„Nicht nur ein bisschen Freiheit“
Am Dienstagmorgen verhandelte das Regensburger Verwaltungsgericht zwei Klagen von „Non-Citizens”, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die volle Flüchtlingseigenschaft zuerkannt haben möchten. Erfolgreich war dabei zumindest Mohammad Kalali.
Nach der Verhandlung fällt man sich in die Arme, beglückwünscht den strahlenden Mohammad Kalali. Man könnte sagen: Er ist jetzt auch rechtlich ein freier Mann. Soeben ist ihm vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugesichert worden.
Bereits um 8 Uhr morgens, eine Stunde vor Beginn der ersten Sitzung, haben sich rund 40 Non-Citizens – so bezeichnen sich die Flüchtlinge aufgrund ihrer Lage selbst – und Unterstützer auf dem Haidplatz eingefunden. Mit Transparenten und Sprechchören machen sie auf sich aufmerksam. Ein Statement wird verlesen. Darin werden vor allem Regierung und Massenmedien scharf angegriffen, weil sie „ein Bild zeichnen, welches die Lebensbedingungen der Non-Citizens rechtfertigen soll“.
Flüchtlingseigenschaft statt Abschiebungsverbot
Zunächst wird die Klage von Omid Moradian gegen das BAMF verhandelt. Da die Einlasskontrollen – wie immer am Verwaltungsgericht – sehr umständlich sind und nur von einem einzigen Beamten durchgeführt werden, hat die Kammer bereits Platz genommen, als immer noch Zuhörer in den Saal strömen. Irgendwann sind es mehr als 50 Personen, die mit ihrer Präsenz vor allem ein Ziel verfolgen: den Flüchtlingen den Rücken zu stärken.
Moradian unterliegt bereits einem Abschiebungsverbot, darf also nicht in seine Herkunftsland, den Iran, zurückgeschickt werden. Doch ein „Citizen“ ist er deshalb noch lange nicht – seine Lebensbedingungen unterscheiden sich nicht von denen anderer Asylsuchender. Das will er ändern – und klagt auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Um diese zu erhalten, muss er nachweisen, dass er bereits vor seiner Flucht im Iran politisch aktiv war und diese politische Aktivität auch in Deutschland weitergeführt hat – und zwar nicht erst nach Abschluss des ersten, für ihn erfolglosen Asylverfahrens. Moradians Fall ist damit anhand eines Paragraphenabschnittes zu bewerten, der in seiner Formulierung grundsätzlich von einem Missbrauch des Asylrechts durch Flüchtlinge ausgeht. Vereinfacht gesagt soll ausgeschlossen werden, dass ein Asylsuchender nur deshalb in der Bundesrepublik politisch aktiv wird, um sich anschließend darauf berufen zu können, in seinem Herkunftsland aufgrund genau dieser Aktivität verfolgt zu werden.
Kontinuität der Aktivitäten: „Ich war immer ein politischer Mensch.”
Was sich hier wie Paragraphenreiterei liest, stellt sich in der Sitzung als genau das dar. Der Vertreter des Bundesamtes bleibt bei der Darstellung seiner Behörde, es habe „keine Kontinuität zwischen der politischen Aktivität im Iran und in Deutschland gegeben.“ Moradian und sein Rechtsanwalt sehen das anders. „Ich war immer ein politischer Mensch und habe mich so gut betätigt, wie es mir möglich war“, lässt der Kläger über seinen Dolmetscher mitteilen. Moradian ist Kurde. „Mir ist es in meiner Heimat nicht erlaubt, meine Muttersprache zu sprechen oder in traditioneller Kleidung in die Schule zu gehen. Ich denke, ich habe ein Recht darauf, in Deutschland als politisch Verfolgter anerkannt zu werden.“
Viele Einzelheiten von Moradians Schilderung will die Richterin unterbinden. Ihr scheint eine zielführendere, knappere Beantwortung ihrer Fragen sinnvoller. Der Rechtsanwalt interveniert zumindest an einer Stelle und bittet, seinen Mandanten seine durchaus nicht unkomplizierte Lage schildern zu lassen. Ob das ausreicht, um die Rechtmäßigkeit des Bescheids zu bestreiten, ist fraglich. Das Gericht stellt sein Urteil in dieser Sache – wie am Verwaltungsgericht üblich – zu. UPDATE: Die Pressestelle des Verwaltungsgericht hat mittlerweile mitgeteilt, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wurde.
Mohammad Kalali: „Exponiert genug“ für mögliche Verfolgung?
Nach einer kurzen Unterbrechung wird die Sitzung dann mit der Verhandlung von Mohammad Kalalis Klagesache fortgeführt. Schon von Anfang an zeichnet sich ab, dass sich die Lage hier anders gestalten wird, auch wenn das Anliegen Kalalis dasselbe ist: Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft statt eines bloßen Abschiebungsverbotes.
In seinen Vorüberlegungen, so die vorsitzende Richterin, sei das Gericht zu der Auffassung gekommen, dass in dieser Rechtsfrage nicht zu bewerten sei, ob eine Kontinuität der politischen Aktivitäten bei Kalali nachvollziehbar sei. Das ist allerdings auch kaum anzuzweifeln: Kalali gilt als eine der Identifikationsfiguren der Flüchtlingsbewegung in Deutschland. Bei allen wichtigen Aktionen, sei es den Protest-Camps in Würzburg oder Regensburg, aber auch dem großen Protestmarsch, war er federführend dabei. Im November 2012 war er beteiligt, als die Flagge der iranischen Botschaft heruntergerissen wurde, um auf das Unrechtsregime in dem Land hinzuweisen.
Vielmehr, so das Gericht, müsse man prüfen, ob Kalali in seiner politischen Aktivität „exponiert genug“ sei, sodass man davon ausgehen müsse, dass er in seinem Herkunftsland verfolgt und bedroht werden würde. „Vieles spricht dafür, dass das, was vorher nicht gereicht hat, jetzt ausreicht“, formuliert die Richterin. Sie bezieht sich damit auf eine bereits abgewiesene Klage Kalalis gegen einen Bescheid des Bundesamtes.
Bundesamt sichert Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu
Dann geht alles sehr schnell. Kalali muss sich nicht einmal äußern, da lässt der BAMF-Vertreter bereits zu Protokoll geben, dass „demnächst ein der Klage abhelfender Bescheid zugestellt werde. Es wird hiermit rechtlich bindend zugesichert, dass die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird.“ Auch die Kosten des Verfahrens, welches wenige Minuten später eingestellt wird, übernimmt das Bundesamt.
„Ich denke, dieses Recht wäre ein Recht für uns alle.“
Mit dem Ende der Sitzung ist für Mohammad Kalali, der sich erst kürzlich erneut im Berufungsverfahren vor dem Amtsgericht Regensburg wegen mehrerer Verstöße gegen die Residenzpflicht verantworten musste, ein langer Kampf vorerst beendet. Doch der Mann, der jetzt auch rechtlich völlig korrekt Flüchtling genannt werden darf, hat einen weiteren Blick.
„Ich denke, dieses Recht wäre ein Recht für uns alle“, sagt er nachdenklich. „Ich hoffe, dass unsere gesamte Position jetzt besser wird. Menschenrechte gelten für alle. Wir müssen auch ein bisschen Freiheit haben.“ Er hält kurz inne, schüttelt grinsend den Kopf. „Nicht nur ein bisschen. Das ,ein bisschen’ muss raus.“
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