Hat man als Schausteller noch Zeit für ein Privatleben?
Wilde Karussellfahrten, Zuckerwatte, gebrannte Mandeln und auf den Bierbänken herumtanzen – Endspurt bei der Regensburger Maidult. Allerdings sind die Besucher nicht die einzigen, die sich jeden Tag auf der Dult herumtreiben. Schließlich muss auch irgendjemand die ganzen Fahrgeschäfte bedienen, die Buden mit Naschereien ausstatten und die Dosen zu einer Pyramide stapeln, bereit zum Abwerfen. Ganze 106 Stände gibt es heuer. Aber haben die Schausteller mit dem ganzen Trubel überhaupt Zeit für ein Privatleben, vielleicht für eine kleine Liebelei, oder die Chance eine richtige Familie zu gründen?
Schon ihre Großeltern haben es geführt: Das Schützenhaus, der Schießstand von Charline Klimkeit-Agtsch, ist schon seit Jahrzehnten Tradition auf der Dult: „Gerade die Kinder sind begeistert von uns und holen sich immer die größten Bären, die es zu gewinnen gibt. Da gibt es ein Alter, in dem die Kinder nicht mehr Enten fischen wollen, aber auch noch nicht ins Bierzelt gehen mögen und die kommen dann alle zu uns.“
Wie eine richtige Familie
Schausteller sein ist etwas, das einen das ganze Leben begleitet. Wie man auch bei den Eltern der 30-jährigen Charline sieht: 38 Jahre waren sie mit dem Schützenhaus auf Achse, bevor sie den Stand ihrer Tochter überließen: Seit ihrem 18. Lebensjahr führt Agtsch den Stand nun selbstständig. Ihre Eltern beschlossen daraufhin aber nicht etwa sich auszuruhen, sondern weiter umherzuziehen, erzählt Agtsch. Schließlich müssten sie die Rente selbst finanzieren, wenn sie beschließen würden, in den Ruhestand zu gehen. Mit ihrem neuen Fahrgeschäft Top Spin geht es immer noch jedes Jahr von Stadt zu Stadt.
Laut Dult-Sprecher Hans-Christian Wagner muss man zwischen zwei Arten der Familie auf der Dult unterscheiden: Zum einen gebe es die Dultfamilie, die absolut alle Arbeitskräfte einschließt. Und dann sei da noch die Schaustellerfamilie, also alle, die Fahrgeschäfte und Stände betreiben, oder auch etwas auf der Warendult verkaufen. In der Schaustellerfamilie herrsche ein Zusammenhalt wie in einer richtigen Familie, wo jeder jedem hilft, erzählt Wagner. Sie bleibe zumeist auch unter sich. Wenn man irgendwann heiraten wolle, dann natürlich einen anderen Schausteller, außer man hänge den Rummel tatsächlich an den Nagel. Dann werde auch „nach draußen“ geheiratet.
Großvater war erster Beschicker
Das Schaustellersein lässt sich nur selten abschütteln, egal in welchem Alter. Das weiß niemand besser als Elisabeth Lindner, die aber von allen nur Hannelise genannt wird. Mittlerweile ist sie 83 Jahre alt und noch immer im Geschäft. Jeder kennt ihre Autoscooter: „Ich bin jedes Jahr auf der Dult dabei und das erwarten die Leute auch von mir. Seit 1960 sitze ich hier schon. Wir waren eines der ersten Geschäfte überhaupt“, erzählt Hannelise, während sie im Infohäuschen beim Autoscooter sitzt und Fahrchips an die Besucher ausgibt.
Ihr Großvater war der erste Beschicker auf der Dult: „Mein Großvater hat 1942 noch mit einer Schaukel angefangen. Die Autoscooter kamen erst später nach Regensburg.“ Ihr Vater war der Sohn eines Schaustellers, ihre Mutter arbeitete kurzfristig als Lehrerin. Ein eher untypisches Heiratsverhalten also, wenn man Wagners Definition nimmt: Der Vater holte die Mutter in die Schaustellerfamilie herein. Und schließlich haben Hannelieses Eltern das Geschäft von den Großeltern übernommen.
Als Hannelise damals aus dem Internat zurückkam, sah sie sich gezwungen die Tradition weiterzuführen: Weil ihr Bruder 1960 verunglückt war, musste Hannelise das Geschäft übernehmen. Heute arbeite sie nur noch aus Gewohnheit auf der Dult, weil es eben ihr Beruf sei, erzählt die Schaustellerin.
Umherziehen mit Kindern
Charline Klimkeit-Agtsch hat ebenfalls jemanden von außerhalb „nach drinnen“ geholt: „Mein Mann war früher Automobilkaufmann. Jetzt aber ziehen wir zusammen von einem Rummel zum nächsten. Er hat es auch nie bereut dieses Leben gewählt zu haben. Seine Eltern haben früher auch einmal als Schausteller gearbeitet, bevor sie damit aufgehört haben. Auf diese Weise hat er also schon gewusst, was da auf ihn zukommt.“
Wenn man ständig umherzieht, ist es dann überhaupt möglich eine Familie zu gründen? Agtsch sieht darin kein Problem: „Wir haben inzwischen sogar einen zweijährigen Sohn. In unserem Wohnwagen haben wir alles, was wir brauchen, einschließlich Dusche, Waschmaschine und ein Kinderzimmer.“ Insgesamt sind auf der Dult rund zwei Dutzend Kinder bei den Schaustellern dabei. Die Kids dürfen sich umsonst vergnügen, während die Erwachsenen beim Preis eine kleine Ermäßigung bekommen.
Sich immer wieder am Volksfest treffen
Man könnte denken, dass der Lärm der Volksfeste hinderlich wäre, wenn kleine Kinder versuchen einzuschlafen, doch der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier: „Früher als Kind habe ich irgendwann angefangen Kassetten zum Einschlafen anzuhören, weil ich ohne den Lärm gar nicht mehr einschlafen konnte“, lacht Agtsch. „Ich bin mit vielen hier auf der Dult aufgewachsen.“ Auch wenn sie mit ihrem eigenen Betrieb oft in andere Richtungen fährt, so treffe man sich dennoch immer wieder. So auch in Regensburg: Schaustellerin Melissa, die vor einigen Jahren Agtsch´ Brautjungfer war, steht mit ihrem Stand gleich nebenan. Und die Hannelise kenne jeder. „Die hat uns wahrscheinlich allen schon mal die Windeln gewechselt“, witzelt Agtsch.
Für die Schausteller geht es im Herbst los: Regensburg, so wie alle anderen Städte auch, schreibt in den Schausteller-Zeitschriften aus, welche Volksfeste es heuer gibt. Damit fällt der Startschuss für die Schausteller die Werbetrommel für sich zu rühren: Mit ihren Bewerbungen stellen sie ihr Geschäft vor, um der Stadt klarzumachen, wieso sie im kommenden Jahr (wieder) unbedingt dabei sein sollten.
Neun Monate geht es dann von einem Markt zum nächsten. Im Gegensatz zu den Bierzelten, die innerhalb von drei bis vier Wochen aufgebaut werden, muss bei den Schaustellern in sechs Tagen alles gelaufen sein: Stand abbauen, sauber machen, Transportmittel besorgen, TÜV, zum nächsten Fest fahren und wieder alles aufbauen, so dass die ersten Besucher kommen können. „Auf den Märkten bleiben wir dann bis zum Schluss. Das sind mal vier, mal zehn Tage. Auf der Dult sind es natürlich immer 16 Tage“, erklärt Agtsch. Freie Tage und Ausruhen gibt es nur in der Winterzeit.
„Es macht einfach Spaß“
Das Leben als Schausteller ist anstrengend und oftmals vereinnahmend, dennoch würde die Schießbuden-Besitzerin es niemals aufgeben: „Das Volksfest ist unser Leben. Allerdings würde es sich auch nicht lohnen, wenn es nicht genug zum Leben abwirft. Wir arbeiten mindestens neun Monate im Jahr am Stück, haben keine Ferien und bekommen auch kein Krankengeld. Aber mir macht es einfach Spaß. Ich kann mir nicht vorstellen damit aufzuhören.“