Mord auf der Kristallprinzessin
Fünf Stunden Wagner, dazu Würstchen. Das kann ganz amüsant sein. Tristan und Isolde am Regensburger Stadttheater. Fotos: Jochen Quast.
Diese Rezension beginnt nicht mit dem zu rezensierenden Stück. Diese Rezension beginnt etwa eine Woche vorher, als mich nämlich der Brief erreicht, dass man sich ja freue, wenn ich zur Premiere käme, die Anfangszeit wäre aber fälschlicherweise mit 19.30 Uhr angegeben worden. Es wäre natürlich 17 Uhr. Natürlich! Moment… was? Tristan und Isolde, hat sich Wagner überlegt, ist nur gut, wenn sich die zwei mindestens vier Stunden lang ansingen. Also sitzen wir, weil die Sänger zwischendurch auch mal Pipi müssen, fast fünf Stunden im Theater. Und vor diesen fünf Stunden hab ich jetzt Angst. Aber Wagner hat mich in Regensburg ja schon mal ganz gut unterhalten, denk ich. Also versuch ich das noch mal.
Wer hat schon nachmittags zur besten Kaffee-und-Kuchen-Zeit Lust auf stundenlange Sterbeszenen?
Ich gehe ja selten mit Angst ins Theater. Vielleicht manchmal mit Angst wieder raus, aber selten mit welcher rein. Das ist bei Tristan und Isolde definitiv anders. Nach dem ersten Anbandeln mit Wagner und seinen Feen, wird’s jetzt also mit Richard und mir was Festes. Aber müssen es denn gleich fünf Stunden miteinander sein? Hätten nicht zwei auch gereicht? Was, wenn wir uns nichts zu sagen haben? Was, wenn ich einschlafe? Peinlich. Ich hab mir vorher nicht mal die Musik angehört, weil ich Angst hatte, ich könnte sie grässlich finden. Die anderen lokalen Kulturjournalisten fremdeln noch auf ähnliche Weise – wir schleichen alle um den fetten Block Wagner rum und teilen Strategien für das lange Stillsitzen und das ergebene Zuhören.
Wie machen das normale Leute – ich meine, wer hat schon nachmittags zur besten Kaffee-und-Kuchen-Zeit Lust auf stundenlange Sterbeszenen? Fünf Stunden sind eine für Regensburg ungemeine Entschleunigung: Die Berliner Sprechtheater-Exzesse mit einem zehnstündigen Faust oder so sind bisher dankenswerterweise an uns vorbeigezogen, was aber im Umkehrschluss leider heißt, dass jedes Kulturevent, das mehr als zwei Stunden dauert, schon als exzessiv lang empfunden wird. Vor allem von mir. Ich packe also ein Stullenpaket ein und einen Flachmann. Sicher ist sicher.
Spannenderweise ist die Länge aber an dem Abend genau null Problem. Die Oper ist durch angenehm halbstündige Pausen in drei handliche Anderthalb-Stunden-Blöcke geteilt. Dadurch ist sie auch für Nicht-Gerne-Stillsitzer machbar. Lustigerweise werden in den Pausen Würstchen gereicht. Wagner und Würstchen – Kontrastprogramm mit angenehm normalisierendem Effekt, Oper für den Rest von uns.
Die Spieler sind auf der Kristallprinzessin eingesperrt
Das zweitschönste an der Inszenierung von Holländerin Lotte de Beer ist, dass sie die Sänger und Sängerinnen vor allem singen lässt. Obwohl Isolde (Dara Hobbs) enorm ausdrucksstark ist, darf sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, und das tut sie mit außerordentlichem Einsatz und hervorragend – auch Heldentenor Tristan (Mikhail Gubsky) ist froh, vor allem nur singen zu müssen und sonst nicht viel. Das tut der Inszenierung enorm gut – vor allem, wenn man die Text-Bild-Schere, die in der Oper üblicherweise herrscht, nicht gewohnt ist: gut singen können und dann auch noch aussehen wie Wagner sich die Figur vorgestellt hat sind nämlich in der Regel zwei Paar Schuhe. De Beer hat das elegant gelöst, indem sie Spielebene und Singebene voneinander trennt, und die Spieler (Michelle Völkl als Isolde- und Alexander Benedikt als Tristan-Double) auf der Kristallprinzessin (!!) einsperrt und dort die Story pantomimisch darstellen lässt.
Das ist dann auch mein Lieblingsaspekt der Inszenierung: entweder durch Zufall oder mit einem perfiden Plan hat das ebenfalls holländische Bühnen- und Lichtteam nämlich das Bühnenbild aus Plexiglas gebaut, mit einem Aufbau, der exakt dem Swarowski-besteinten Donaudampfer ähnelt. Ich habe also vier Stunden damit verbracht mir vorzustellen, dass die ganze dramatische Liebesstory auf der Kristallprinzessin spielen könnte: das besungene Meer ist die Donau. Mord, Eifersucht, Intrigen, Liebe, Freundschaft – passt auch alles nach Regensburg.
Ich spoiler jetzt mal die Geschichte, damit ihr euch das vorstellen könnt: Tristan tötet Isoldes Lover im Kampf, wird von ihr gesundgepflegt, sie verliebt sich in ihn (aber nur ein bisschen oder vielleicht doch nicht, sie hält damit jedenfalls noch eine Weile hinterm Berg), er wirbt sie im Folgenden für seinen Chef und König, sie muss mit auf seinen Dampfer, das findet sie doof. Verständlich, weil wer will schon nach Regensburg geworben werden, da ist ja nix los. Auf der Überfahrt will sie ihn und sich töten, die gutmeinende Magd reicht aber den falschen Trank an – einen Liebestrank. Das ist dann so ziemlich der Anfang vom Ende, denn sie muss natürlich trotzdem den König heiraten, obwohl sie jetzt vollends auf Tristan steht und er auf sie. Aber wo Liebe, da ein Weg und wo Leidenschaft, da ein Wald.
Der berühmte Liebestod Isoldes ist extrem kurz
Ich fände ja Sex im Stehen irgendwie ungemütlich, aber die beiden stört das überhaupt nicht und natürlich werden sie erwischt. Hat halt irgendwie nicht sollen sein. Daraufhin wird ausführlich gestorben, wobei der berühmte Liebestod Isoldes extrem kurze zehn Minuten dauert – man lauert da vier Stunden drauf, dann kommt er und ist … vorbei. Vorhang. Applaus. Ey Wagner, wie fies. Dafür muss sich Tristan in der Stunde vorher einen abrödeln, dass es schon nicht mehr feierlich ist. Ich bin ja schwer fürs Opern kürzen: Den Teil hätte man, schon aus Liebe zu seinem Heldentenor, ein wenig zusammenstreichen können.
Am Ende wankt man erschöpft, aber beglückt aus dem Regensburger Theater und wundert sich, dass es in der Zwischenzeit tatsächlich dunkel und kalt geworden ist. Durch die Pausen fühlt man sich mit dem Rest des Publikums als verschworene Gemeinschaft, spontane Verbrüderung (und heimliches Schnapstrinken mit den viel zu braven Premierengästen um die Ecke in der zweiten Pause) nicht ausgeschlossen. Dass es der Oberbürgermeister dieser Stadt nicht für nötig erachtet hat, zu einer der Premieren der Eröffnungsspielzeit des Theaters Regensburg zu kommen, ist allerdings schon ein bisschen… Fünf Stunden Oper verlangt ja keiner, aber wer Schülerlotse spielen kann und sich sogar die Schlossfestspiele antut, kann sich zumindest den 80-Minuten-Woyzeck angucken. Die Stadt lässt sich das Theater jährlich zwölf Millionen kosten. Ein bisschen weniger Missachtung wär da schon nicht schlecht.
Alexander Schwarz
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Ein sehr schön geschriebener Artikel, danke dafür.
peterwilliger
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Ein absolut sehenswertes Stück! Und das, wo ich auch Wagner-skeptisch war. Über den Schatten zu springen hat sich gelohnt. Aber “exakt (…) ähnelt” doch das Bühnenbild der Kristallprinzessin nicht. Wohl eher Aquarium. Und warum muss der OB zwingend zu Wagner? Er wird sicher das Theater besuchen, wenn das Amt und die Familie es einrichten lassen. Andere (ex)Vertreter der Stadt konnten sich die Zeit nehmen.
Jürgen Huber
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Verehrte Magda Auberger, es waren die zweite Bürgermeisterin und der Dritte Bürgermeister bei der für letzteren beglückenden Premiere anwesend. Nicht genug? Zu kleine Wichteln? Mhmm. Auch eine Haltung. – Die Besprechung kann ich ansonsten nur wirklich gut heißen. JH