Mord oder Totschlag?
Der Prozess gegen einen 56-Jährigen, der im Oktober 2020 seine Frau erstochen hat, steht kurz vor dem Abschluss. Während Staatsanwaltschaft und Nebenklage eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes fordern, plädiert der Verteidiger auf Totschlag und eine deutlich geringere Strafe aufgrund verminderter Schuldfähigkeit.
„Was passiert. Ich bin zur Polizei und habe gemeldet. Ich habe nichts falsch gemacht oder gelogen.“ In seinem letzten Wort, das Hazir S. unbedingt auf Deutsch halten möchte, ist er zwar kaum zu verstehen, bleibt aber seiner bisherigen Linie treu: Das, was passiert ist – dabei bleibt er vage – sei blöd gewesen, aber als Lügner lasse er sich nicht hinstellen. „Das tut mir weh“, so S. unter höhnischem Gelächter aus dem Publikum. An der Tötung seiner Frau seien sowieso eigentlich andere schuld. Worte der Reue, Einsicht oder Entschuldigung findet der 56-Jährige nicht.
Hazir S. steht vor Gericht, weil er im Oktober 2020 in der Familienwohnung in der Regensburger Humboldtstraße seine Ehefrau mit zahlreichen Messerstichen getötet hat. Im Rahmen einer Verteidigererklärung räumte er das bereits zu Beginn des Prozesses ein. Die Zweite Strafkammer des Landgerichts Regensburg muss nun darüber urteilen, ob es sich dabei um einen Mord handelt. Im Gegensatz zur Verteidigung sieht sie Staatsanwaltschaft das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe erfüllt.
S. stellt sich als Opfer dar
Auch die letzte Möglichkeit zu seiner Verteidigung nutzt Hazir S. eher, um die Schuld von sich wegzuschieben und sich „als Opfer darzustellen“. So beschreibt es zuvor Nebenklagevertreterin Stephanie Höke. Die Version des Angeklagten lautet, dass er am 8. Oktober vergangenen Jahres mit seiner Ehefrau in Streit geraten sei. Dabei ging es um eine unbekannte Telefonnummer, die mehrmals auf ihrem Handydisplay erschienen sei. Er vermutete einen anderen Mann.
Als er sie zur Rede stellte, habe sie ihn und seine Familie beschimpft, ihm gedroht, ihn von zuhause rauszuschmeißen und ihn zurück in den Kosovo abschieben zu lassen. Auch ein Nudelsieb habe sie nach ihm geworfen und als sie zu einer Schublade griff, in der sich auch Messer befanden, habe er die Kontrolle verloren, selbst ein Messer gegriffen und ihr in den Hals gestochen. Dann setze seine Erinnerung aus.
Nebenklage sieht besondere Schwere der Schuld
Bis auf seinen Verteidiger Julian Wunderlich glaubt ihm niemand die Darstellung der Tötung als Affekttat. Staatsanwaltschaft und Nebenklage sehen darin vielmehr einen Mord. Nebenklagevertreter Stefan Wenzl, der die Kinder der Getöteten vertritt, möchte dass auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt wird. In diesem Fall müsste S. mehr als 15 Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe verbüßen.
„Ich nehme es ihm nicht ab, dass sich die Ehefrau gewehrt haben und irgendein Sieb nach ihm geworfen haben soll,“ so Staatsanwalt Wolfgang Voit. Man habe bei der Getöteten lediglich passive Abwehrspuren finden können. Ein Sieb sei am Tatort gar nicht aufgetaucht. Auch dass sie ihn beleidigt haben soll, schließt der Ankläger aus, denn das „wäre im Widerspruch zu allem, was wir über sie wissen“.
„Martyrium“ der Ehefrau
Ein „Affekttäter“ hätte wahlloser zugestochen und nicht gezielt in den Hals, so Höke. Zudem habe Hazir S. seinem Opfer „jegliche Überlebenschance“ genommen, indem er noch vielfach auf die dann am Boden liegende Frau eingestochen habe. Er habe selbst in der Tatsituation „durch Macht und Kontrolle“ seine Überlegenheit darlegen wollen. Sie ist überzeugt, dass der Mord – den sie in die Gruppe der Femizide zählt – „von langer Hand“ geplant war. Spätestens am Abend vorher.
Die Ausführungen der Nebenklagevertreterin (sie vertritt die Familie der Getöteten) spielen auf die Vorgeschichte und das „Martyrium“ an, das die Mutter dreier Kinder in der Ehe erleiden musste. Staatsanwalt Voit spricht von „einem Familientyrannen“. Anders als noch in der Anklage angenommen, könne man nach der Beweisaufnahme und vor allem der Aussagen der drei Kinder, davon ausgehen, dass Eifersucht als Motiv „zu kurz greift“. Vielmehr habe Hazir S. zunehmend „Kontrolle über die Familie verloren“ und sei „nicht mehr der Dominator“ gewesen. Er habe das allgemein als große Ehrverletzung empfunden, da er vorher die Familie vollkommen beherrschte.
Gehorsam der Frau als „ideale Liebe“
Erst Ende Juli 2020 – nur einige Wochen vor der Tat – kam der Angeklagte aus einem österreichischen Gefängnis zurück. Er hatte dort neun Monate wegen einer Drogenfahrt gesessen. Danach hatte er Schwierigkeiten seine herrschsüchtige Kontrolle vor allem über die weiblichen Familienmitglieder wiederzuerlangen, denen er zuvor fast alles verboten hatte.
So durften sie etwa keinen Kaffee am Balkon trinken, geschweige denn zum Kaffeetrinken in die Stadt gehen. Die Tochter durfte eine Freundin, die im gleichen Haus wohnte, nicht besuchen. Der Mutter war verboten, alleine mit dem Bus zu fahren oder Deutschunterricht zu nehmen. Für eine „ideale Liebe“, so schilderte es S. einem Psychologen, der ihn untersuchte, müsse die Frau ihrem Mann gehorchen. Seine Frau aber sei „heimtückisch und hinterhältig“ gewesen, wenn die Kinder nicht im Haus waren.
Trügerische Versöhnung
Schon im August, kurz nach seiner Rückkehr, soll der Angeklagte Drita S. bei einem Wutausbruch einen Zahn ausgeschlagen haben. Schläge soll es laut den Kindern immer wieder mal gegeben haben, die Situation spitzte sich aber zu. Ende August erwirkte Tochter Erisa (Name geändert) ein Näherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz. Ihr Vater hatte sie mit dem Messer bedroht und dabei gedroht „alle umzubringen“. Hazir S. bestreitet dies. Lediglich zwei Watschen habe er ihr verpasst und ein bisschen an den Haaren gezogen. Bis auf Verteidiger Wunderlich glaubt ihm niemand diese Version.
Der 56-Jährige verbrachte daraufhin zweieinhalb Wochen bei seinem Cousin, der über die Gewalttaten zunächst nicht im Bilde war, dem aber scheinbar Versöhnungsversuche gelangen. Entgegen dem Willen der Tochter näherte sich S. erneut seiner Frau an, die ihm laut Erisa eine weitere Chance geben wollte. Laut den Söhnen war er in dieser Zeit wie ausgewechselt. Es gab Spaziergänge des Ehepaars, eine gemeinsame Hotelübernachtung in Tegernheim sowie geplante – aber wieder stornierte – Reisen nach Bayerisch Eisenstein und nach Prag. Auch ein Auto wurde kurz vor Dritas Tod angeschafft, sie durfte alleine mit dem Bus fahren. Eine trügerische Harmonie.
Tötungsauslöser: Unbekannte Nummer?
Die nicht eingespeicherte Nummer erschien schon am 7. Oktober am Handy der Frau. Da soll es bereits einen Streit gegeben haben. Am nächsten Tag zur Mittagszeit, wieder zwei Anrufversuche. Hazir S. fotografierte mit seinem Mobiltelefon die Nummer ab. Zuvor auch schon seinen Pass und seinen Aufenthaltstitel. Die Gründe dafür bleiben unklar.
Am diesem 8. Oktober hatte er eigentlich eine Vorladung als Zeuge in Österreich, doch er machte keine Anstalten tatsächlich hinzufahren. Eine Stunde nach den Anrufversuchen und wenige Augenblicke nach einem kurzen Telefonat mit ihrer Schwägerin war Drita S. tot. Das Gespräch sei komisch gewesen, sagte die Zeugin. Die vorherigen Anrufversuche stammten von ihrem Mann – dem Bruder der Getöteten, der eine neue Nummer hatte.
Verteidiger: „Kein kaltblütiger Killer, der wahllos Menschen umbringt“
Für Verteidiger Wunderlich ist „eine schwere Ausprägung einer Belastungsreaktion“ nicht ausschließbar. Die Beleidigungen seiner Familie, der mögliche erneute Rausschmiss, die Androhung der Abschiebung – das schilderte S. seinem Anwalt. Es könne sein, dass eine „affektive Anspannung“ vorlag, in der er nicht mehr die Fähigkeit zur „Motivverarbeitung“ hatte und die sich „explosionsartig entladen“ habe. Dafür sprechen auch die von seinem Mandanten ins Feld geführten Erinnerungslücken. Eine Bewusstseinsstörung und damit eine verminderte Schuldfähigkeit des Täters seien dadurch nicht auszuschließen. „Wir haben hier keinen kaltblütigen Killer, der wahllos Menschen umbringt“, so Wunderlich in seinem Schlussvortrag. Er fordert eine angemessene Strafe, die deutlich unter lebenslänglich liegt.
Gutachterin hält Täter für schuldfähig
Einer Affekttat widerspricht zuvor die psychiatrische Gutachterin Dr. Leila Badry. Auf Verlangen von Wunderlich exploriert sie den Angeklagten am Mittwoch direkt im Gerichtssaal zu seinem Bewusstseins- und Gefühlszustand kurz vor und während der Tat. Diese knapp dreiviertelstündige Befragung, die ohne Beisein des Gerichts und der Öffentlichkeit stattfindet, habe keine weiterführenden Ergebnisse gebracht, so Badry. Ihr zufolge läge keine Bewusstseinsstörung vor. Hierfür fehlen etwa entsprechende Symptome nach der Tat.
Das eigentliche Gutachten, das davor vorgestellt wird, bescheinigt Hazir S. eine paranoid und dissozial akzentuiere Persönlichkeitsstruktur, allerdings keine Persönlichkeitsstörung. Auch Eifersucht im Sinne eines Wahns könne nicht diagnostiziert werden. Es ging dem Angeklagten vielmehr allgemein um Kontrolle der Familie und insbesondere deren weiblicher Mitglieder.
Nächsten Mittwoch wird die Zweite Kammer unter Vorsitz von Dr. Michael Hammer das Urteil verkünden. Dann wird es vor allem um die Frage gehen, ob der Tat niedrige Beweggründe zugrunde liegen und es sich bei der Tötung von Drita S. um einen Mord handelt.
Tante Mathilda
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Warum so ein “Mensch” nur 15 Jahre eingesperrt werden soll ist mir ein Rätsel.
Wie kann der Verteidiger nur so fadenscheinige Ausreden für die Tat anführen?