Kunstförderung statt Werbung
Mit dem Projekt „360°. Kunst an Litfaßsäulen“ wollen Kulturreferat und Kulturamt der Stadt Regensburg Plattformen für Künstlerinnen und Künstler schaffen, um diese zu unterstützen. Das Stadtbild soll dadurch wieder kulturell belebt werden. Grundsätzlich steht die Kulturszene weiter vor ungewissen Zeiten.
Ein leicht abstrakt gehaltener Kopf mit langen, rostfarbenen Haaren. Die Hände vor dem grünen Raum hochgehalten, der normalerweise das Gesicht beinhalten würde. Dazwischen ein tiefschwarzes Smart Phone mit einer einem Auge ähnlichen Kamera. Daneben das gleiche Konzept. Nur diesmal ohne Smart Phone, lediglich mit dem kameraähnlichen Auge auf grünem Hintergrund. Direkt darunter erneut das „Portait“: Zahlreiche Augen wirken willkürlich über die Fläche zwischen den Haaren verteilt. Unterhalb des Kopfes steht auf dem rosa-weiß-gestreiften Oberteil „moments“.
„Es liegt im Auge des Betrachters, dem Moment eine echte Chance zu geben.“ Mit diesen Worten umfasst die Künstlerin Claudia Meitert auf der Internetseite der Stadt Regensburg ihr Kunstprojekt „All Eyes On Me“ das sie auf 360° an der Litfaßsäule am Alten Kornmarkt angebracht hat. „Das Dokumentieren unseres Alltags per Handy ist inzwischen Normalität“, so die Erklärung der Künstlerin. Der Mensch pendele stets zwischen zwei Wirklichkeiten, „der realen und der digitalen, und diese wiederum bewegen uns. Begleiten uns. Beobachten uns. All eyes up“.
„NO-mente” statt „Momente”
Es ist eine Kritik der „Bilderflut in den sozialen Medien“, die für Meitert die „emotionale Bindung zu Erlebtem zerstört“. Momente würden nur noch zu vorbeirauschenden Klicks am Handy verkommen. „Statt wertvoller Momente sammeln wir NO-mente, die unser Gedächtnis nur vage streifen und bald verblassen.“ Der Austausch des Menschen mit seiner Umgebung verkommt so zu flüchtigen, detaillosen Augenblicken.
Die Litfaßsäule scheint als Kunstfläche für diese Botschaft bestens geeignet zu sein. Denn die heutzutage vor allem als Werbeflächen sehr vertrauten Betonsäulen spiegelten schon immer den sie umgebenden Zeitgeist wieder.
Eine kurze Geschichte der Säulenwerbung
Als am 1. Juli 1855, also vor mittlerweile 165 Jahren, in Berlin die ersten Säulen des Druckers Ernst Litfaß aufgestellt wurden, sollte damit vor allem dem ausufernden Wildplakatieren jener Zeit etwas entgegengesetzt werden – und für Litfaß selbst ein lohnendes Geschäftsmodell entstehen.
Die Idee des Unternehmers stieß recht schnell auf offene Ohren des Berliner Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinkeldey. Dieser versprach sich mehr Ordnung im Stadtbild und Kontrolle über die Aushänge. Kritiker fürchteten genau dadurch einen Angriff auf die Meinungsfreiheit und ein Mittel der Zensur.
Zwischen Zeitung und Produktplatzierung
Es waren vor allem Mitteilungen politischen Charakters, die zu jener Zeit die Hausfassaden und später die runden Betonwerke zierten. Doch der Kritik zum Trotz war die Litfaßsäule schnell ein Erfolgsmodell. Nach erfolgreichem Start in Berlin wurde das Konzept auch in anderen Städten aufgegriffen. Die Werbeträger waren in der Folge Amtsblatt, Zeitung und Illustrierte in einem. Während der „Einigungskriege“ 1864 und 1871 wurden die neuesten Meldungen von der Front gekleistert. In der Weimarer Republik waren es dann oftmals Streikankündigungen und Wahlplakate. Aber auch die erste „Persilfrau“ und Filmankündigungen gab es bereits.
Der Propaganda des Nationalsozialismus folgten direkt nach dem Krieg unzählige Suchmeldungen, die die Litfaßsäulen zu Mahnmalen werden ließen. Sie waren stets Zeuginnen ihrer Zeit und Spiegel der Gesellschaft.
Schnell und prägnant muss es sein
Heutzutage sollen die Werbeflächen im besten Falle in wenigen Augenblicken möglichst viele Informationen über die neuestens Modetrends, den kommenden Kinoblockbuster oder die aktuellen Supersparangebote irgendwelcher Unternehmen vermitteln. Ergänzt durch die (früher) zahlreichen Anzeigen von kulturellen Events.
Schnelle, prägnante Informationen müssen es sein, um im hektischen Alltagstreiben der Stadtbewohnerinnen mithalten zu können. Gleichzeitig zwingen sie ihre Betrachter aber gelegentlich doch, kurz inne zu halten und die Plakate etwas genauer zu studieren. An manchen Bushaltestellen kann so auch ein willkommener Zeitvertreib entstehen.
Stumme Zeugen der Geschichte
Allmählich scheinen die Werbesäulen jedoch ausgedient zu haben. In Berlin wurden sie mittlerweile unter reichlich Wehklagen aus dem urbanen Raum verbannt. Und auch die Corona-Krise hat bei den einstigen „Totengräbern“ der Meinungsfreiheit, wie es in den Anfangsjahren oft hieß, Spuren hinterlassen.
Einmal mehr wird die Litfaßsäule zum stummen Zeugnis der gesellschaftlichen Ereignisse. Denn wo keine Theateraufführungen, Musikkonzerte oder Filmvorführungen, da auch keine Plakatwerbungen. Und auch keine Einnahmen für die Werbefirmen wie die Mittelbayerische Plakatwerbung-Schwandorf, die die Litfaßsäulen in Regensburg betreibt.
Drei Säulen – unendliche Möglichkeiten
Doch die Stadt hat vorerst eine Lösung gefunden. Vom 7. Juli bis zum 6. August stehen drei der Monumente am Arnulfsplatz, dem alten Kornmarkt und an der Nordseite der Eisernen Brücke Künstlern jeweils für zehn Tage zur Verfügung. Den Anfang machen Claudia Meitert (Kornmarkt), Alexander Rosol (Eiserne Brücke), sowie Lisa Langbein und Tanja Riebel (Arnulfsplatz).
Alle drei Kunstkompositionen treten dabei mit ihrer Umgebung in einen Dialog. Doch auf diesen muss sich der Betrachter einlassen, zunächst überhaupt erkennen, woran er gerade vorbeigeht und innehalten. Rosols 360°-Werk etwa wirkt erst im Zusammenspiel mit dem sich hinter ihm entfaltenden Stadtpanorama. Die Kombination aus Vektorgrafik und Bildmontage entstand aus insgesamt über 500 grafischen Elementen und eigenen Fotografien, die vielfach überlagert wurden.
Durch den Dschungel der steinernen Stadt
“Statt_Dschungel” heißt Langbeins und Riebels Installation. „Bei der Komposition ist die Fantasie und Kreativität der Betrachterinnen und Betrachter gefragt und jeder kann etwas anderes in den abstrahierten Flächen und Formen erkennen“, teilen die Künstlerinnen auf der städtischen Seite mit.
Die starken Farbkontraste der Acrylfarben und die zunächst planloswirkende Gestaltung soll beim Umrunden der Litfaßsäule eine vegetativ-organische Szenerie preisgeben, „inspiriert von Natureindrücken an und entlang der Donau. Die Komposition aus Linien und Flächen erweitert und kontrastiert gleichermaßen die Landschaft der ‘steinernen Stadt’“.
Die Kulturbranche sieht rot
„360°.“ ist das Folgeprojekt für das Anfang Juli zu Ende gegangene Förderprojekt „Frei sein, und nicht allein“. Diese Kooperation mit dem Stadttheater unterstützte mit den Geldern des städtischen Kunsthilfefonds Schauspielerinnen, Musiker und andere Künstler.
Die Stadt ist durchaus bemüht, die kulturelle Landschaft über die Krise zu hieven. Doch nach wie vor steckt die gesamte Branche in einem tiefen Tal. Die ersten Öffnungen von Museen und Kinos oder auch die Konzepte für Theaterhäuser sind erste Schritte, aber noch lange nicht die Lösung, hieß es daher auch am 22. Juni.
Im Rahmen der bundesweiten Aktion „Night of Light“ leuchteten abends zwei Stunden lang diverse Kulturstätten wie das Regensburger Theater am Bismarckplatz rot.
„Erst ab 80 Prozent Auslastung lohnt es sich”
Besonders betroffen sind auch weiterhin die vielen kleineren privaten Häuser wie das Turmtheater. „Mit dem derzeit geltenden Konzept brauchen wir eigentlich gar nicht erst öffnen“, erklärt Undine Schneider, Leiterin des Turmtheaters gegenüber regensburg-digital. Schon unter normalen Bedingungen sei es finanziell immer recht eng. Das Problem: Erst ab einer Auslastung von 70 bis 80 Prozent lohne überhaupt die Öffnung. „Darunter zahlen wir trotz Subventionen drauf. Und daher bleiben wir lieber geschlossen.“
Wenn alles gut läuft, könne es im Herbst wieder los gehen. „Doch wer kommt dann tatsächlich“, fragt Schneider. „Die Älteren vermutlich aus Gesundheitsüberlegungen erstmal nicht.“ Doch genau die stellen das Stammpublikum und die zahlreichen Abonnentennehmer, auf die kleinere Spielhäuser stark angewiesen sind.
Stadt sagt Unterstützung zu
Und während die Einnahmen mindestens bis in den Herbst ausbleiben, fallen weiterhin laufende Kosten etwa für die Litfaßsäule am Arnulfsplatz an, die das Turmtheater normalerweise als Werbefläche nutzt. Rückendeckung bekommt das Turmtheater aber ebenfalls von der Stadt. „Kulturreferent Wolfgang Dersch hat uns versichert, man wolle das Turmtheater erhalten“, so Schneider. Generell ist sie der Meinung, dass die Stadt derzeit ihr möglichstes tue, um die Kulturlandschaft zu erhalten. Ob das am Ende für alle ausreiche, bleibe abzuwarten.
Edeltraut
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Erst ab einer Auslastung von 70 bis 80 Prozent lohne überhaupt die Öffnung…. „Und daher bleiben wir lieber geschlossen.“
Meine Hochachtung für diese Überlegung. Darum sollten aber auch entsprechende Förderungen bzw Darlehen fließen.
Jakob Friedl
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Kunst an Litfaßsäulen: 1920 ließ der Merz-Künstler Kurt Schwitter sein Gedicht “Anna Blume” an Litfaßsäulen plakatieren und nutzte die darum entstandenen Kontroversen. https://a-n-n-a-blume.tumblr.com/gedicht
Hier eine Anregung der Ribisl-Partie e.V. an die Stadt zum Thema Zero-Waste:
https://ribisl.org/anregung-zum-thema-muell-muellvermeidung-kunst-zero-waste-stadt/
Müll kann auch ein guter Gegenstand für künstlerische Auseinandersetzung sein,
Regensburg will Zero-Waste-Stadt werden, so steht es im Koalitionsvertrag.
“Müll kann ein interessantes Material sein. Müll ist jedoch vor allem ein dankbares Thema. Müll ist der denkbar dezentralste Gegenstand für Betrachtungen des Organismus Stadt. Es gibt so viele Mülltonnenstandorte wie Haushalte. Eine Beschäftigung mit dem Thema durch viele Akteure an vielen Orten und unter Berücksichtigung aller möglichen Aspekte verspricht maximale Kontingenz. Das sind beste Voraussetzungen für relevante Kunst. ”
“Vor allem in den Stadtteilen, wo 90% der Regensburger*innen wohnen, kann beispielhaft an der Aufmerksamkeitsökonomie der Stadt gearbeitet werden. Schließlich will Regensburg nicht “Zero-Waste-Altstadt” werden! Kleine Denkmäler können gerade auch an weniger frequentierten, abgelegenen oder unauffälligen Orten dauerhaft einen Platz finden. Das Internet, Medien und Museen können die vielschichtigen Beiträge zueinander in Beziehung setzen. ”
Ausstellung zum Thema Zero-Waste im Museum der bildenden Künste in Leipzig: https://mdbk.de/ausstellungen/zero-waste/
Walter Herter
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Nach meiner Drei-Säulentour heute durch die Stadt eine Anregung an das Kulturamt bzw. an die Künstler: bitte in irgendeiner Form, z.B. “Laufband” unten oder oben an der jeweiligen Säule ein Hinweis auf die Künstlerin, ein vielleicht deutlicherer, sichtbarer Hinweis auf die Besonderheit der Säulen, die Idee damit usw…
Obwohl einigermaßen kunstinteressiert, wären wir wahrscheinlich in all dem Trubel vorbeigegangen (so, wie viele der Passanten….)
Schade!