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Viel mehr als stumpfe Gewalt

Blockupy 2015: Ein Augenzeugenbericht

Ziviler Ungehorsam oder einfach nur stumpfe Gewalt? Ein Augenzeugenbericht von den Blockupy Protesten in Frankfurt a.M. vergangenen Mittwoch.

Mehr als 20.000 Menschen nahmen an der Kundgebung

Mehr als 20.000 Menschen nahmen an der friedlichen Kundgebung teil. Doch es sind nicht diese Bilder, die in Erinnerung bleiben. Foto: pm/ Die Linke

Von Michael Bothner

Es ist 11.44 Uhr am 18. März als Mario Draghi, Vorsitzender der Europäischen Zentralbank (EZB) feierlich in kleinem Kreise den neuen Gebäudekomplex in Frankfurt eröffnet. Die Proteste auf den Straßen dauern zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Stunden an. Proteste, die in den Medien und von führenden Politikern als Kriegszustände, Gewalt von Chaoten oder Terroristen und als schwarzer Tag für Frankfurt bezeichnet wurden. Bilder von brennenden Polizeiautos und dunklen Rauchsäulen vor der Frankfurter Skyline bestimmen seitdem die Berichterstattung über Blockupy und eine Gewaltdebatte ist entbrannt. Doch was war geschehen? Der Versuch eines Augenzeugen, die Ereignisse rekapitulieren zu lassen.

Der Wecker klingelt nach einer viel zu kurzen Nacht. 5.30 Uhr morgens am Jahrestag der Pariser Kommune. Doch nach feiern ist heute nur einem kleinen auserwählten Kreis zumute. 1,3 Milliarden Euro soll der Glaskoloss der EZB gekostet haben, dessen feierliche Eröffnung bevorsteht. Bereits seit über einem Jahr bereitet sich das Blockupy Bündnis, dem unter anderem die Linke, attac, sowie Arbeitsloseninitiativen angehören, darauf vor. Eingeladen wurde man natürlich nicht, gekommen sind dennoch Tausende aus ganz Europa. Schon vor ein paar Wochen wurden vorsorglich die offiziellen Feierlichkeiten verkleinert, die Gästeliste stark reduziert und nur ausgewählte Medienvertreter zugelassen. Kurz vorher sagten dann auch etliche Gäste von sich aus ihre Teilnahme ab. Blockupy zeigte also mit Ankündigungen von Aktionen des Zivilen Ungehorsams bereits im Vorfeld Wirkung.

Ist Blockupy hier überhaupt an der richtigen Adresse für eine europaweite Protestbewegung? Die EZB als Teil der Troika – neben IWF und EU-Kommission – ist ein Teil der Krisenpolitik, die gerade in Griechenland für massive soziale Verwerfungen verantwortlich gemacht wird. Allein die Wirtschaftsleistung ist unter der Troika um 25 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosenquote rapide angestiegen. Die Eröffnung als Symbol einer falschgelaufenen Politik bietet sich für Proteste also an. 

Bereits am Abend vorher erfährt man, dass sich hunderte Personen aus Italien, Spanien, Griechenland, Frankreich, Schweiz und Österreich den mehreren tausend aus Deutschland angereisten Demonstranten gegen die Austeritätspolitik und für europäische Solidarität anschließen werden. Blockupy, das sich seit den Anfängen 2012 als eine europäische Protestbewegung zu etablieren scheint, rief zu Blockaden am Vormittag auf und circa 6.000 Demonstranten und 10.000 Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet folgten.

Es ist noch nicht richtig hell als um 6.30 Uhr an einem der Treffpunkte für die angemeldeten Mahnwachen noch eine letzte bestrichene Brotscheibe hastig in den Mund geführt und der Rucksack wieder bepackt wird. Es muss schnell gehen, denn von nun an werden sich von verschiedenen Punkten der Stadt Protestzüge Richtung EZB bewegen, um die Zufahrtswege zu blockieren und die Eröffnung soweit es möglich ist zu stören. Über eine Brücke geht es mit Sprechchören und entschlossenen Gesichtern auf eine Polizeikette zu. Doch noch bevor viel geschehen kann wird ein erstes Mal Pfefferspray auf die Demonstranten verteilt. Einige knien am Boden und lassen sich die tränenden und gereizten Augen ausspülen.

Gleichzeitig an einem anderen Ort scheint die Polizei noch nicht so richtig in Aktionsmodus zu sein. Einige hundert grüngekleidete Personen schaffen es ohne große Gegenwehr zwischen zwei Polizeiautos hindurch eine erste Absperrung zu überwinden. Sie stehen nur noch wenige hundert Meter entfernt von Draghis neuer Schaltzentrale, die sich imposant in den Himmel windet. Ab hier gibt es aber kein weiter mehr. NATO-Stacheldrahtzaun, sowie mehrere hundert gut gepanzerte Einsatzkräfte stehen im Weg. Hier wird in den kommenden Minuten Reizgas eingesetzt werden und das erste herrenlose Polizeiauto in Flammen aufgehen. Aus einem kleinen Lautsprecher ertönt Rio Reisers Stimme: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Das klingt für die Ohren deutscher Bürger wohl etwas radikal. In Griechenland jedoch steht das Gesundheitswesen vor einem Kollaps. Krankenhäuser wurden geschlossen und medizinisches Personal entlassen. Alles unter dem Spardiktat der Troika und auch der Bundesregierung.

Foto: Montecruz Foto, Libertinus - https://www.flickr.com/photos/libertinus/16865081122

Foto: Montecruz Foto, Libertinus – https://www.flickr.com/photos/libertinus/16865081122

Die Sonne will noch nicht so recht für das passende Wetter sorgen. Doch die Stimmung ist bereits angespannt, als mehrere Einsatzwägen und Hundertschaften abgezogen werden. An anderer Stelle war man auf die Hauptzufahrtsstraße für die geladenen Gäste vorgedrungen. Kurze Zeit später wird der Demonstrationszug von den hinzukommenden Einsatzkräften schnell wieder zurückgedrängt, in zwei Blöcke zersplittert und die Brücke für den Rest des Tages von Störenfrieden freigehalten. Auch ein Teil der angrenzenden Autobahn wird gesperrt – damit zwei Reisebusse mit Mitarbeitern der EZB durchgeschleust werden können.

Dann geht alles ganz schnell. Durch ein geschicktes, taktisches Manöver ergibt sich die Möglichkeit die nun kurzzeitig geschwächte Polizeikette bei der Brücke gewaltfrei zu durchbrechen. Bevor klar wird was da gerade geschah befindet man sich bereits im Sprint auf die EZB zu. Der Euphorie über den Raumgewinn setzen bereitstehende Polizisten jedoch ein schnelles Ende. Ohne jede Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund feuern sie mehrmals Reizgas in die Menge.

Foto: https://www.flickr.com/photos/libertinus/16246284503/

Foto: https://www.flickr.com/photos/libertinus/16246284503/

Mit tränenden Augen, brennendem Rachen und gereizter Haut bleibt zunächst nur der Rückzug. Die Polizei hatte also gleich die Grenzen aufgezeigt und ging mit Schlagstöcken auf erste weglaufende Demonstranten los. Während die einen noch das Reizgas aus den Augen spülen, werden aus einer angrenzenden Baustelle Bauzäune, Bretter, Absperrmaterial und dergleichen mehr auf der Kreuzung zu einer Barrikade zusammen getragen. Auch Mülltonnen und anderes brennbare Material ist dienlich. Andernorts wurde auf die gleiche Weise verfahren, so dass schnell mehrere dunkle Rauchsäulen über Frankfurt zu sehen sind. Gefährlich ist dabei lediglich der Gestank von geschmolzenem Plastik. Doch sieht so etwas natürlich immer sehr theatralisch aus und lässt gut das Bild gewaltbereiter Chaoten verbreiten. Ist das wirklich noch Protest? „Protest“, schrieb eine bekannte deutsche Journalistin, „ist, wenn ich sage das oder das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.”

Während es sich die einen zunächst bei wärmendem Feuer auf einer Kreuzung gemütlich machen, verbreiten sich die ersten Tweets und Meldungen im Internet über Ausschreitungen und gewaltbereite Randalierer. Auch erste Schaulustige finden sich ein. Abraham Lincoln sagte einst: „Durch Schweigen sündigen, wo protestiert werden müsste, macht aus Männern Feiglinge.“ Aber vermutlich ist die Gesellschaft aktuell mit dem Status Quo ganz zufrieden.

Wenig später wird sich vor dem 1. Revier folgende Situation abspielen. Einige vermummte Personen machen hier mit Polizeiautos kurzen Protest, die Polizei filmt aus dem Gebäude das Geschehen, schreitet jedoch nicht ein. Stattdessen setzt sie andernorts seit den ersten Auseinandersetzungen immer wieder Wasserwerfer ein, um die Protestgruppen auseinanderzutreiben.

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Foto: J Mikka Luster/ Wikimedia Commons

Nachdem fast alle Wasserwerfer aus dem Bundesgebiet in Frankfurt zusammengezogen worden sind, will man diesen Aufwand auch nicht umsonst getätigt haben. Vor den Wasserstrahlen, die bei Kontakt massive Verletzungen verursachen können, laufen die Demonstranten immer wieder weg. Die in die Menge drängenden Hundertschaften helfen mit ihren Schlagstöcken nach, ziehen auch immer wieder Personen aus der Menge heraus und führen sie ab. Ob das willkürlich geschieht ist nicht zu erkennen. Ob man bei diesen teilweise chaotischen Zuständen den Überblick behalten kann aber mindestens fragwürdig. Vielleicht gilt hier aber auch die Regel mitgehangen, mitgefangen.

Mehr und mehr wird der wütende Mob auf die Brücke zurückgedrängt. Die zuvor mühevoll aufgebaute Barrikade wird mit Räumfahrzeugen beseitigt und von nun an stehen mehrere hundert Demonstranten einer dichten Polizeikette, einem Räumfahrzeug und zwei Wasserwerfern gegenüber. Es bleibt zunächst nichts anderes übrig als sich in Geduld zu üben und die Reihen geschlossen zu halten – auf beiden Seiten. Mehrmals wird versucht mit Reizgas und Vorrücken der Ketten, die Demonstranten zum Rückzug zu bewegen – vergebens.

Foto: J Mikka Luster/ Wikimedia Commons

Foto: J Mikka Luster/ Wikimedia Commons

Nachdem in der Innenstadt rund um das EZB-Gebäude gezielt Bankenscheiben, Polizeiautos sowie eine unschuldige Bushaltestelle eingeschlagen worden sind, setzt die Polizei gegen 10.00 Uhr kurzerhand ca. 400, zum Großteil aus Italien stammende Personen in einer engen Seitenstraße fest. Von einem Kessel möchte man bei der Polizei zu diesem Zeitpunkt nichts wissen, ob unter den Nicht-Gekesselten die Randalierer und wenn ja wie viele sind, könne man auch nicht sicher sagen.

Die, als vermeintlich gewaltbereit ausgemachten Personen werden die nächsten Stunden hier erst einmal ihr Lager aufschlagen dürfen. Zudem erteilt die Polizei die Auflage, die Personalien aufnehmen und ein Foto machen zu lassen, damit sich die Polizei an die gemeinsame Zeit erinnern kann.

Wer europäische Solidarität einfordert muss auch mit gutem Beispiel voran gehen: Schnell verbreitet sich die Information über die Situation der italienischen Freunde und mehr und mehr Demonstranten kommen zusammen, um ein sofortiges Ende der Polizeiaktion zu fordern. Deren Antwort folgt daraufhin in mehreren kurzen Vorstößen von Polizeiketten in die nun fast tausend Demonstranten zählende Menge. Personen, die im Weg stehen werden auf die Seite geschoben und mit blöden Sprüchen besänftigt. Ein älterer Polizist versucht seinen jüngeren Kollegen zurückzuhalten und redet beruhigend auf ihn ein. Erst nach mehrmaligem Auffordern seitens der Demonstranten zieht sich die Polizei dann doch zurück und die Situation beruhigt sich.

Foto: J Mikka

Foto: J Mikka Luster/ Wikimedia Commons

Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, wie undifferenziert und zum Teil sehr unkoordiniert von Seitens der Polizei vorgegangen wird. Deeskalation scheint an diesem Tag kein Thema zu sein. Offenbar ist man auch mit der Gesamtsituation überfordert, was überraschend ist, bedenkt man die Öffentlichkeitsarbeit die Wochen vor Blockupy, als von vielen tausend gewaltbereiten Linksextremisten die Rede war. Ob damit auch die bunten Clowns gemeint sind, die für Stimmung unter den Leuten vor dem nicht als Kessel bezeichneten Kessel sorgen?

Nun melden sich auch weitere Politiker zu Wort. Doch der einzige, der Verständnis für die Demonstranten äußert ist ausgerechnet der Co-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain: „Für mich ist Meinungsfreiheit einer der Grundsteine der Demokratie und von daher habe ich Verständnis dafür. Die Arbeitslosigkeit ist 2015 auf einem Nach-Krisen-Hoch. Daher ist es klar, dass Menschen nicht glücklich über die Folgen sind.“

Eine als friedlich erkannte Aktion gibt es dann doch noch. Zwei Aktivisten erklettern den Skyper Tower und entrollen ein Banner: „Kapitalismus tötet“. An der Einschätzung von Innenminister Thomas de Maizière ändert diese Aktion jedoch nichts: „Hier findet Gewalt nur noch um der Gewalt willen statt – von politischer Auseinandersetzung kann da überhaupt nicht mehr die Rede sein. Wer so handelt, missbraucht seine Freiheitsrechte und überschreitet ganz klar die Grenze, die wir im Rechtsstaat bereit sind zu tolerieren.“

Foto: J Mikka Luster/ Wikimedia Commons

Foto: J Mikka Luster/ Wikimedia Commons

Die Philosophin Hannah Arendt sieht zivilen Ungehorsam als etwas, das entstehe, wenn eine bedeutende Anzahl von Staatsbürgern zu der Überzeugung gelangt ist, dass die herkömmlichen Wege der Veränderung nicht mehr offen stehen. Das bezieht auch Aktionen ein, die den Rechtsstaat an seine Grenzen bringen und diese manchmal auch überschreiten. Sind wir aktuell an einem Punkt, an dem eine einfache Demonstration nicht mehr ausreicht und ziviler Ungehorsam geboten ist? Was haben Großdemonstrationen in den vergangenen Jahren in der Politik bewirkt?

Der Vormittag neigt sich dem Ende zu und so steht ein Ausflug in die Shoppingmeile an. Doch wird man hier von weiteren Polizeiketten an einem Flanieren durch die Altstadt gehindert. Die Situation wirkt ohnehin sehr seltsam. Gerade noch war man mitten unter wütenden, gegen das europäische Spardiktat protestierenden Personen und hier laufen Menschen völlig unbeirrt mit Einkaufstaschen und Eistüten durch die Straßen oder sitzen in einem der vielen Cafés und genießen das herrliche Frühlingswetter.

Man entschließt sich für den Konsumverzicht und begibt sich zur Paulskirche, dem deutschen Symbol für Demokratie. Neben einer kleinen Stärkung wird sich endlich ein wenig ausgeruht. Schließlich ist der Tag noch nicht vorbei. Die Kundgebung, an der neben Sarah Wagenknecht, Vertreter von Syriza und Podemos auch Urban Priol teilnehmen verläuft ohne technische Probleme, so dass pünktlich um 17 Uhr der große Demonstrationszug des Blockupy Bündnisses losmarschieren kann. Am Ende werden es etwas über 20.000 Teilnehmer sein.

Von den Gewerkschaften, über Parteien, Flüchtlingsverbänden, Arbeitsloseninitiativen zu den linken Gruppierungen, vom Schüler, über Studenten, Familien, zu Rentnern ist es eine bunte Masse Menschen, die alle ihre Stimme gegen die derzeitige Politik, gegen die kapitalistischen Auswüchse erheben und für eine neue europäische Solidarität eintraten. 20.000 Menschen ist für einen normalen Arbeitstag sicherlich eine gute Zahl, für einen Politik verändernden Protest wäre Hannah Arendt das wohl nicht ausreichend gewesen.

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