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Kein Gegenkandidat

Nach Kritik am Wiederwahl-Procedere für Regensburgs Rechtsreferent: Sozialbürgermeisterin rüffelt Ex-OB

Um Vergangenheitsbewältigung in mehrfacher Hinsicht ging es bei der Wiederwahl von Rechtsreferent Walter Boeckh.

Gratulation vom Bürgermeisterinnen-Trio: Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer gratuliert Rechtsreferent Walter Bockh, eingerahmt von Bürgermeisterin Astrid Freudenstein und Bürgermeister Ludwig Artinger. Foto: Stadt Regensburg

Mit einigem Gepolter, einer am Ende aber halbwegs klaren Mehrheit von 29 der abgegebenen 48 Stimmen ist Regensburgs Rechtsreferent Walter Boeckh kürzlich im Amt bestätigt worden. 16 Stimmen waren ungültig (oder „Nein“), jeweils eine Stimme erhielten die SPD-Stadträtinnen Evi Kolbe-Stockert und Klaus Rappert.

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Seine „Eignung und Befähigung“ für diese Position habe der frühere Richter am Landgericht Regensburg „überzeugend nachgewiesen“, heißt es in der entsprechenden Stadtratsvorlage. Boeckh habe sich während der letzten fünfeinhalb Jahre in diesem Amt „bewährt“ und sei dessen Anforderungen „voll gewachsen“. Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) sagt sogar, dass er „einen hervorragenden Job“ gemacht habe. Diese Ansicht ist nicht ungeteilt.

Koalitionsdeal 2014: Referentenposten für die Freien Wähler

Das zeigt sich nicht nur in den 18 Gegenstimmen, sondern auch bei einer Wortmeldung von Brücke-Fraktionschef Joachim Wolbergs, unter dessen Zeit als Oberbürgermeister Boeckh erstmals zum Rechtsreferenten gewählt wurde. Folgt man Wolbergs, dann war dies ein parteipolitischer Deal, um die Freien Wählern für die 2014 geschmiedete Bunte Koalition (SPD, Grüne, FDP, Piratin, FW) gewinnen zu können.

Das Amt eines Bürgermeisters habe man ja schon den Grünen gegeben (Ergebnis: Umweltbürgermeister Jürgen Huber) und den Freien Wählern habe man deshalb bei den Verhandlungen angeboten, dass diese Zugriff auf den 2018 neu zu besetzenden Posten des Rechtsreferenten bekommen sollten. „Weil wir sie brauchten in der Koalition.“

„Die Erinnerung spielt einem manchmal Streiche.“

Man habe eigentlich gedacht, dass Freie Wähler-Chef Ludwig Artinger dies selbst übernehmen werde, so Wolbergs, aber am Ende sei schließlich Walter Boeckh, seines Zeichens ebenfalls Freier Wähler, zum Zug gekommen. „Das war eine politische Besetzung“, betont Wolbergs, auch wenn sich andere Mitglieder der Bunten Koalition nicht mehr daran erinnern können, dass von diesem Geschacher „jeder gewusst“ habe.

Horst Meierhofer (FDP) widerspricht vehement. Öffentlich kommuniziert worden sei das nicht, beharrt auch die OB. Das sei allein eine Absprache zwischen Wolbergs und Artinger gewesen, heißt es intern. Sie habe das jedenfalls erst im Nachhinein erfahren, sagt die Oberbürgermeisterin öffentlich. „Das sollten wir jetzt nicht öffentlich diskutieren.“ Ihr Vorgänger verkläre und verdrehe da wohl die Tatsachen, sagt Maltz-Schwarzfischer. „Die Erinnerung spielt einem manchmal Streiche.“

„Keine Besetzung nach Leistung“

Der Hintergrund, warum Wolbergs all dies in öffentlicher Sitzung auf den Tisch bringt: Boecks Wiederwahl ohne Ausschreibung des Postens lege den Verdacht nahe, dass es sich „um eine politische Entscheidung handelt und nicht um eine Besetzung nach Leistung“. Denn zu Kritik gebe Boecks Leistung in den letzten fünfeinhalb Jahren durchaus Anlass, so der EX-OB. Zumindest gebe es genügend Gründe, deretwegen sich der bisherige Rechtsreferent im Rahmen einer Ausschreibung der Konkurrenz hätte stellen sollen, ist Wolbergs überzeugt.

Konkret spricht Wolbergs an, dass einige unzufrieden damit seien, wie Boeckh manches Prozessrisiko eingeschätzt habe. Es dürfte wohl um den Rechtsstreit um den Schmack-Berg im Stadtosten gehen, den die Stadt über zwei Instanzen verlor und dabei nach offiziellen Angaben knapp 200.000 Euro in den Sand setzte. Kritisch sähen manche auch Boeckhs Handeln während Corona – es könnte sich um die Auszählung der Stichwahl 2020 handeln, die damals – bayernweit einmalig – bis Dienstag dauerte. Schließlich beklagt Wolbergs den Tonfall, den der Rechtsreferent manchmal gegenüber ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen anschlage.

„Offen mit politischen Besetzungen umgehen“

Man müsse nicht ausschreiben, so Wolbergs, aber im Fall der früheren Planungsreferentin Christine Schimpfermann habe die CSU gesagt, „wenn eine Person eine Leistungsbilanz hat, die zumindest streitbar ist, dann muss sich diese Person messen lassen.“ Doch die Koalition habe die Personalie Boeckh entgegen den üblichen Gepflogenheiten nicht einmal im Ältestenrat besprochen, sondern lege diese Wiederbesetzung dem Stadtrat einfach vor.

Positiven Widerhall beim Rest des Stadtrats findet Wolbergs mit diesen Beiträgen nicht. Lediglich Grünen-Fraktionschef Daniel Gaittet merkt an, dass man mit einer politischen Besetzung zumindest offen umgehen solle. „Man sollte die Amtszeiten an die Amtszeiten des Stadtrats anpassen.“

„Ihnen steht Kritik am wenigsten zu.“

Die Oberbürgermeisterin hingegen kann diesen Blick auf eine politische Besetzung „nicht nachvollziehen“, findet die Debatte „unangemessen“. Auch Bürgermeisterin Astrid Freudenstein (CSU) lässt sich zu einer ihrer eher seltenen Wortmeldung hinreißen. Wolbergs stehe es „am wenigsten zu“, den Arbeitsstil eines berufsmäßigen Stadtrats zu kritisieren, „angesichts des Schadens, den Sie in Ihrer kurzen Zeit der Stadt und der Stadtverwaltung zugefügt haben“.

Gewählt wurde Walter Boeck, Jahrgang 1966, übrigens nur für vier statt die vollen sechs Jahre, „aus beruflichen und privaten Gründen“, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Er selbst sagt in der Sitzung nichts zu dem Hickhack im Vorfeld seiner Wiederwahl. Mit einem freundlichen Ton in den kommenden Jahren habe er aber „überhaupt kein Problem“.

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Kommentare (13)

  • Spartacus

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    Besetzung nach Leistung ist ab einer gewissen Führungsebene sowieso nicht mehr gegeben, das weiß in Deutschland jedes Kind.
    Was macht Wolli noch in Regensburg?

  • Tröster

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    Lustig. Hat nicht Wolbergs seinerzeit eigens den erkrankten Stadtrat Burger nach einer Sitzungsunterbrechung auf der Trage anschleppen lassen, damit ein gewisser Clemens Unger – der nun wirklich kein überzeugender Kulturamsleiter war – sein Amt als Kulturreferent behalten konnte?

  • Klüngel

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    ‚- parteipolitischer Deal-‚
    „Weil wir sie brauchten in der Koalition.“
    Umso wichtiger erscheint es das dieser Klüngel jetzt raus kommt.
    Also ein nepotisches System, das auf Gegenseitigkeit beruhende Hilfeleistungen und Gefälligkeiten fußt.

  • Günther Herzig

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    @Spartacus
    27. Mai 2024 um 16:37 | #
    Besetzung nach Leistung, das ist die Idee. Nicht in jeder Situation das gewünschte Ergebnis verzeichnet zu haben, kann aber doch nicht ausschließen, dass der Rechtsreferent Boeckh gute Arbeit geleistet hat. Vorher Richter gewesen zu sein, beruhte ja auch nicht darauf, dass die Bestellung aus einem Lottogewinn resultierte. Das kann ganz sicher auch von Ludwig Artinger bestätigt werden.
    Die Vorgaben eines nicht wirklich als juristisch vorgebildeten Stadtrats sind auch Teil des Risikos des Rechtsreferenten sich in Situationen bewähren zu müssen, in denen es einfach von ihm erwartet wird.
    Der Rechtsreferent als Koch, von dem verlangt wird das Rezept des Stadtrats nachzukochen, ist nicht zu beneiden.
    Aus der Berichterstattung bei r-d in der Vergangenheit habe ich den Eindruck, dass die anwaltliche Beratung und Vertretung der Stadt den gestellten Aufgaben nicht immer voll gewachsen war. Der anwaltliche Vertreter sollte auch mal das Format haben, das vorgegebene Ziel eines Mandats als nicht erfolgversprechend in Frage zu stellen. Stehen Umsatzüberlegungen der beflissenen Anwälte dem im Wege, kann der Rechtsreferent nichts dafür, wenn etwas schief geht.

  • Markus Panzer

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    Es bleibt unverständlich, warum die Referentenstellen nicht grundsätzlich ausgeschrieben werden. Das war unter Christa Meier der Grund, warum man die Dezernenten zu gewählten Stadträten (Referenten) mit höherer Besoldungsstufe machte, um eben auch eine Alternative wählen zu können. Dann bitte wieder zurück zum alten System und Personalkosten sparen.
    In diesem konkreten Fall kann man nur sagen, der Referent passt zur Stadtspitze.

  • Arno Nymer

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    Wenn Fr. Freudenstein Richtung Wolbergs meint, “angesichts des Schadens, den Sie in Ihrer kurzen Zeit der Stadt und der Stadtverwaltung zugefügt haben“, solle er sich mit Kritik zurückhalten, hat sie Recht. Nur haben auch korrupte CSU-Bürgermeister in ihren langen Zeiten viel (mehr?) Schaden zugefügt. Doppelter Standard schadet auch, Frau Freudenstein!

  • Daniela

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    Ich bin der Meinung, diese Stellen sollten immer öffentlich ausgeschrieben werden, um eben den Ansatz eines Verdachts gar nicht erst aufkommen zulassen, dass etwas ‘verschoben’ wird.

  • tom lehner

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    Politik ist ein schmutziges Geschäft.

  • Susanne M.

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    Vor 10 Jahren wurde Joachim Wolbergs OB. Heute mockiert er sich im Stadtrat über die Praxis der politischen Vergabe von Referentenstellen – eine Praxis, der er vorgefunden und weitergetrieben hat, so wie es die heutige OB auch macht.

    Dass der wegen Bestechung verurteilte Wolbergs glaubt in diesem Kontext glaubwürdig und glaubhaft als auftreten zu können, macht deutlich, dass es in Regensburg keinerlei politische Aufarbeitung und Konsequenzen aus den Bestechungs- und Vorteilnahmeprozesse gab. Am wenigstens bei Joachim Wollbergs. Persönlich beschämend und politisch desaströs nenne ich all Das.

  • Schwarzmeertanker

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    Meine persönliche Spekulation: Der Rechtsreferent wird erst ausgetauscht, wenn die CSU die Stadtspitze stellt. Herr Dr. Mitko wird sich dann gerne von der Stadt Amberg von A16 auf B3 finanziell verbessern wollen. Bis dahin bleibt die Vertrauensperson der OB im Amt.
    Alles andere daneben ist einfach politisches Geplänkel drumherum. Mehrheit ist Mehrheit mit einer Koalition. Das ist nun mal das politische Geschäft, das die Presse und hier im speziellen regensburg-digial durch Berichterstattung Gottseidank öffentlich macht.

    Ich persönlich finde allein (die leider rechtlich zulässige) Äußerung eines Herrn Wolbergs als Stadtrat wirklich unsäglich. Mich regt diese öffentliche Anmaßung eines rechtskräftig wegen Bestechlichkeit verurteilten Ex-Oberbürgermeisters im Stadtrat auf. Nach Höhe der Strafe ist er kraft Gesetzes aus dem Dienst entlassen. Eigentlich hätte zusätzlich ein Verbot öffentliche Ämter zu bekleiden ins Urteil gehört. Vielleicht kriegt er das ja im nächsten Prozess. Hoffentlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht endlich, damit dieser in München starten kann.
    Es ist eine Schande, dass eine solche Person hier noch eine Kontrollfunktion als Stadtrat gegenüber der Stadtverwaltung ausüben darf. Wann hält er endlich mal den Mund und hört endlich auf, auf Kosten des Steuerzahlers sich öffentlich wichtig zu machen? Er soll endlich sein Versprechen einlösen, dass er bei einer rechtskräftigen Verurteilung Regensburg verlässt. Damit würde automatisch auch sein Mandat als Stadtrat enden…

  • Hthik

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    @Susanne M. 29. Mai 2024 um 10:10
    @Schwarzmeertanker 29. Mai 2024 um 12:12

    Der Freudensteinsche Fehlschluss ist so alt, dass er einen lateinischen Namen hat: tu quoque. Persönlich begrüße ich es ausdrücklich, wenn jemand vom Saulus zum Paulus wird. Was nicht heißt, dass das keine wichtige Hintergrundinformation ist, die zur Bewertung der Diskussion gehört. Nicht aber zur Frage, ob Wolbergs das sagen darf.

    @Günther Herzig 28. Mai 2024 um 08:06

    “Besetzung nach Leistung, das ist die Idee.”

    Eine schöne Einleitung.

    “Nicht in jeder Situation das gewünschte Ergebnis verzeichnet zu haben, kann aber doch nicht ausschließen, dass der Rechtsreferent Boeckh gute Arbeit geleistet hat.”

    Ohne andere Bewerber ist das schwer zu beurteilen.

    “Vorher Richter gewesen zu sein, beruhte ja auch nicht darauf, dass die Bestellung aus einem Lottogewinn resultierte.”

    Ja, der Lottogewinner von den Linken kann lange warten. Es ist in der Tat eine Idee, dass Richter unabhängig von politischen Einflüssen bestellt werden sollen. Aus der Idee, wenigstens so ein ganz klein bisschen eine Tat zu machen wollte das Volksbegehren “Macht braucht Kontrolle – Für ein unabhängiges Verfassungsgericht”. Es wurde, wen ich mich recht erinner auch von den FW unterstützt, die damals nicht in der Regierung waren.

    In der Justiz geht es eben geheimer zu und selbst wenn es anders wäre haben sie besser verinnerlicht, die Klappe zu halten, als Wolbergs. Das ist der Unterschied zum Stadtrat

  • Mr. B.

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    Susanne M.
    29. Mai 2024 um 10:10 | #

    Respekt. Ein sehr wertvoller Beitrag.

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drin