Ohne Schuhe aus dem Gerichtssaal
Am Dienstag wurden zwei rumänische Lastwagenfahrer zu jeweils zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Im Oktober und November 2019 hatten sie mit LKWs mindestens 20 Geflüchtete aus Iran, Irak und Bangladesch von Rumänien nach Deutschland geschleust. Das Verfahren gewährt auch einen Einblick in eine „klassische Schleusung, wie sie leider oft vorkommt“ (Richterin Andreas Costa).
Am Schluss haben sie keine Schuhe, können aber nach vielen Monaten Untersuchungshaft in Deutschland nach dem Prozess nachhause fahren. Das heißt in diesem Fall nach Rumänien. Erst kurz nach 17 Uhr ist am Dienstag die Verhandlung am Amtsgericht Regensburg beendet, doch schon vorher beschäftigen die Beteiligten – allen voran die Verteidigung von Razvan-Florin B. – ganz praktische Dinge. Wie soll die über 1.000 Kilometer lange Heimfahrt der Angeklagten durch mehrere europäische Länder organisiert werden? Zumal unter Corona-Bedingungen mit Ausgangssperre und Hotelschließungen.
Frage nach der Heimfahrt – „Jammern auf hohem Niveau“
Der Wahrheitsfindung ist es naturgemäß egal, wer wie nach Hause kommt. Die Anwältin von Aurelien N., Stephanie Bauer, möchte das lang diskutierte Thema in der Verhandlung abgekürzt wissen. „Das sind erwachsene Männer, die werden schon schaffen nachhause zu kommen“. Die flüchtenden Afghanen hätten es ja auch geschafft nach Deutschland zu gelangen. Sie habe ihrem Mandanten gesagt, „er soll hier nicht rumflennen,“ das sei angesichts einer drohenden Strafe „Jammern auf hohem Niveau“.
Die beiden 29-jährigen rumänischen Lastwagenfahrer B. und N. werden nach einem langen Verhandlungstag zu jeweils zwei Jahren Bewährungsstrafe verurteilt. Sie schleusten nach Überzeugung des Schöffengerichts unter Vorsitz von Andrea Costa im Oktober und November 2019 „gewerbsmäßig und bandenmäßig“ sechs beziehungsweise 14 Geflüchtete aus Iran, Irak und Bangladesch von Rumänien aus über Ungarn, die Slowakei und Tschechien nach Deutschland.
Schleuser durch Maut- und Handydaten sowie Verkehrskamera identifiziert
Auf die Schliche ist die Polizei den beiden Fahrern durch „aufwendige Ermittlungen“ gekommen, wie Staatsanwalt Tobias Schüßler berichtet. Ein Polizeibeamter schildert im Zeugenstand, dass man vor allem durch Funkzellenabfragen, Mautdaten und Verkehrskamerasichtungen im tschechischen Klattau die Täter identifizieren konnte. Auch Aussagen der Geschleusten spielten bei der Überführung eine Rolle.
In jeweils umgekehrten Rollen fuhr einer der 29-Jährigen einen LKW mit den Flüchtlingen auf der Ladefläche und der andere ein vorausfahrendes Begleitfahrzeug, um vor eventuellen Polizei- oder Zollkontrollen zu warnen. Die Polizei griff am 19. Oktober 2019 sechs Geflüchtete an der B 85 bei Ebermannsdorf in der Oberpfalz auf, nachdem sie wenige Stunden zuvor in einem nahen Waldstück abgesetzt wurden.
Am 15. November wurden in Perlhütte, Waldmünchen und Schwandorf insgesamt 14 Personen aufgegriffen, die zuvor noch in Tschechien vom Sattelzug eines Angeklagten abgestiegen waren. Bei den Transporten waren möglicherweise auch „Aufpasser“ dabei, die für Ruhe sorgen sollten. Ein weiterer Mitschleuser wird von der Staatsanwaltschaft gesondert verfolgt.
Angeklagte identifizieren „Safehouse“-Betreiber
Zum Umstand, warum er bei der zweiten Fahrt die Flüchtlinge bereits vor der deutschen Grenze absetzte, gibt einer der LKW-Fahrer an, dass er es mit der Angst zu tun bekam. Weil er die Personen nicht – wie vereinbart – bis nach Deutschland gebracht habe, sah er das ihm eigentlich zugesprochene Geld von 1.700 Euro nicht. Bezahlt hätte ihn für die „illegale Fracht“, so B. in Verhandlung über seine Verteidigung, ein Mittelsmann namens „Alin“, der in Rumänien ein sogenanntes „Safehouse“ betreiben soll.
Dort werden Geflüchtete gesammelt, bis ein passender Transport nach Deutschland oder ein anderes westeuropäisches Land gefunden wird. Laut Anklageschrift bezahlten sie im vorliegenden Fall bis zu 11.000 Euro für ihre Schleusung. In einem Transporter seien die Flüchtlinge zu einem Übergabepunkt im rumänischen Kreis Arad gebracht worden, wo sie dann auf die Ladeflächen der Lastwägen von B. und N. aufgestiegen seien. So erklären es die beiden Angeklagten, die sich durchweg geständig zeigen und den Behörden möglichweise auch den Schleuser „Alin“ liefern. Nach Auswertung von B.s Handy und der Identifizierung des Facebookprofils von „Alin“ hat die Staatsanwaltschaft nun ein Gesicht und einen Namen sowie weitere Ermittlungsansätze.
Bewährung für Aufklärungshilfe
Diesen Beitrag zur weiteren Aufklärung rechnet Schüßler den beiden 29-Jährigen hoch an. Nur aufgrund ihres Geständnisses, das über ihre eigenen Tatbeiträge hinausgehe, sei überhaupt an Bewährung zu denken. Denn anders als die Verteidigung sieht der Ankläger nicht nur eine gewerbsmäßige, sondern auch eine bandenmäßige Einschleusung, die mindestens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr erfordert. Weil es sich um zwei Taten und insgesamt 20 Flüchtlinge handelt, die zudem auf gefährliche Weise ungesichert zwischen Metall- und Getriebeteilen auf der Ladefläche Platz nehmen mussten, fordert der Staatsanwalt eine zweijährige Bewährungsstrafe.
In der Strafzumessung weicht die Verteidigung nicht bedeutend ab, allerdings gehen Robert Hankowetz, Peter Hofmann (beide Verteidiger B.s) und Stephanie Bauer (N.) nicht davon aus, dass ihre Mandanten als Bande handelten. Man habe mit „Alin“ eine übergeordnete Person und mit den Angeklagten zwei deutlich untergeordnete Täter, so Hankowetz und Hofmann. Hinsichtlich der Gefährlichkeit der Fahrt auf der ungesicherten Ladefläche meint Hofmann, dass die Geschleusten ja ihre Einwilligung zu dem Transport gegeben hätten. Sie hätten zu jeder Zeit sagen können: „Da fahre ich nicht mit.“
„Keine Alternative“ zur Schleusung
Richterin Costa sieht das in der Urteilsbegründung anders. Die geschleusten Menschen hätten „keine Alternative“ zur Schleusung. Sie „kratzen“ vielmehr mehrere tausend Euro zusammen und seien so verzweifelt, dass sie keine Wahl hätten zu überlegen: „Da steige ich jetzt ein oder da steige ich nicht ein“. Die Fahrt am LKW zwischen der Getriebefracht sei gefährlich. Voraussetzung für eine Bande seien drei Personen, die arbeitsteilig Straftaten begehen wollen. Das sei hier unweigerlich gegeben.
Die beiden Angeklagten werden, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, zu jeweils einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Weil N. für die Fahrt im Oktober von „Alin“ 3.000 Euro – 500 Euro pro Flüchtling – bekam, werden diese von ihm einzogen.
Ohne Schuhe nach Rumänien?
Unmittelbar nach dem (wegen Rechtsmittelverzicht) bereits rechtskräftigen Urteil können B. und N. (theoretisch) gleich nach Hause fahren. Die beiden Kindsväter, die die Schleusungen nach eigenem Bekunden wegen des Geldes durchführten, haben seit teilweise über acht Monaten ihre Familie nicht gesehen und möchten schnellstmöglich zurück nach Rumänien. Ihre Verteidiger wollen hierbei behilflich sein und Zugtickets oder Hotelübernachtungen organisieren.
Ein Problem gibt es am Ende noch: Weil sie keine eigenen Schuhe in Deutschland haben (aufgegriffen wurden sie wohl in Sandalen) und welche aus dem JVA-Fundus tragen, müssen sie diese wieder abgeben. N. steigt deshalb in Socken aus dem Gericht ins Polizeifahrzeug und wird zunächst in die JVA Weiden gebracht, um dort andere persönliche Gegenstände zu holen. Ob er von dort seine Heimreise mittlerweile mit Schuhen angetreten hat, ist nicht bekannt.