„Opfesoft“, Addnfahrer und AfD – Variationen über den bayerischen Mob
Im Regensburger Runtingersaal präsentieren der Kabarettist Christian Springer und mehrere Mitautorinnen ein Buch über bayerische Zustände.
Die „Narrischen“ aus der Großstadt hier, die „vernünftigen“ Leute vom Land, die schon mal „einen Baum gepflanzt, eine Kuh gemolken und eine Sau gefüttert“ haben, dort. Kaum ein Politiker versteht es die Klaviatur dieses vermeintlichen Gegensatzes zwischen Stadt und Land, zwischen den besserwisserischen Akademikern, die „nie was Anständiges gearbeitet“ haben, und den fleißigen Handwerkern, die wissen, wie es im Leben wirklich zugeht, so gut zu spielen wie Hubert Aiwanger.
Das Podium bei der Lesung im annähernd ausverkauften Runtingersaal in Regensburg muss auf den Freie Wähler-Chef da wie eine Kampfansage wirken. „Bayerischer Mob – wie die Gewalt in die Politik einzog“, heißt das Buch, das heute vorgestellt wird. Herausgegebenen haben es Christian Springer und Kerstin Schweiger. Der eine ein Gstudierter, ein links angehauchter Kabarettist und Syrienhelfer aus der Landeshauptstadt München, die andere eine Zimmermeisterin und Bauzeichnerin aus dem ländlichen Niederbayern sind der personifizierte Gegensatz zu dem rechtsextremen Narrativ, das auch Aiwanger bedient.
Schweiger hat sich, obwohl nicht verwandt mit Aiwangers namensgleicher und politisch ähnlich tickender Lebensgefährtin Tanja Schweiger, schon intensiv mit dem bundespolitische Ambitionen hegendem bayerischen Wirtschaftsminister beschäftigt. Anfang des Jahres hat sie Aiwangers mediale Dauerpräsenz in dem Büchlein „Opfesoft“ satirisch aufgearbeitet.
„Das möchte ich heute nicht einmal einem Franz-Josef Strauß zumuten.“
„Bayerischer Mob“, erschienen in Springers Selbstverlag, ist allerdings weniger satirisch und obwohl stellenweise ganz unterhaltsam geschrieben auch alles andere als lustig. Es geht auf den rund 150 Seiten um Bedrohungen und Gewalt gegen Menschen, die sich politisch engagieren. Und diese Gewalt steigt.
Springer, Jahrgang 1964, war in den 80-ern selbst einmal im Trachtenjanker zum Nockherberg gezogen, um Franz-Josef Strauß dort mit rohen Eiern zu bewerfen. Getroffen hat er, mangels Übung, nur die Krawatte von Gerold Tandler. Und heute bereut er das. Nicht wegen der 5.000 Mark, die er zahlen musste, sondern weil Springer im Nachhinein erfuhr, wie erschrocken Strauß darüber war. Lange sei der ab diesem Zeitpunkt nur noch hinter schusssicherem Glas aufgetreten. Bedrohung, nein, „das möchte ich heute nicht einmal einem Franz-Josef Strauß zumuten“.
Denn Wahlen und der Wahlkampf, das seien ein „Urinstrument“ unserer Demokratie, sagt Springer. Gerade einmal acht Prozent der Weltbevölkerung hätten dieses Privileg. Und um andere, insbesondere auch nachkommende Generationen davon zu überzeugen, dass man dieses Privileg bewahren müsse, gebe es dieses Buch.
Interviews, Stimmungsbilder, Drohbriefe
Es ist eine Sammlung von Texten, die Drohbriefe an und Briefe von bedrohten Politikerinnen enthält, eine Interview mit einem Staatsschützer, Gastbeiträge anderer Autoren wie Hans Well oder der Journalistenlegende Karl Stankiewitz.
Man erhält Stimmungsbilder wie beim „Feuer der Gemeinschaft“, das der rechtsradikale Influencer Addnfahrer organisierte, der dort darüber schwadronierte, dass man „den Reichstag anzünden“ müsse und der einen Dr. Markus Krall als politischen Heilsbringer anpries.
Über Crashprophet Krall erfährt man wiederum, dass der als Hauptgeschäftsführer bei Degussa Karriere gemacht hat. Trotz seiner Ansichten, denen zufolge das freiheitlich-demokratische System der BRD eine „Herrschaft der Minderwertigen“ sei, obwohl Krall Umgang mit Reichsbürgern und der AfD pflegt und der – in frappierend ähnlicher Diktion wie Hubert Aiwanger – eine „Rückeroberung der Freiheit“ durch Revolution fordert.
2010 hat der Milliardär August von Finck die Namensrecht an Degussa erworben. Springer beschreibt in seinem Buch dessen enge Bande zur AfD und von Finck senior zum NS-Regime. Degussa habe zwar seine Geschichte währender NS-Herrschaft aufarbeiten lassen: Arisierungen, Zwangsarbeit, Lieferant von Zyklon B, Verwertung von jüdischem Zahngold. „Aber ist Aufarbeitung schon eine Haltung?“ Betrachtet man Fincks AfD-Unterstützung und anderweitige Aktivitäten offensichtlich nicht.
Markus Söder und die Mimosen
2.800 Angriffe und Bedrohungen gab es laut einer Auskunft der Bundesregierung allein im vergangenen Jahr auf Menschen, die sich parteipolitisch engagieren. Hauptbetroffene mit fast 1.250 Übergriffen: die Grünen. Auf Platz zwei folgt die AfD mit unter 500.
Vor dem Hintergrund, dass Ministerpräsident Markus Söder die Grünen angesichts dessen als „mimosenhaft“ bezeichnete, wird Springer laut. „Er hat für Sicherheit zu sorgen und nicht diejenigen, die bedroht worden sind, auch noch zu beschimpfen.“
Dass er Politiker wie Söder und vor allem Hubert Aiwanger als Wegbereiter verbaler und körperlicher Gewalt betrachtet, daran macht Springer in seinem Buch keinen Hehl. Mehrere Texte sind gespickt mit Zitaten, vor allem des bayerischen Wirtschaftsministers, der fordert, dass die „Anständigen“ immer ein Messer in der Tasche dabei haben sollten, dass es irgendwelche Leute gebe, die „auf Kosten der Fleißigen leben“, über „RotRotGrüne Kriminalitätsleugner“ schwadroniert oder den Grünen vorwirft, absichtlich die Deindustrialisierung Deutschlands zu betreiben.
Monika Gruber hui, Klimaschützer pfui
Auftritte von Söder und Aiwanger bei von Monika Gruber organisierten Kundgebungen gegen das Heizungsgesetz mit Vertretern von AfD kontrastiert Springer mit dem Fehlen der bayerischen Staatsregierung bei ungleich größeren Kundgebungen für Klimaschutz.
Flankiert werden diese Texte mit Beiträgen des Regensburger Energieexperten Professor Michael Sterner, der schildert, wie häufig er angesichts seines Engagements angebrüllt und beschimpft wird, oder dass man ihm auch mal die Autoreifen zersticht. Professor Michael Reng, Chefarzt am Klinikum Landshut, berichtet von den mittlerweile alltäglichen An- und Übergriffen auf Rettungskräfte.
Kabarettistin Teresa Reichl hat einen eindrücklichen Text zu Bedrohungen und Beschimpfungen im Internet und dem Sozialen Medien beigesteuert. Mittlerweile würden sich die Leute nicht einmal mehr schämen, mit Klarnamen und Foto wüsteste Beschimpfungen und „als Witz getarnte Gewalt“ von sich zu geben.
Diskursverschiebung hin zur Gewalt
Am Beispiel des Landshuter AfD-Stadtrats Rainer Ecker, der den Begriff „Bio-Deutscher“ so oft verwendete, bis die Empörung der Gleichgültigkeit gewichen war, schildert Kerstin Schweiger, wie Rechtsextreme erfolgreich die Grenzen des Sagbaren verschieben – hin zum Radikalen. „Radikalität wird nach dem fünften oder sechsten alten Nazi-Begriff nicht sagen: ‘Was soll der schon bewirken, mit seiner Hetzerei, das kennen wir alles schon.’ Nein, Radikalität wird nach dem fünften oder sechsten Begriff noch einen siebten fordern, einen achten – und schlussendlich wird sie die Umsetzung all der Drohungen, all des Hasses und der Beleidigung einfordern. Nicht ‘notfalls mit Gewalt“, sondern ‘zwingend mit Gewalt’.“
Es sind keine frohen Botschaften, die „Bayerischer Mob“ verbreitet. Man mag es als Warnung sehen, als Aufruf, sich dagegen zu stellen. Christian Springer meint am Ende der gut eineinhalbstündigen Lesung: „Wir haben dieses Buch geschrieben, damit Sie wissen, was abgeht.“ Er glaube nicht, dass es schon fünf vor zwölf sei, meint er hoffnungsvoll. Es sei vielleicht „viertel nach elf“.
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KW
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Schade, dass ich nichts von der Veranstaltung wusste, da wär ich gerne hingegangen.
Die Aiwangersche-Södersche Rhetorik ist absolut unsäglich und genau das, was die noch unsäglichere Rhetorik der Afd, wiewohl immer weniger von der erst genannten unterscheidbare, befeuert.
Diese opportunistischen Gestalten, Merz nicht unerwähnt gelassen, die sich was Scheissen ums Wohl von irgendwem und die absolut alles was sie tun und lassen, einzig und allein der eigenen Karriere/Machtgeilheit unterordnen – diese Gestalten sind der wahre Untergang der politischen, demokratischen Kultur. Die Afd schwimmt bisher nur recht erfolgreich im trüben Fahrwasser mit, aber wenn nicht alle Obacht geben, setzen sie zum Überholen an.