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Installation im ART LAB Gleis 1

Kunst an der Borderline zwischen Mystik und Wissenschaft

Ein Besuch der Licht- und Klanginstallation IQRA des Münchener Künstlers Berkan Karpat im ART LAB Gleis 1 am Regensburger Hauptbahnhof.

Ein Exponat der Installation Berkan Karpats. Foto: bm

Es ist ein eher ungewöhnlicher Ort für eine Kunstausstellung. Und doch ist es vielleicht genau der richtige für das sogenannte ART LAB Gleis 1. Der ehemalige Gleiszubringer am Regensburger Bahnhof ist ein 60 Meter langer Gang unterhalb der Schienen. Seit der Umgestaltung des Bahnhofs Anfang der 2000er Jahre ist dieser unterirdische Weg ungenutzt geblieben. Seit einiger Zeit nutzt nun der donumenta e.V. diesen als Ausstellungsort für Kunst, die in der Stadt sonst eher schwer Platz findet. Über die Kooperation mit dem Bahnhofsbetreiber ist die Vereinsvorsitzende Regina Hellwig-Schmid sehr froh. „Wir wollen hier ein Experimentierfeld zwischen den Polen Wissenschaft und Kunst schaffen.“

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Projektraum direkt unter den Gleisen

Den stillgelegten Tunnel dürfe man bis auf weiteres kostenlos nutzen. „Das macht es uns sehr viel leichter. Denn bisher finanzieren wir uns ausschließlich über Projektfördergelder und Spenden.“ Für Besucher wolle man die Ausstellungen inklusive Führungen umsonst anbieten. „Langfristig hoffen wir auf eine feste Finanzierungsmöglichkeit.“ Das Tolle sei, „dass die Menschen am Bahnhof hier oft zufällig der Kunst begegnen können und so Teil des interaktiven Experiments werden“, sagt Hellwig-Schmid.

Bis zum 29. September wird das ART LAB Gleis 1 Berkan Karpats Installation IQRA präsentieren. In der Kunstszene ist der Münchener Künstler auch international kein unbeschriebenes Blatt. Der Präsident des Künstlerverbundes im Haus der Kunst in München ist für seine avantgardistische Auffassung von Kunst bekannt und lässt immer wieder die Grenzen des Gewohnten verwischen. Für Hellwig-Schmid stellt er eine tolle Bereicherung der Regensburger Kunstszene dar. „Wir wollen uns mit dem ART LAB an der Borderline zwischen zweidimensionaler Kunst, raumgreifender Kunst und Technik bewegen. Karpat ist als eine Art High-Tech-Mystiker auf diesem Gebiet seit Jahren bekannt und wir freuen uns hier seine Kunst zeigen zu dürfen.“

Zugang zum unterirdischen ART LAB Gleis 1. Foto: bm

„Dort, wo Fata Morganen die Sinne täuschen, ist dem Visuellen nicht zu vertrauen.”

Wie bereits in früheren Werken geht es Karpat um die Auflösung des abendländischen dialektischen Denkens. „Die Dialektik der westlichen Aufklärung, die eine klare Trennung in richtig und falsch vorsieht, hat erst im 19. Jahrhundert Einzug in die orientalische Kultur und den Islam gehalten.“ Die Jahrhunderte zuvor habe vor allem der Klang als wesentlicher Aspekt des Koran fungiert und eine reiche Tradition der mündlichen Wiedergabe, des Rezitierens und des Gesangs begründet. „Dort, wo Fata Morganen die Sinne täuschen, ist dem Visuellen nicht zu vertrauen. Dadurch wurde der Gesang sehr wichtig.“ Zudem sei das Buch mehr Vortrags- denn Lesetext. „Sinn und Bedeutung erfüllen sich im Vortrag“, erklärt Karpat. Dadurch sei der Koran auch eine Interpretation des jeweils Rezitierenden.

Seit 2006 beschäftigt er sich intensiv mit dem Koran als „ästhetisches Manifest“, wie er die religiöse Schrift nennt, und den Ursprüngen der orientalischen Kultur. Des Weiteren untersuchte Karpat mehrere Monate zusammen mit Physikern, Chemikern und Medizinern, welche Wechselwirkungen zwischen Wasser und Personen oder Gegenständen entstehen können und wie Wasser auf Schwingungen reagiert. Die Ergebnisse hat er nun mit seiner Installation IQRA künstlerisch umgesetzt.

Visuell-akustische Koranrezitation

Betritt man nun das ART LAB, so befindet man sich zunächst in fast völliger Dunkelheit. Die Augen müssen sich einen Moment an die neue Umgebung gewöhnen. Rechts an der Wand zeichnet sich ein Schatten ab. Links geht es in den Gang in dessen Mitte eine Lichtquelle von der Decke hängt, die in beide Richtungen strahlt. Einige Meter von den Wänden entfernt hängen zwei Vorrichtungen, deren Schatten an den Wänden zu sehen sind. „Das hier könnte ein Begegnungsmoment sein“, sagt Karpat. „Vielleicht zwischen dem Engel und dem Propheten. Und die ersten Worte, die fallen, ist die Eröffnungssure Iqra.“

Berkan Karpat im Schatten seiner Kunst. Foto: bm

Iqra, das ist der Name der Sure 96 aus der ersten mekkanischen Offenbarungsperiode des Koran und bedeutet übersetzt „Trage vor!“. Als Suren werden die einzelnen Kapitel des Koran bezeichnet. „In vielen Koranexemplaren ist die Reihenfolge rein pragmatisch, etwa der Länge nach geordnet. Doch historisch gesehen ist Sure 96 die erste Sure der mekkanischen Offenbarungsperiode und Sure 114 deren letzte.“ Beide sind zentraler Bestandteil der Installation und diese folglich in gewisser Weise eine Koranrezitation des Künstlers.

Verschmelzung von Wissenschaft und Technik mit Poesie und Mystik

Tritt man näher an eine der beiden hängenden Vorrichtungen, so erkennt man in einem Quader einen kleinen Behälter. „Die Suren, eingeschlossen in einem kubischen Wasserbehälter, beeinflussen die Struktur des sie umgebenden Wassers und damit auch sein Frequenzspektrum. In einer Abfolge von Sinustönen flüstern Koransuren den Betrachtern durch das Medium Wasser ihre Melodie zu“, lautet die Idee des Künstlers. Ein Koranrezitativ soll so entstehen, in dem Wissenschaft und Technik mit Poesie und Mystik verschmelzen.

Durch den jeweiligen Betrachter entsteht eine weitere Wechselwirkung. „In Wechselwirkung mit dem Betrachter wird das Wasser in den Kammern zusätzlich in Schwingung versetzt“, erklärt der Künstler. Diese Schwingungen sollen dann über ein Messgerät aufgenommen und an eine Anlage weitergeleitet werden. „Die hohen und mittleren Frequenzen wandeln wir dann über einen Verstärker in Ton um, den man im Gang hören kann.“ So soll an die orientalischen Klangtraditionen angeschlossen werden.

Sure im Wasser. Foto: bm

Die tiefen Frequenzen, aus dem nicht mehr hörbaren Bereich wiederum sollen die zweite Vorrichtung, auf der gegenüberliegenden Gangseite in Schwingung versetzen. „Berührt man es mit der Hand lange genug, dann wirken die Schwingungen auf den Körper ein und setzen chemische Prozesse in Gang. Man verändert sich also durch die Interaktion für eine kurze Zeit.“ Dass Schwingungen durchaus Einfluss auf den Körper haben können, stelle man etwa in Diskotheken fest, wenn besonders tiefe Bässe verstärkt werden. „Da bebt dann der ganze Körper“, so Karpat.

Mit IQRA versucht er somit einen Grenzgang zwischen Wissenschaft, Kunst und Religion. „Der Betrachter selbst tritt in Interaktion mit der Kunst.“ Metaphysik und physische Realität verschwimmen ineinander. „Am Ende gehören beide untrennbar zusammen“, befindet Karpat.

Am morgigen Donnerstag (5. September) ist der Künstler ab 19.00 Uhr selbst für ein Gespräch anwesend. Die Ausstellung ist noch bis 29. September, jeweils mittwochs bis sonntags von 14.00 bis 19.00 Uhr (donnerstags bis 21.00 Uhr), geöffnet.

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Kommentare (8)

  • Jonas Wihr

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    Der Wolf. Das Lamm. – Hurtz!

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  • Werner Hinreiner

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    Darauf hat die Welt gewartet! Da ich kein Kunstkritiker bin, der seinen Unmut mit eigenen Worten angemessen zum Ausdruck bringen kann, zitiere ich Thomas Bernhard: “……Kunst – das ist der größte Blödsinn, weil das Volk interessiert sich für Kunst überhaupt nicht. Nur die, die Kunst machen, drängen dauernd dem Volk die Kunst auf. ……..Kunst ist nur für wenige, und die verstehen´s ja auch nicht, die geben ja auch nur vor, dass sie´s verstehen. Je größer die Experten für Kunst sind, mit denen Sie sich unterhalten, desto größere Arschlöcher kommen am Ende heraus.” (Thomas Bernhard, Eine Begegnung, Gespräche mit Krista Fleischmann)

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  • dünnster Künstler

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    Ich schau mir die Ausstellung heute abend an. Der mir etwas esotherisch anmutende “Versuchsaufbau” funktioniert sicherlich mit jedem anderen Text. Aber gut die Art und Weise der Koranrezeption ist das wirkungsvoll ausgebreitete und gesellschaftlich relevante Thema und auch die Kunst bietet Oberfläche die verschiedentlich hinterfragt und interpretiert werden kann. Ich bin gespannt auf die körperliche Soundrückkopplung und die durch das Setting frei werdenden Gedanken und ein Gespräch mitdem Künstler.

    Der unterirdische Bahnhofstunnel ist ein toller Ort und es ist großartig, das es dem donumente e.V. gelungen ist hier einziehen zu können! Hoffentlich hat das Projekt eine lange Zukunft. Ich kann mir vorstellen, dass sich die türöffnende Relevanzattrappe Hochkunstlabor für Wissenschaft, Kunst und Technik irgendwann in handlungsorientierte und feldforschende NO_Art auflöst.

    Und ich kann es mir nicht verkneifen: Die Institution Art LAb kommt mindestens 10 Jahre zu spät! Schade, das der donumenta e.V. nach der gescheitereten Kulturhauptstadtbewerbung 2005 nicht intensiv am Thema Esplanade / Verbindung Hbf-Altstadt dran geblieben ist. Eine Verbindung Bahnhofstunnels mit dem Negativsockel der Eventualitätenplattform Europabrunnen hätte stadtplanerisch Sinne gemacht, nachdem die großen starr repräsentativen Stadtumgestaltungs-Pläne zum Glück aufgegeben wurden.

    Die kleine Plattform der nun leider zubetonierte Europabrunnendeckelwerkstatt lag unmittelbar im Hauptfußweg und war vor allem sichtbar, öffentlich und ihrer Wirkung uferlos. Die wechselnde Schattentheater Projektionen von der Skaterail aus ans Hochhaus 2009/2010 waren täglich bis zum Bahnhof zu sehen. Der Maulwurstomper am Europabrunnendeckel arbeitete mit dem Sinngehalt und dem Sound von Sprache und den Reaktionen der Nutzer und beschallte 1 1/2 Jahre lang überirdisch den Ernst. Engagement und Forschung an der alltäglichen Realität des belebten Ortes selbst war hier tatsächlich möglich. Die Kommission Kunst und Bauen wirkte mit Desinforamtion gefüttert und entsprechend themaverfehlender Scheinexpertise daran mit, die Ideen und den Kontext des Projekts behördlich zu ignorieren, den entwicklungsfähigen Ort für die Kunstszene zu tabuisieren und in ein Wachkoma zu schlagen um den Raum schließlich mit einem Touristenrastplatz zuzubetonieren.

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    HIER NOCH EINE EINLADUNG:

    Pressemitteilung: Fontana Suburbia

    Einladung zum Zwetschgenkernweitspucken beim städtischen Maibaumständer

    Der Wählerverein „Ribisl-Partie” lädt am kommenden Sonntag von 10 bis 14 Uhr zu einem öffentlichen Frühstück im Eingangshain der Käthe-Kollwitz-Siedlung in Burgweinting ein. (Die Kommission Kunst und Bauen ist auch eingeladen…).
    Zum Tag des offenen Denkmals, der unter dem Motto “Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur” steht steuert der Fvfu-uüiUF.e.V. eine eigene Kunstaktion zur Käthe- Kollwitz-Siedlung bei, die auch dazu dienen soll, Kandidat*innen für die Liste RIBISL “für Diveres, Sonstiges & Übriges” zu gewinnen. Dabei werden auch erste “Malkampfplakate” vorgestellt und weitere gemalt.

    “Fontana Suburbia” legt als „Ready Made“ Kunstwerk eine Auseinandersetzung mit dem Ort nahe, dem bisher recht trostlosen Eingangshain zur Käthe-Kollwitz-Siedlung. Wir sehen darin einen symbolischen Ort, der für die vielen Versäumnisse und enttäuschten Hoffnungen in der Entwicklung des Stadtteils steht. Wir meinen das eine neue Freibaumtradition in der Vorstadt das Potenzial hätte, die Stadtteilkultur für viele Menschen zu bereichern. Nicht nur der Hain müsse wieder belebt werden, auch die großen Pläne, die es einmal für die soziale und künstlerische Entwicklung des neuen Stadtteils gab, müssten rekontextualisiert und realisiert werden. Durch zahlreiche, sehr unterschiedliche Kunstaktionen will der Verein dazu beitragen.

    Infos zu Fontana Suburnia: http://europabrunnendeckel.de/?p=7782

    Mach mit beim Malkampf (6 Monate an 100 selbstgewählten Stellen sicherer Raum für Kunst und Aktivismus !): http://europabrunnendeckel.de/?p=7817

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  • Inistwerdrinist

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    Stimmt, ein unterirdischer Kunstfurz

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  • Piedro

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    Schau an, virtuelle Beitragsfürze! Nicht gesehen und erlebt, aber abwertendes Gefurze. Sehr beeindruckend. Ich würde es mir gern anschauen, ist aber zu weit weg.

    Ach ja, der Bernhard…
    „Oft lese ich ganze Seiten und weiß gar nicht, was ich gelesen habe. Ich fange dann noch einmal von vorn an und entdecke, dass das schön ist, was ich gelesen habe. Es handelt von Menschen, die unglücklich sind.“ — Thomas Bernhard

    @dünnster Künstler
    Wie wär’s denn mit einem Erlebnisbericht als Gastbeitrag? Möglichst einfach gefasst, mit möglichst wenig Worten? Und vielleicht ein paar Bildern?

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  • KW

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    Dies ist bereits das zweite Kunstprojekt in diesem seit 15 (oder mehr) Jahren ungenutzten, zentral gelegenen Raum welches kostenlos allen interessierten Besuchern präsentiert wird.
    Absolut genial wie ich finde. Selbst wenn man mit der Art der Installation nichts anfangen kann, gibt es daran nichts aber auch gar nichts auszusetzen.

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  • dünnster Künstler

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    Wow!!!

    die Erläuterungen von Berkan Karpat in seiner Installation waren zunächst etwas irritierend, humoristisch oder ernsthaft ?, hintersinnig, tiefgehend, vielschichtig, informativ, inspirierend…! Im langen dunklen Bahnhofstunnel entstand in der Geräuschkulisse und den minimalistischen Elementen der Installation Raum für ein sehr freies, konzentriertes und spielerisches Gespräch mit der Besucher*innengruppe über Koranrezeption, Wissenschaft, die Freiheiten der Kunst, Mehrdeutiges und Unfassbares, Haltung, Philosophie und Politik. Ein erstaunlicher Rythmus. Berkan Karpat besitzt ein großes Wissen und ist auch ein Denker, Vermittler, Wort- und Klangkünstler der es versteht viele Anknüpfungspunkte auf unterschiedlichen Ebenen zu schaffen und zu verweben. Ihr merkt: Ich empfand die Installation und die Erläuterungen dazu als erfreulich genial. Das einfühlsame Künstlergespräch mit der Besucher*innengruppe in der Installation IQRA prägt sich mir als tolles Beispiel für gute Kunst- tief ein. Davon kann ich zehren.

    Der Donumenta e.V. präsentiert regelmäßig Kunst die auf selbstgewählte Themen hinweist und weit über dem regensburger Niveau schwebt und das immer möglichst öffentlich und niederschwellig zugänglich und bei freiem Eintritt! Vielen Dank dafür.

    Die Bodensprenkleranlage am Touristenrastplatz haben wir uns dann auch noch lurz angeschaut…. leider existiert die Europabrunnendeckel-Membran nicht mehr. Berkan Karpat hätte etwas damit anfangen können.

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