Missbrauchte Quacksalber ein Kind?
Ein 65-jähriger aus dem Landkreis Straubing-Bogen sitzt seit Dienstag vor dem Landgericht Regensburg auf der Anklagebank, weil er über einige Jahre ein Mädchen schwer sexuell missbraucht haben soll. Im gleichen Zeitraum verdiente er durch Schulungen in der spiritistischen Szene und Wellness-Produkthandel viel Geld und schleuste dabei einiges am Fiskus vorbei.
Eine auffällige Erscheinung ist der kriminelle „Heiler“ nicht. Aryah G. betritt kurz nach neun in Häftlingskleidung und leicht hinkend den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Regensburg. Wegen Steuerhinterziehung sitzt der niederbayerische Guru kubanoamerikanischer Herkunft seit letztem Jahr eine über zweijährige Haftstrafe ab. Nun könnten noch etliche Jahre obendrauf kommen.
Anklage: Mindestens 75 Missbrauchstaten
Seit Dienstag muss sich der 65-jährige G. wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs verantworten. Er soll sich in den Jahren 2014 bis 2018 in mindestens 75 Fällen an einem 2004 geborenen Mädchen vergangen haben – die genaue Anzahl der Taten ist unbekannt.
In einer Vielzahl der Fälle soll er das Kind in seinem abgelegenen Anwesen in Rattenberg (Landkreis Straubing-Bogen) auf vielfache Weise vergewaltigt haben. In sechs Fällen auch in einem Kolping-Hotel in Cham.
Quacksalber und „Klon eines Außerirdischen“
Wie die Donau-Post im Frühjahr 2020 berichtete, gab G. dort (und in anderen Hotels im Bayerischen Wald) Wochenendseminare mit „spiritistischem Hintergrund“. Über die inzwischen liquidierte Viechtacher Firma Aryah Deutschland GmbH vertrieb der US-Amerikaner Nahrungsergänzungsmittel, Filteranlagen zur „Reinigung der Raumluft“ und weitere Wellnessprodukte „zur Steigerung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens“.
Daneben führte er „Beratungen und Schulungen für eine gesunde Lebensweise und andere die ‚Wellness‘ fördernde Maßnahmen und Verhaltensweisen“ durch, wie es im Handelsregister heißt. Die Hauptzielgruppe sollen laut Donau-Post insbesondere „alleinstehende Damen“ gewesen sein. Einer Steuerfahnderin zufolge soll sich G. im Internet unter anderem als „Klon eines Außerirdischen“ bezeichnet haben.
Zwei Jahre und drei Monate für Steuerhinterziehung
Weil er bei seinem Geschäftsgebaren massenhaft Steuern hinterzog, sitzt er derzeit in der JVA Regensburg eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten ab. Die Steuerfahndung Landshut bezifferte den entstandenen Steuerschaden mit knapp 1,5 Millionen. Fast soviel fand man damals auch auf seinen Konten. Seiner Bank war zuvor aufgefallen, dass er enorme Barbeträge eingezahlt hatte. Das brachte die Ermittlungen ins Rollen. Für die Heilungs-Seminare kassierte er eine Gebühr 125 bis 150 Euro in bar, die er als steuerfreie Schenkungen verstanden wissen wollte. Auch weil er einem Steuerberater vertraut haben soll, wurde ein Teil der Vorwürfe eingestellt. Knapp eine halbe Million Steuerhinterziehung blieb am Schluss übrig.
Zwischen sechs und zehn Jahren Haft werden diskutiert
Nun stehen weitaus gravierendere Vorwürfe gegen G. im Raum. Am ersten Verhandlungstag vor der Großen Jugendkammer unter Vorsitz von Elke Escher findet insbesondere ein über einstündiges Rechtsgespräch zwischen den Beteiligten statt. Wie die Richterin im Anschluss berichtet, seien für Verteidiger Thomas Juppe eine mögliche Ausweisung des Mandanten, die Prüfung einer Sicherungsverwahrung sowie die Öffentlichkeit im Prozess Themen einer potentiellen Verständigung. Zudem seien im Hinblick auf die Beweislast keine direkten Zeugen oder Arztberichte vorhanden. Einige Zeugen hätten bei der Polizei in Anwesenheit anderer Zeugen ausgesagt, was den Aussagewert schmälere.
Escher habe im Rechtsgespräch klargestellt, dass nach Aktenlage ein dringender Tatverdacht bestehe, selbst wenn der Beweiswert mancher Zeugenaussagen geschmälert sein könnte. Zu einer möglichen Abschiebung könne das Gericht nichts sagen und die Sicherungsverwahrung dürfe nicht Gegenstand einer Verständigung sein.
Geständnis und Exploration könnten bedeutende Rolle spielen
Staatsanwalt Thomas Kamm beziffere ohne ein Geständnis des Angeklagten die zu fordernde Haftstrafe auf etwa zehn Jahre, so Escher. Sollte sich der mutmaßliche Täter geständig zeigen und der heute 16-jährigen Geschädigten damit möglicherweise eine belastende Zeugenaussage ersparen, könnte er (unter Einbeziehung der aktuellen Strafhaft) mit zwei Jahren weniger rechnen. Die Jugendschutzkammer könne sich bei einem glaubhaften Geständnis und einer relevanten Entschädigungszahlung an das Opfer sogar „eine Gesamtfreiheitsstrafe um die sechs Jahre“ vorstellen.
Bisher hat sich Aryah G. einer Exploration durch die psychiatrische Sachverständige Dr. Susanne Lausch verweigert. Jene spielt aber eine gewichtige Rolle für die Verständigung und hinsichtlich einer möglicher Sicherungsverwahrung. Juppe möchte das noch mit seinem Mandanten besprechen. Am 1. März wird die Verhandlung fortgesetzt. Dann wird der mögliche Deal feinjustiert oder in die Beweisaufnahme eingetreten.
Mathilde Vietze
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Es ist schlimm, das manche (auch Erwachsene) auf solche Scharlatane herein-
fallen. Wäre dem nicht so, könnten die sich nicht halten und ihre unsäglichen
Spielchen treiben.
KW
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Frau Vietze, es fallen praktisch ausschliesslich Erwachsene auf solche Leute rein, da Kinder in der Regel nicht die Entscheidung treffen, Schulmedizin abzulehnen und stattdessen lieber “Quacksalber” zu konsultieren. Völlig unabhänig davon, dass hier auch noch das Kapitalverbrechen des schweren sexuellen Kindesmissbrauchs mit ins Spiel kommt.
R.G.
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Hoch klingende sehr alter Familien verleiten Menschen leicht zu der Annahme, höhere Schichten mit meist erstklassiger Ausbildung hätten Zugang zu besseren Gesundheitsinformationen und seien vertrauenswürdigere Menschen.
Sich an Kindern vergehende Missbrauchstäter verstehen es meist sehr gut, private oder geschäftliche Partner, Vereine oder Nachbarschaften und die Erziehungsberechtigten der Opfer zu täuschen. Wie sich das Vertrauen erworben oder erschlichen wurde, finde ich wichtig zu wissen, um die uns Anvertrauten besser schützen zu können.
Wenn alle Prozesse bei mutmaßlichen Missbrauch durch Deals beendet werden, wird man das nie erfahren.