Musikfestivals fordern klare Ansage zu Corona-Absagen
Vergangene Woche haben Bund und Land ein Verbot von Großveranstaltungen bis 31. August verkündet. Wirkliche Klarheit bringt das nicht, kritisieren Festivalmacher bundesweit. Sie fordern Rechtssicherheit, klare Ansagen und finanzielle Unterstützung.
„Ich kann gut nachvollziehen, dass Reinhard Söll die Schlossfestspiele bislang nicht abgesagt hat“, sagt der Veranstalter, mit dem wir uns unterhalten. Er organisiert jedes Jahr ein Musikfestival im Raum Regensburg mit knapp 10.000 Besuchern. Rolf (Name von der Redaktion geändert) möchte nicht mit seinem richtigen Namen in dem Bericht auftauchen. „Wir haben unsere Situation ganz gut gelöst, vieles per Handschlag, vieles per informeller Zusage.“ Es gehe ihm um die Branche generell. Und hier sieht er bei den politischen Entscheidern Nachholbedarf.
“Wir brauchen klare Regelungen.”
„Ich habe Verständnis dafür, wenn die Politik momentan auf Sicht fährt. Aber wir brauchen auch klare Regelungen, um zu wissen, wann wir absagen können, ohne Klagen und Konventionalstrafen fürchten zu müssen.“ Spätestens bei der Pressekonferenz von Ministerpräsident Markus Söder zu den Lockerungen bei den Ausgangsbeschränkungen vergangene Woche habe man sich Klarheit erwartet. „Aber was soll man mit der Aussage, das Großveranstaltungen bis 31. August untersagt sind, anfangen?“ Was sei eine Großveranstaltung? Was sei „höhere Gewalt“, die möglicherweise eine Haftung ausschließt? „Was ist mit kleinen und mittleren Veranstaltungen? Und was ist ab September?“
Mit den Einschränkungen und Verboten an sich habe er kein Problem, sagt Rolf. „Ich glaube, mittlerweile hat jeder gemerkt, dass dieses Virus nicht nix ist.“ Aber jeder Festivalveranstalter brauche für seine Planungen einen Vorlauf von – „absolutes Minimum“ – drei Monaten. „Als es im Januar in China los ging, waren wir noch der Ansicht, das wird schon nicht zu uns kommen.“ Spätestens Mitte Februar habe der Druck dann zugenommen. „Da hast du schon im Hinterkopf, dass du jetzt wahrscheinlich umsonst weiter planst. Aber machen musst du es, weil es ja sein könnte, dass es dann doch geht.“
Am Ende habe man von sich aus abgesagt – ohne klare Ansage aus Politik, ohne Rechtssicherheit. Bereits gebuchte Hotels für die Künstler hätten bereits gebuchte Zimmer kostenlos storniert. „Aus Kulanz und nicht, weil sie mussten. Man kennt sich halt lange.“ Und auch mit den Auftragnehmern für Bühnenbau und Beleuchtung habe man sich zum Glück geeinigt. „Mit unseren Bands haben wir eine guten Draht. Da gehe ich davon aus, dass die nicht klagen werden.“ Ausfallgagen würde man den freischaffenden Musikerinnen und Musikern gerne zahlen – doch dann droht wohl der Verlust der spärlichen Förderung des Freistaats. Zumindest derzeit. Das Thema Kultur sei in Bayern ohnehin erst relativ spät auf die Agenda gekommen, sagt Rolf.
Schlossfestspiele warten auf “rechtlich bindende Verfügung”
Darauf, dass eine Absage ohne Rechtssicherheit schiedlich-friedlich über die Bühne geht, kann sich jemand wie Reinhard Söll nicht unbedingt verlassen. Sein Unternehmen Odeon Konzerte schreibt auf der Seite zu den Regensburger Schlossfestspielen:
„Am 15./16. April wurde seitens der Bundes- und Landesregierung eine Ausweitung des Veranstaltungsverbots (…) von Großveranstaltungen bis zum 31. August angekündigt. Die entsprechende, rechtlich bindende Verfügung, sowie Detail-Definition zum Begriff Großveranstaltung ist zum aktuellen Zeitpunkt jedoch nicht gegeben. Für die Veranstaltungsabsage erwarten wir einen behördlichen Bescheid in den nächsten Tagen.“
Rechtliche Klarheit eben, um eine Absage auch entsprechend begründen zu können und so Haftungsfragen und beispielsweise hohe Konventionalstrafen auszuschließen. Denn dass jemand wie Xavier Naidoo trotz seiner Sympathien für Verschwörungstheorien, Reichsbürgertum und den Glauben an eine BRD GmbH durchaus deren Gerichte bemüht, wenn es darum geht, seine eigenen Interessen zu wahren, ist durchaus bekannt. Und der Mannheimer Barde ist auch dieses Mal wieder eingeladen.
Landespolitischer Flickenteppich
„Es kann einfach nicht sein, dass Festivalmacher mit der Entscheidung zur Absage allein gelassen werden“, fordert Rolf. „Die Haftungsrisiken kann man oft gar nicht genau beziffern.“ Und statt hier alle zwei Wochen neu zu entscheiden, seien frühzeitige und langfristige Verfügungen die bessere Lösung. „Man muss doch kein Virologe sein, um zu wissen, dass auch nach dem 31. August erst einmal nichts geht. Das ist offenkundig. Dann sollte das auch klar geregelt werden – und zwar bundesweit.“
Denn auch der Flickenteppich über die Bundesländer macht dem Regensburger Festivalmacher Sorgen. „Wenn in Nordrhein-Westfalen möglicherweise bald etwas erlaubt wird, was in Bayern noch verboten ist, hätte ich damit dann doch ein Problem.“
Festivalmacher starten Petition
Deutschlandweit gibt es rund 600 Musikfestivals, die über 1.000 Besucher verzeichnen. 2017 belief sich deren Gesamtumsatz laut einer Erhebung der Landesämter für Statistik auf rund 400 Millionen Euro. Knapp 80 Prozent davon finden zwischen Juni und August statt und sind von dem derzeit gültigen Verbot betroffen. Die Haftungsfragen im Einzelfall sind bislang noch ungeklärt.
Am Mittwoch haben nun 40 Festivals stellvertretend für die gesamte Branche der Bundesregierung ein Positionspapier vorgelegt. Sie fordern mehr Klarheit von den politisch Verantwortlichen. „Groß denken! Europäisch denken!“, heißt es darin unter anderem. Die flankierende Petition hat bislang lediglich etwas mehr als 50 Unterstützer.
Mr. T.
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Auf die Definition von “Großveranstaltungen” bin ich wirklich gespannt …
Mr. T.
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1000 Zuschauer scheint jetzt wohl die Grenze zu sein. Da wär ja noch einiges möglich …
Mr. T.
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Vielleicht noch die Quelle, da die Info bislang kaum wo zu finden ist. Aus einer Pressemitteilung der Stadt Wunsiedel zur Absage der Luisenburg-Festspiele:
Birgit Simmler, Karl-Willi Beck und Verwaltungsleiter Harald Benz stellten klar, dass es zur Absage keine Alternative gegeben habe. “Wir stehen in der Verantwortung für die Schauspieler, das übrige Personal und natürlich für die Besucher, daher hat der Stadtrat keine andere Lösung gesehen”, so der Bürgermeister. Letztlich spielte die noch vor wenigen Tagen eher juristische Frage, was eigentlich unter einer Großveranstaltung zu verstehen ist (diese dürfen bis 31. August aus Gründen der Corona-Prävention nicht stattfinden), keine Rolle mehr. Das Kultusministerium hat dazu in dieser Woche der Stadt Wunsiedel mitgeteilt, dass es sich um Veranstaltungen ab 1000 Besucher handelt.
peter
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meine besten wünsche an alle, die jahrelang auf diesem gebiet grossartige arbeit geleistet haben.
alle künstler, bühnentechniker, veranstalter, serviviceleute-
all diejenigen die das (im positiven sinne) “professionell” machen, also gut und deshalb zwar nicht dringend “hauptberuflich”, jedoch mindestes öfter (und eben deshalb “professionell”),
haben jetzt keine einnahmen mehr.
ich sehne den tag herbei, an dem ich wieder live-musik geniessen kann.