesinnungsgenossen in die Karten spielt.
Auf dem gesamten Gelände der Bayernkaserne herrscht Alkoholverbot. Wer also zu Bier oder Wein greifen will, muss das vor dem Gelände tun. Das ist vor allem Nahrung für Vorurteile. Flüchtlinge müssen keine Abstinenzler sein. „Aufhebung des Verbots und Bierbänke für 500 Leute innerhalb der Kaserne, und die Leute hätten weniger zu lästern“, meint ein Aktivist, der sich um die Flüchtlinge sorgt, nachdem Richters Kundgebung vorbei ist.
Auch Anwohner kommen zur Kundgebung. Später steht noch eine Gruppe beisammen. Eine will keine schlechten Erfahrungen mit den Bewohnern der Kaserne gemacht haben. Sie kann ihren Satz nicht ganz vollenden, weil eine zweite Anwohnerin ihr ins Wort fällt: Wenn das so sei, wohne sie wohl auf der falschen Seite.
NPD will brutale „Ausländerrückführung“
Doch Richter gibt sich an dem Tag auch in Teilen zahm. Er würde es als Erfolg sehen und mit seinen Kundgebungen aufhören, wenn die Belegung der Kaserne um die Hälfte reduziert wird. Das ist dann aber auch schon seine einzige wirklich konkrete Forderung neben schwammigen Allgemeinplätzen.
Am 16. August, da hat Richter schon etliche Kundgebungen im Münchner Norden hinter sich gebracht, verlinkt sein Landesverband auf Facebook fünf grobe Eckpunkte zur „Ausländerrückführung“.
Dieses „Programm“ kennt keinerlei Zurückhaltung. Arbeitende Ausländer sollen in eigene Sozialversicherungskassen einzahlen und generell keinen Grund und Boden mehr erwerben können. Das sowieso schon geschliffene Asylrecht will man komplett abschaffen. Vorbereitungshandlungen für eine großangelegte Vertreibung? So wie ihre geistigen Vorbilder von einem judenfreien Europa träumten, hängt die NPD dem Bild eines „ausländerfreien“ und nur noch von „Biodeutschen“ bevölkerten Landes nach.
Nur ein trauriger Migrant ist ein guter Migrant
Auf dem Rückweg zum Bahnhof lästert eine Dame in der U-Bahn über „Ausländer“ und „Sozialsysteme“. Anlass ist offenbar ein etwas lauteres Telefonat einer der Sprache nach osteuropäischen jungen Frau, die in ein herzhaftes Lachen verfallen ist. Einige Mitfahrer in der U-Bahn geben ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass sie die Lästereien auch unmöglich finden. Ein gutes Zeichen zum Abschluss eines Tages, an dem hauptsächlich Ressentiments im Raum standen.
Eine ähnliche Einrichtung wie die Bayernkaserne soll nach dem Willen der Stadtspitze auch nach Regensburg kommen. Ob auch die Oberpfälzer Naziszene in der Lage wäre, Kundgebungen zu organisieren, ist fraglich. Aber es gehört nicht viel dazu. Richter steht in München mal mit drei, mal mit fünf Leuten, Mikro und Verstärker. Für Daueraktionen, wie sie Richter in München anstrebt, fehlt es in der Oberpfalz wohl an Kadern. Man muss es sich auch leisten können, seinen Tag mit Kundgebungen zu verbringen.
Regensburg kann im Münchner Norden lernen
Regensburg kann im Münchner Norden einiges lernen. Solidarität muss im Alltag mit Leben gefüllt werden. Flüchtlinge und ihr Schicksal werden im Stadtteil, in den Buslinien und der Innenstadt sichtbarer werden. Nimmt man das zum Anlass für Vorteile und Beschuldigungen oder wird man den Stammtischparolen widersprechen?
Wird es der Idealismus für die Erstaufnahmestelle aushalten, sollte es mal schlechte Nachrichten aus der Unterkunft geben? Werden die Behörden ähnliche Fehler wie in München machen oder mit Augenmaß mit der Herausforderung umgehen? Und wie wird die ostbayerische Neonaziszene reagieren?
Auf einen Kameraden muss Karl Richter bei seinen Aktionen übrigens zukünftig verzichten. Für Detlef Wacker, den Münchner Kreisvorsitzenden der NPD, ist die Kundgebung am Dienstag die letzte. Er bricht zwei Tage später zusammen und stirbt.