15 Apr2013
Demonstration: Kein Vertrauen in den Rechtsstaat
„Der Verfassungsschutz hat keine Daseinsberechtigung“
Mehrere tausend Menschen gingen im Vorfeld des NSU-Prozesses am Samstag in München auf die Straße. Verfassungsrichterin und Nebenkläger-Anwältin Angelika Lex fordert Verfahren gegen Verfassungsschutzbehörden wegen „aktiver Unterstützung“ des NSU.
„Was? Sie wollen auch zur Demonstration?“ Der Bereitschaftspolizist schaut etwas verdutzt, als ich ihm meinen Rucksack hinhalte. Rundherum werden die größtenteils jungen Leute auf dem Weg zum Stachus von der Polizei gestoppt – Taschen und Rucksäcke müssen geöffnet und ausgeleert werden. Manchmal werden die Personalien aufgenommen. Man nimmt es recht genau. Drei Mal gerate ich in solche Polizeisperren. Doch, wer wie ich Anzug und Hemd trägt ist offenbar nicht verdächtig. Während rundherum Menschen höflich, aber bestimmt zur Kontrolle gebeten werden, will kein Polizist in meinen Rucksack schauen. Anders das Bild bei einem iranischen Asylbewerber, der aus Regensburg angereist ist. Er wird einer intensiven Personenkontrolle unterzogen – es soll Pfefferspray bei ihm gefunden worden sein – und schließlich festgenommen. Nicht wegen des Pfeffersprays, sondern wegen Verstoß gegen die Residenzpflicht. Er dürfte sich nicht in München aufhalten.
Als die Organisatoren der Demonstration mehrfach ankündigen, nicht loszulaufen und die Straßen zu blockieren, „wenn die Polizei glaubt, hier rassistische Sondergesetze vollziehen zu können“, wird der junge Mann schließlich freigelassen. Aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ heißt es offiziell.
Was sich auf dem kurzen Weg vom Bahnhof zur Auftaktkundgebung abspielt, ist ein kleiner Teilaspekt des Protests, gegen den sich die Demonstration am Samstag richtet. Im Vorfeld des NSU-Prozesses, der in wenigen Tagen beginnen soll, gehen etwa 7.000 Menschen – bei den Zahlen gibt es zunächst erstaunliche Differenzen zwischen den Angaben von Polizei (zwischen 2.500 und 5.000) und Organisatoren (bis zu 10.000) – auch gegen staatlichen Rassismus auf die Straße. Gegen vorurteilsbehaftete Ermittlungen unter den Schlagworten „Döner-Morde“ oder „SOKO Bosporus“. Anstatt den Hinweisen auf rassistische Hintergründe der Morde nachzugehen, wurden die Angehörigen der Opfer, die Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ermordet haben sollen, unter Druck gesetzt und kriminalisiert.
Eine der Betroffenen steht bei der Auftaktkundgebung am Mikrofon. Es ist Yvonne Boulgarides, deren Mann Theo am 15. Juni 2005 mit drei Schüssen in den Kopf getötet wurde. Der völlig unbescholtene Inhaber eines Schlüsseldienstes war das siebte Opfer des NSU. Die Ermittler unterstellten dem Toten ohne Belege Drogenhandel, Glücksspiel und Prostitution. Seine Töchter wurden intensiv dazu befragt, ob ihr Vater sie sexuell missbraucht habe. Seine Frau, ob sie ihn selbst ermordet oder seinen Tod in Auftrag gegeben habe. Verdeckte Ermittler schnüffeln im privaten Umfeld der Familie. So stigmatisiert – auch von den Medien – verlor Yvonne Boulgarides schließlich ihren Arbeitsplatz.
dem Rechtsanwalt Yavuz Narin vertritt Lex die Familie Boulgarides als Nebenkläger.
Die Demonstration ist zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Kilometer quer durch die Münchner Innenstadt gezogen. Ohne irgendwelche Zwischenfälle. Die Polizei – knapp 2.000 Beamte sind offiziellen Angaben zufolge im Einsatz – agiert zurückhaltend. Allerdings wird der komplette Demozug pauschal abgefilmt. Das ist ebenso üblich wie rechtswidrig.
Die Demonstranten sind laut. Die Sprechchöre wütend und entschlossen. Doch auf den Großteil der Passanten wirkst das alles andere als bedrohlich. Die Türen der Geschäfte, an denen die Demo vorbei kommt, stehen offen. Manchmal gibt es von den Passanten Applaus oder unterstützende Rufe. Immer wieder sieht man an den Fenstern große und kleine Transparente. Immer wieder wird lautstark die Abschaffung des Verfassungsschutzes gefordert.
Bei der Zwischenkundgebung vor dem Gerichtsgebäude stimmt Angelika Lex in diesen Tenor mit ein. „Der sogenannte Verfassungsschutz hat in diesem Land keine Daseinsberechtigung.“ Nach wie vor gebe es viel zu wenig Ermittlungsverfahren gegen die Unterstützernetzwerke des NSU und überhaupt keine Verfahren gegen V-Leute des Verfassungsschutzes. „Verfahren gegen Ermittler, gegen Polizeibeamte, gegen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, gegen Präsidenten und Abteilungsleiter von Verfassungsschutzbehörden fehlen vollständig“, so Lex. Diese Verfahren müssten aber „nicht nur wegen Inkompetenz und Untätigkeit“ geführt werden, „sondern auch wegen aktiver Unterstützung“. Bei der Aufklärung werde man sich nicht allein auf das Gericht verlassen, denn: „Einen Vertrauensvorschuss für diesen Rechtsstaat gibt es von uns nicht.“
Ihr Gesicht sieht man nicht, als sie am Sonntag spricht. „Nicht allein eine Frage des Rechtsextremismus, sondern vor allem der Rechtsstaatlichkeit“ sei der nun anstehende NSU-Prozess, so Boulgarides. „Ich wünschte, alle autorisierten Stellen würden mit Nachdruck dafür sorgen, dass die zur lückenlosen Wahrheitsfindung benötigten Fakten und Beweise zur Verfügung gestellt werden würden.“ Nur so könne die Arbeit in den Untersuchungsausschüssen erfolgreich abgeschlossen werden. Wichtig sei es vor allem, nie aufzuhören, Fragen zu stellen.
Dass einige dieser „autorisierten Stellen“ gerade alles tun, um die „lückenlose Wahrheitsfindung“ zu verhindern, stellt – zwei Stunden später – Verfassungsrichterin Angelika Lex klar. Gemeinsam mit
Andreas Moser
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Selbst nach den vielen Rücktritten lernt es der Verfassungsschutz nicht mehr: http://mosereien.wordpress.com/2012/07/18/verfassungsschutz-strategie/ Auflösen!
Veronika
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Immer ist es der Verfassungsschutz?
Also ich bin jetzt wirklich nicht voll in die Sache eingearbeitet, aber immer nur auf den Verfassungsschutz (Welches der 17 Ämter oder das Bundesamt meint man hier eigentlich?) zu schimpfen, ist meiner Meinung nach zu einfach.
Fromm (BfV-Präsident i. R.): “Unser Hauptaugenmerk ist nach wie vor auf den islamistischen Terrorismus gerichtet.”
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Sicher keine diplomatische oder gar glanzvolle Aussage, wenn man die jüngsten Geschehnisse um den NSU betrachtet, aber insofern einleuchtend, als der “Verfassungsschutz” kaum offen sagen wird, worauf er sein Augenmerk richtet.
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Meiner bescheidenen Meinung nach sollte man mal entflechten, wie Staats-, Landesverfassungsschutzämter und Bundesamt für Verfassungsschutz eigentlich zusammenarbeiten sollten, und wie die Realität der Zusammenarbeit aussieht. Mir scheinen hier einige Dinge “quer” zu laufen, dass nämlich bei der meiner Ansicht nach “Zentrale BfV” manchmal gar nicht ankommt, was manche Landesverfassungsschutzämter aufgeklärt haben.
LVfS-Ämter haben meiner Meinung nach auch sehr viel mit aktueller politischer Strömung zu tun, weshalb man aufgeklärte Dinge durchaus 17x verschieden sehen kann. Wenn da nichts zentral zusammengeführt wird, kann es ja nichts werden.
schleiereule
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Das Fatale am V-Mann-System des Verfassungsschutzes ist ja, daß Neonazis dafür bezahlt werden, Neonazis zu bleiben. Gibt man die Ideologie auf, verliert man sein Einkommen. Was ist das denn für ein Anreiz?
Veronika
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@schleiereule: Das dürfte das grösste Problem sein! Andererseits möchte ich mal wissen, wer sich sonst in diesen braunen Sumpf begeben will (ohne nicht darin aufzufallen)? Irgendwann kann man sich ja wohl nicht mehr so weit selbst verleugnen, dass einem nicht der Kragen platzt, und man entdeckt wird.
Richard
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Der V-Mann des Verfassungsschutz ist doch genau betrachtet nur ein Feuerwehrmann der ein Haus anzündet um was zum löschen zu haben.
Das ist viel Geld geflossen um rechte Strukturen erst aufzubauen die man dann bespitzelt.
Viele braune Kameraden auf der Payroll des Verfassungsschutzes haben sich wohl ein ungläubiges Schmunzeln über soviel Naivität kaum verdrücken können.
Gondrino
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Wer glaubt, dass der Verfassungsschutz aus Naivität oder Dummheit die braune Szene und den Naziterror finanziert, der täuscht sich meiner Meinung nach. Ich unterstelle hier eine gewisse Absicht. So unfähig und unwissend kann man einfach nicht sein!
Man braucht ja nur mal schauen, welche Leute die Verfassungsschutzämter nach dem Kriege aufgebaut und welches Personal dort eingestellt wurde.
Siehe hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesamt_f%C3%BCr_Verfassungsschutz