Nach Michlstift-Streit: Kurt Raster sagt Einladung zum Künstlerempfang ab
Offener Brief von Kurt Raster
Betreff: Absage Teilnahme an „Empfang 2015 für Künstlerinnen und Künstler und Kulturgestalterinnen und Kulturgestalter“
Sehr geehrter Herr Joachim Wolbergs,
dazu gehört schon ein gehöriges Maß Chuzpe. Ich möchte Sie daran erinnern, Sie hatten die Freundlichkeit, mich öffentlich zu kennzeichnen als einen, der „die Geschichte vom Pferd erzählt“, also lügt. Sie unterstellten mir, „mit den Ängsten der Ärmsten Politik“ zu machen und disqualifizierten dies als „schäbig“ und „hinterfotzig“. Auch schafften Sie es, das unschuldige Wort „Theatermensch“ als Beleidigung gegen mich zu schleudern.
Nun bekomme ich eine persönliche Einladung von Ihnen zugeschickt: „Empfang 2015 für Künstlerinnen und Künstler und Kulturgestalterinnen und Kulturgestalter“. Anlass: diverse zu vergebende Preise.
Halten Sie das nicht für etwas inkonsequent? Vergangene Woche noch bei der Übergabe der Petition zum Erhalt des Michlstifts und gegen eine Streichung von 100 kommunalen Heimplätzen zugunsten der privaten Pflegeindustrie schmetterten Sie mir zu: „Mit jemanden, der mich anzeigt, rede ich nicht!“ Sagten‘s und flohen von hinnen.
Und jetzt die Einladung? Nun, natürlich, bei besagtem Empfang geht es für das Gros nicht ums Reden, sondern ums Zuhören. Sie reden und alle anderen dürfen Ihrem Vortrag „Gedanken zur Kultur“ lauschen. Darf ich raten? In Ihren Ausführungen wird sehr viel die Rede sein von Kunst als Wirtschaftsfaktor, von „Kreativwirtschaft“ und Aufwertung durch Kunst, sehr wenig dagegen von Kunst als Ware, von Künstler_innen am Gängelband der jeweiligen Kulturförderpläne kulturferner Kulturreferenten, von Kunst als Hure und Handlanger der Macht. Schade, denn gerade diese Inhalte hätten mich gelockt.
Daher muss ich Ihnen leider eine Absage erteilen, so schwer es mir fällt.
Sicher, das Begleitprogramm klingt sehr verlockend, gleich dreimal Tanz: „Die Schwerkraft“, „Das Gleichgewicht“, „Die Erfüllung“. Allerdings wäre ich eher interessiert an Tänzen wie „Die Abschiebung“, „Die Schere zwischen Arm und Reich“, „Fixierung im Altenheim“ oder „Das Jobcenter“.
Die Ausgezeichneten haben sich die Preise sicher ordentlich und redlich verdient, können mich aber bedauerlicherweise auch nicht genügend reizen. Bircheneder malt leere Industrielandschaften als „magische und surreale Stimmungen“. Industrielandschaften mit realen, in anklagendem Grau gehaltenen Leiharbeiter_innen wären mir lieber.
Böhm hat „innovative Präsentationsformen“ zu bieten, sogar „brandaktuelle, gesellschaftsrelevante Themen wie Kommunikation, Information, Überwachung und Identität“. Wow! Leider finde ich im Internet Böhmsche Filme, in denen ein Mensch in einem Zelt durch eine Stadt rollt oder Barcodes an Wände projiziert werden. „Vermessung“ heißt der eine, „SCAN München“ der andere. Jedoch finde ich keinen Hinweis auf „Zelt“ als wichtiges Symbol der Ausgeschlossenen (Non-Citizens) oder etwa die Vorratsdatenspeicherung (Stasi 2.0). Das ist Andeutung von Kritik aber keine Kritik und langweilt mich dann doch zu arg.
Kellhuber macht Jazz, den alle toll finden. Toll! Leider stört mich Kunst, die keinen stört.
Pawelke bietet die ideale Mischung: Sport und Kunst. Das ist sicher gut für den Sport, aber was bringt es der Kunst? Um es mit einem musikalischen Beispiel zu fundieren: Yngwie Malmsteen, der schnellste Gitarrist der Welt (natürlich neben all den anderen schnellsten), macht auf seinem Instrument phänomenalen Sport, aber nicht ein klitzekleines bisschen Kunst.
Schließlich der Herr außer der Reihe, Herr Daniel Schill, ein Wirtschaftler, der einen Wirtschaftspreis von der Uni bekommt. Hier muss ich, bei allem bisherigen Lob, endlich Protest einlegen. Die Preisgrundlage ist zu dünn! Ja, die Begründung ist nachgerade albern: „Schills hervorragende wissenschaftliche Arbeit zeigt auf, dass auf ein Hochwasserereignis häufig ein Rückgang der Grundstücks- und Immobilienpreise folgt.“
Sind das tatsächlich Erkenntnisse, die eines Preises würdig sind? Steht es so schlecht mit unserer Bildung?
Und, wenn schon Binsenweisheiten prämiert werden, warum nicht etwas sozial fortschrittlichere, z.B. „Sinken die Löhne werden die Leute ärmer“, oder „Die Riesterrente ist der totale Bullshit“ oder „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet”?
Genug. Sie verstehen, ich kann mich nicht an einer Veranstaltung beteiligen, die die Verniedlichung der Kunst und die Entleerung der Wissenschaft abfeiert. Dafür liebe ich beides zu sehr.
Mit verbindlichen Grüßen,
Ihr Kurt Raster
Mathilde Vietze
| #
Was wäre erst dann losgewesen, wenn Wolbergs Herrn Raster
n i c h t e i n g e l a d e n hätte. Es ist doch nicht schlimm,
jemanden einzuladen, auch wenn man ganz und gar nicht
seiner Meinung ist. Und bei diesem Empfang werden genügend
dabei sein, die in der Diskussion Wolbergs Ihre (anderslautende)
Meinung kundtun. Und genau das belebt die poliische Arbeit,
ganz, wie Wolbergs das möchte.
Uli Zeger
| #
Respekt, Herr Raster