Nach 15 Jahren Depot: Zingerl-Zyklus wird (kurz) in Regensburg gezeigt
In der städtischen Galerie Leerer Beutel wird bis Ende Oktober der Donauschüler-Zyklus des heuer verstorbenen Künstlers Guido Zingerl gezeigt. Bei einer Matinee wurde nun die Forderung nach einer Dauerausstellung laut.
Es macht schon was her, wenn man die 20 großformatigen Quadrate mit den Acryl-Malereien Guido Zingerls in natura bewundern kann. Bis zum 29. Oktober hängen seine „Aufzeichnungen eines Donauschülers“ im obersten Geschoss der städtischen Galerie Leerer Beutel. Dass es diese Würdigung des Regensburger Künstlers überhaupt gibt, der im Januar 90 geworden ist und wenige Wochen später verstarb, ist vor allem Helga Hanusa zu verdanken. Sie regete eine Ausstellung bei Kulturreferent Wolfgang Dersch an und brachte damit den Ball ins Rollen.
Und so wurde Zingerls in den 80ern geschaffener Zyklus, angekauft Anfang der 1990er unter Kulturreferent Egon Greipl, aus dem Depot geholt, entstaubt und aufbereitet und ist nun für einen Monat im Leeren Beutel zu sehen (Mehr zum Verschwinden des Zingerl-Zyklus). Im ursprünglichen Jahresprogramm war für Zingerl kein Platz vorgesehen. Und dass das eine Schande gewesen wäre, belegt (nicht nur) die illustre Runde, die sich bei der Matinee einfindet, zu der Galerieleiter Reiner Meyer am letzten Samstagvormittag geladen hat.
Den Pinsel in der Wunde des Nationalsozialismus
Etwa 80 Leute sind da, allen voran Zingerls Witwe Ingrid Scholz, der man ihr Alter nicht anmerkt. Altbürgermeister Walter Annuß ist gekommen und der Holocaustüberlebende Ernst Grube. Hans Simon-Pelanda von ArGe ehemaliges KZ Flossenbürg, Luise Gutmann und Helga Hanusa von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), mit der Zingerl stets verbunden war und von der es häufiger Porträtwünsche bei runden Geburtstagen gab.
Die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten und im Bild zu zeigen, das war nämlich eine der Wunden, in die Zingerl seinen Pinsel legte und damit provozierte. Auch und vor allem in seinem Donauschüler-Zyklus, der vor allem Regensburg im Fokus hat.
Immer wieder wird diskutiert und nachgefragt, während Reiner Meyer nicht nur fachkundig, sondern spürbar begeistert durch die Ausstellung führt, vorbei an vielen unschönen Begebenheiten der Regensburger Stadtgeschichte, die Zingerl entsprechend drastisch zeigt.
Zwischen Kunst und Stadtgeschichte
Die Hinrichtung des Dombaumeisters Wolfgang Roritzer 1514. Das gekrönten Haupt des Fürsten Johannes von Thurn & Taxis, umringt von feisten Geistlichen und anderen fragwürdigen Gestalten, das bei Zingerl eher wie dessen Allerwertester aussieht. Johannes Kepler und der drohenden Verbrennung seiner Mutter. Die Lehrerin Elly Maldaque, Opfer der Kommunistenjagd in den 1930er Jahren. Ein Selbstporträt von Zingerl und Scholz, eingerahmt von fragwürdigen, um nicht zu sagen beängstigende Gestalten, das keinen Zweifel an ihrer damaligen Stimmung lässt: „Manchmal werd oan schlecht vom Lebn“.
Beim Rundgang geht es um die gezielte Verwendung der Farbe Rot als Kraftpunkt in Zingerls Bildern, die Dynamik und den Sog hin zur Mitte, den diese entwickeln würden, die Seile, Schläuche und Ösen, die sich durch seine Malerei ziehen, oder darum, dass die Domtürme bei ihm immer schief waren („Das war seine Lebensauffassung“, sagt Ingrid Scholz.). Viel mehr geht es aber um den Inhalt der Bilder, um Stadtgeschichte, um das, was da kritisch dargestellt wird.
Bilder, die Ärger einbringen
Beispielsweise das Porträt von Josef Haas, obwohl Vollinvalide unerschütterlicher Kämpfer gegen den Nationalsozialismus, der im August 1944 in Flossenbürg ermordet wurde (Mehr über Josef Haas). Vor allem dieses Gemälde mit der brennenden Synagoge und einer johlenden Menge im Hintergrund, habe Zingerl viel Ärger eingebracht, erzählt Ingrid Scholz. „Er hasst Regensburg“, habe es geheißen, damals Mitte der 80er Jahre, als kaum jemand die Geschichte von Haas kannte oder sich mit dem Schicksal Maldaques oder der NS-Vergangenheit beschäftigen wollte. Immer noch nicht.
Da gibt es die Geschichte der beiden Kommunisten Walter Zauner und Konrad Fuß. Fuß, KPD-Stadtrat, Sozialpolitiker und Freidenker, überlebte das KZ Dachau. 1952 schaffte er es wieder in den Regensburger Stadtrat – wo Hans Herrmann, einst Nazi-Bürgermeister, jetzt als CSU-OB amtierte.
Walter Zauner mauerte nach dem Krieg die Sprengkammern der Mariaorter Eisenbahnbrücke zu – als Statement gegen den Militarismus. Er wurde dafür von einem amerikanischen Militärgericht zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Wegen Sabotage (Mehr über Walter Zauner). Es ist ein Denkmal, das Zingerl diesen beiden gesetzt hat, die von der Stadt mit keinerlei Auszeichnungen oder Ehrungen bedacht wurden.
„All das darf man doch nicht im Depot lassen“, meint Helga Hanusa irgendwann. Und die Anwesenden applaudieren, während Reiner Meyer etwas nachdenklich zuhört. Als der Kunsthistoriker 2008 die Leitung der Galerie übernahm, wurden einige Bilder Zingerls – mehrere hundert lagern im Depot – das letzte Mal gezeigt. Es fehle halt am Platz für eine Dauerausstellung, sagt Meyer später. Doch er hat darüber kaum Entscheidungsgewalt.
Zumindest ehemalige Entscheider sind da
Für solche Fragen wäre die Politik gefragt. Und von denen, die sich derzeit in Amt und Würden befinden, hat am Samstag lediglich Stadtrat Jakob Friedl den Weg in den Leeren Beutel gefunden. Immerhin sind zwei ehemalige Entscheider da. Jürgen Huber, nach seinem Bürgermeister-Intermezzo jetzt wieder Künstler, ist aus Schönsee angereist. Und gekommen ist auch Alt-OB Hans Schaidinger, der im Gegensatz zu Huber bis zum Schluss bleibt und andächtig lauscht.
Schaidinger hatte anlässlich der Zingerl-Schau 2008 gesagt, dass ohne ihn, Zingerl, die Regensburger Kultur „um manches ärmer“ wäre. Nur ganz wenigen sei es gelungen, aus Regensburg weggegangen zu sein (er lebte seit Mitte der 80er in Fürstenfeldbruck, Anm. d. Red.) und doch präsent zu bleiben, so die Würdigung des damaligen OB.
Plötzlich sind alle Zingerl-Fans
Gleichzeitig ließ Schaidinger es zu, dass der unter ihm ins Amt gekommene Klemens Unger fast alle öffentlich gezeigten Zingerl-Bilder aus den städtischen Liegenschaften ins Depot verbannte. Im Kulturreferat wurden sie – im Gegensatz zu drei Vorgängern Ungers – nicht mehr geduldet. Einige Gemälde aus dem Donauschüler-Zyklus, die jahrelang als Dauerausstellung in der Tourist-Info beim Alten Rathaus hingen, ließ Unger Ende der 90er entfernen. Gezeigt wurden dort seitdem unter anderem Biographie der „Fürstin“, eine Werbung für die Domspatzen und zuletzt eine Huldigung für Papst Benedikt.
Lediglich das eher gefällige Gemälde „Regensburg an der Donau“ durfte unter Unger in der Dauerausstellung Leeren Beutel hängen bleiben. Just jenes, von dem er, das erzählt Ingrid Scholz am Samstag, gesagt habe, dass „das gar nicht da rein gehört“, in den Zyklus.
Es ist ein recht augenfälliger Zufall, dass sich der nun pensionierte Unger anlässlich einer Homestory in der Mittelbayerischen Zeitung auf einem Foto mit einem ähnlich gefälligen Regensburg-Bild Zingerls im Hintergrund präsentiert. Denn Ingrid Scholz war sich anlässlich eines Berichts unserer Redaktion Anfang 2023 – damals war noch keine Zingerl-Ausstellung geplant – sicher: „Der Zyklus war dem damaligen Kulturreferenten Unger natürlich ein Dorn im Auge, wie alle Zingerlarbeiten.“
Wilfried Süß
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Ich schlage vor: Gehen wir ständige und gelegentliche Kommentatoren von rd doch einfach mal in den Leeren Beutel und schauen uns den Zingerl-Zyklus aufmerksam an, bevor ihn ein überkorrekter Kulturmensch wieder verräumt. Vielleicht erkennen wir dann den einen oder anderen Akteur der Stadtgesellschaft auf den detailreichen Bildern wieder – oder sogar uns selbst. Die es betrifft, könnten aus Rücksicht auf ihr Pseudonym eine Maske tragen. Das hätte dem Zingerl sicher gefallen und zu weiteren Werken inspiriert.