Mit dem Lynchmob Seit’ an Seit’
Kriminalitätsberichterstattung gehört zum täglich Brot eines regionalen Anzeigenblattes. Fortlaufend trudeln Polizeimeldungen ein, die ihren Weg in die Öffentlichkeit suchen und an denen dieselbe mal mehr, mal weniger Interesse hat. Verkehrsvergehen, Diebstähle, Betrügereien, Schlägereien etc..
Unter den vielen Meldungen finden sich manchmal welche, die für die Öffentlichkeit von besonderem Interesse sein können. Fahndungen beispielsweise. Wenn also (mutmaßliche) Straftäter flüchtig sind, Tatverdächtige gesucht werden und die Ermittler auf Zeugenaussagen oder sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen sind. Ein besonderes öffentliches Interesse besteht möglicherweise auch dann, wenn von Flüchtigen eine (potentielle) Gefährdung ausgeht, weil Folgestraftaten wahrscheinlich oder zumindest nicht auszuschließen sind (sogenannte „Serientäter”). Darüber sollte ein Anzeigenblatt berichten, ohne Frage.
„Vergewaltiger Regensburg 2013“
Da wäre aber noch eine Kleinigkeit. Nämlich die Art und Weise wie berichtet wird. Mein Lieblingsanzeigenblatt, das Wochenblatt Regensburg, hält es da üblicherweise mit der Standardmethode: Eine Pressemitteilung der Polizei wird mit einer Überschrift und einem kurzen Teasertext versehen und ansonsten unbearbeitet veröffentlicht. Da kann man ja nicht viel falsch machen. Eigentlich. Manchmal gibt es auch selbstgeschriebene Artikel, insbesondere dann, wenn es sich um Aufsehen erregende und spektakuläre Fälle handelt.
Jüngste Beispiele sind einige Fälle sexuell motivierter Übergriffe, die sich seit Anfang November in Regensburg (und Regenstauf) ereignet haben und über die das Wochenblatt rege berichtet (online wurde eigens ein Dossier mit dem Titel „Vergewaltiger Regensburg 2013“ eingerichtet).
Mehrere Frauen sehr unterschiedlichen Alters wurden angegriffen oder überfallen, vergewaltigt oder beinahe vergewaltigt. In drei Fällen könnte es sich um denselben Täter handeln. Es steht völlig außer Zweifel, dass es sich bei diesen Taten um schwerwiegende Verbrechen handelt, die selbstverständlich strafrechtlich zu verfolgen und aufzuklären und der oder die Täter in einem ordentlichen Gerichtsverfahren für ihre Taten zu verurteilen sind.
Berichterstattung mit emotionaler Note…
Wer eine derartige Vorgehensweise für eine Selbstverständlichkeit hält, hat die Rechnung nicht mit dem Wochenblatt Regensburg gemacht. Dort scheint man mithilfe der Berichterstattung auch eigene Zwecke, namentlich Klicks, zu verfolgen. Anders ist es gar nicht zu erklären, wieso es versucht der Kriminalitätsberichterstattung eine möglichst emotionale Note zu geben. Die Masche ist dabei ganz einfach und direkt aus der Werkzeugkasten des Boulevardjournalismus.
„Was ist nur los in Regensburg?“ fragt das Wochenblatt (10. November) und setzt dabei auf empörte Reaktionen aus den Reihen ihrer Leser_innen. „Erneut sexueller Übergriff in Regensburg“ (07. Dezember) – die journalistische Ausrichtung ist klar: Es geht immer schlimmer und brutaler zu, die Menschen haben überhaupt keinen Anstand mehr, Regensburg wird ein zweites Neukölln, wenn es das nicht schon längst ist.
Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man sich ein bisschen durch die Facebookseite des Wochenblatts klickt. Gerade die Emotionalisierung der Kriminalitätsberichterstattung lockt dort immer wieder allerlei Gewalt- und Vergeltungsfantasten.
Die Rufe nach Misshandlungen und Tötungen von (mutmaßlichen) Straftätern, flammende Bekenntnisse zur Selbstjustiz sind bei bestimmten Themen so gut wie sicher. Hier rottet sich der Lynchmob zusammen. Und das Wochenblatt schaut schweigend zu.
Zensiert werden andere
Das Wochenblatt duldet solcherlei Kommentare nicht nur, sondern begünstigt sie, fordert sie geradezu heraus. Die Redaktion weiß genau um die Wirkung ihrer Überschriften. Sie weiß, dass die Form von Skandalisierung und tendenziöser Fragestellung diese Reaktionen hervorruft. Wahrscheinlich fühlt man sich durch die Empörung der Schwanzabhack-Fraktion sogar noch bestätigt.
Nun könnte man entschuldigend meinen, dass das Wochenblatt als Presseorgan sehr zögerlich wäre, Kommentare zu kommentieren oder gar zu zensieren. Das ist allerdings nicht der Fall. Ich selbst kann ein Lied davon singen, wurde ich doch vor einiger Zeit schon wegen Kritik an der Berichterstattung von der Wochenblatt-Facebookseite verbannt. Aber vielleicht hätte ich auch einfach Zwangskastrationen und öffentliche Hinrichtungen fordern sollen.
pipo
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Danke das es mal ausgesprochen wird!
ähnliches habe ich mir vor ein paar Tagen gedacht, als ich die Kommentare gelesen habe. Mich aber nicht getraut etwas dazu zu schreiben, weil der Mob mich wohl in der Luft zerrissen hätte.
Idioten, Schwachomaten, Leute ohne eigene Identität, zerfetzen sich das Maul mit gleichgesinnten, weil Sie wissen sonst keine Meinung zu haben, die kompatibel zur Allgemeinheit wäre und bei der sie wahrgenommen und durch das Wochenblatt akzeptiert werden.
Einfach Hass & Wut zeigen, Psycho-Gewaltphantasien formulieren, ja da fühlen Sie sich wohl die gleichgesinnten, weil sie sich bei solchen Themen einfach mal “gesellschaftlich akzeptiert” gehen lassen können.
frage
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@pipo
ich sehe jetzt keinen grossen unterschied, zwischen ihrem kommentar und den wb kommentaren. sie beleidigen hier ebenfalls und ereifern sich genauso, wie es die kommentatoren auf der fb-wb seite machen (im übrigen prozentual mehr frauen als männer). auch wurden nur die krassen kommentare rausgesucht. es gab dazwischen schon ein paar, die nicht der gleichen meinung waren bzw. die wortwahl kritisiert haben. “idioten” sind deshalb nicht alle wb leser (wie sie es hier verkünden).
sehr viel unterschied in den headlines bzw. teasern ist zwischen dem wb und rd auch nicht mehr zu erkennen. die überschrift “asozial” soll genau das gleiche bewirken wie beim wb: es sollen klicks generiert werden. je reisserischer oder subjektiver man schreibt, um so mehr wird der mob genötigt, einen kommentar abzugeben und das thema am laufen zu halten. das ist auch das gute recht der autoren bzw. der seitenbetreiber.
bei manchen theman auf rd geht es im kommentarbereich ebenfalls schon lange nicht mehr political correct zu. sinnlose verschwörungstheorien, gepaart mit unterschwelligen beleidigungen oder angriffen (zugegebenermassen teilweise sprachlich höher angesiedelt, in der kernaussage aber gleich) mit einer ganz klaren tendenz sind an der tagesordnung.
alledings gibt es auch inhaltlich sachliche und informative kommentare auf beiden seiten, die durchaus lesenswert sind.
ich hab mich die letzten wochen des öfteren gefragt, warum man sich so auf das wb (oder wie der autor herablassend auf das anzeigenblatt) einschiesst. nur weil man dort rausgeschmissen wurde, weil man seine meinung gesagt hat? ist mir hier auch schon passiert, dass ein kommentar nicht veröffentlicht wurde. ist kein drama. ausser man nimmt es persönlich. manchmal sind die finger schneller als der kopf. bei der fb-wb seite allerdings mit dem vorteil, dass man seinen kommentar wieder löschen könnte. hier geht das leider nicht, was gerade wenn es um beleidigungen oder theorien geht, leicht rechtlich nach hinten losgehen kann. weil anonym ist man hier auf rd ebenfalls keineswegs.
es schenkt sich keiner was. die kommentatoren schon gleich zweimal nicht. davon leben die seiten schliesslich. es gibt aber ein gutes mittel: man denkt sich seinen teil oder man liest die kommentare erst gar nicht. ups – erwischt! bin in die gleiche falle getappt und hab meine meinung (die eigentlich auch keinen interessiert) ins netz gehämmert. wird nichts bewirken und hat mich nur zeit gekostet, die ich sinnvoller hätte nutzen können.
so what – thats social media!
Bert
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@frage
Es ist schon noch ein Unterschied zwischen niveaulos/ beleidigend und Forderungen nach Folter, Schwanz ab, Todesstrafe…da geht es nicht um Verstöße gegen eine imaginäre Political Correctness, sondern Gewaltaufrufe.
Pipo bezeichnet nach meinem Verständnis auch nicht alle Wochenblatt-Leser als Idioten, sondern eben jene Kommentatoren. Da stimme ich ihm im Übrigen zu.
frage
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@Bert
ich gebe ihnen teilweise recht. darum habe ich ja geschrieben: “zugegebenermassen teilweise sprachlich höher angesiedelt, in der kernaussage aber gleich”.
man kann es direkt oder indirekt formulieren. der inhalt bleibt der gleiche. nur weil sich jemand mit wortwitz bedient oder um den heissen brei redet, heisst das nicht, dass er nicht das gleiche meint. darum ist die empörung für mich nicht nachvollziehbar. vom niveau her trennt beide nur der schreibstil. nicht der inhalt.
Kuno Küfer
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Die Kritik an den quotensteigernden reißerischen Überschriften für “eigene Zwecke, namentlich Klicks” dieses Beitrags ausgerechnet mit den beim US-Unternehmen facebook formulierten beleidigenden Meinungsäußerungen der User zu verknüpfen ist für mich völlig unglaubwürdig, wenn es in einem Medium verbreitet wird, dass selber die “Dienste” von facebook nutzt.
Nur leider drückt sich jeder “Sender”, der seine “Reichweite” erhöhen will, um die einzig mögliche Konsequenz. “Medien” verfolgen “eigene Zwecke, namentlich Klicks”! Glaubwürdig wäre es, bei allen dubiosen Machenschaften von facebook, auf diesen “Dienst” komplett zu verzichten. Ich erspare mir jetzt einfach einmal die Belege zu den Vorwürfen gegen facebook. Die kann jeder, den es wirklich interessiert, selber finden. Nur so viel: Der Umgang mit dem “Kunden” und seinen Rechten ist bei facebook eine einzige große Beleidigung, die den Vergleich mit vielen dort gemachten Äußerungen nicht scheuen muss. Aber diese Kröte wird von den “Medien” meist ohne hörbares Würgen schweigend geschluckt. Leider auch bei RD.
@ frage
“vom niveau her trennt beide nur der schreibstil. nicht der inhalt.”
Der Text von pipo könnte tatsächlich in den allermeisten Foren auf vielen Internetseiten auf die jeweils vermeintlichen “Gegner” aller “Lager”gemünzt sein, die sich dort gerade auf der öffentlichen Anklagebank wiederfinden.
Gefälltmir
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Wochenblatt (y)
Bernd Neumann-Henneberg
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Niveau ist keine Hautcreme!
Twix Raider
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Ja, Hobbyhenker haben Hochkonjunktur, der Zeitgeist eines Herrn Freisler ist wieder salonfähig. Und wenn sich keine “Ausländerkriminalität” herauslesen lässt, wird eine herbeigewettet. Trick 88, es besteht ja immer eine 50:50 Chance, dass der Täter einen Migrationshintergrund hat. Gewinnt man dieses vereinfachte Hütchenspiel, schreit man doppelt so laut. Verliert man, hat man nichts verloren und bleibt still. Bis zur nächsten Gelegenheit.