Kreuzbrave Opiumträume
Wieder hat man es in Regensburg versäumt, sich wenigstens einmal zum positiven Charakter der Kontroverse zu bekennen. „Les Enfants Terribles“ kommt als harmloses Märchenstück daher.
Das kulturelle Reflexionsniveau, bei einem Cocteau-Stück die Kulisse mit populären Schnappschüssen aus surrealistischen Stummfilmen zu schmücken, entspricht ungefähr dem, sich Andy-Warhol-Replika in die Café-Bar zu hängen!
Ich frage mich, ob es nicht selbstgefällig ist, dass ich länger überlegt habe, diesen Artikel überhaupt zu verfassen. Jedes Mal, wenn ich ins Theater Regensburg gehe, um zu kritisieren, wünsche ich mir, dass es wenigstens verdaulich wird. Nur nicht „dröge, bieder und langweilig“ – drei Vokabeln, die ich in den vergangenen zwölf Monaten in meiner Kolumne reichlich überstrapaziert habe. Bewusst habe ich also eine moderne Oper, gar eine Tanzoper von Philip Glass und Jean Cocteau gewählt, damit die Mottenkiste, vielleicht schon bedingt durch das künstlerische Metier, geschlossen bleibt. Es ist tragisch und doch fast unvermeidbar, dass für die Inszenierung von „Les Enfants Terribles“ der Gestus des Verrisses nahe liegt.
Positiv in Erinnerung bleibt das Programmheft
Was positiv von diesem Dienstag Abend in Regensburg in Erinnerung bleibt, ist vor allem das Programmheft. Die Redaktion scheint begriffen zu haben, wer Jean Cocteau war, denn fast mantrisch wird der Leser auf den Lebenswandel dieses Mannes aufmerksam gemacht. Eine schwierige, kontroverse Figur sei er gewesen. Schwul und drogensüchtig, skandalumwittert und verkannt. Man möchte meinen, Christina Schmidt hätte im besten Sinne Freude an den heiklen Themen des Stücks, das sich um inzestuöse Geschwisterliebe in schwulstigen Opiumträumen dreht. Wahrhaftig ist diese Freude auch nötig, will man der historischen Verurteilung Cocteaus durch die reaktionären Kräfte seiner Zeit ernsthaft widersprechen.
Ich habe dieses Programmheft während der zweiten Hälfte der Vorstellung gelesen. Als die Abonnenten schon den Saal verlassen hatten. Als viele Reihen mindestens halb geleert waren, als ich wusste, es ist nichts mehr zu retten, als ich mich auf aggressive Art langweilte.
Wieder hat man es in Regensburg versäumt, sich wenigstens einmal zum positiven Charakter der Kontroverse zu bekennen. Einmal kompromisslos umzusetzen, was gesellschaftliche Provokation uns erzählen könnte: ein Lehrstück über Toleranz und Intoleranz. Die Grauzonen der menschlichen Emotionalität (seien sie noch so abwegig, aber existent) waren und sind schließlich willkommene Vorlagen einer konstruierten Identität. „Mia san mia!“ ist die unterste Wurzel des Faschismus. Stattdessen verbannt man die Nacktheit aus Carmen, macht Diskussionen nach einem Missbrauchsstück mundtot (RD berichtete) und inszeniert Cocteau als harmloses Märchenstück.
Kraftlose Textrinnsale
Tatsächlich werden verschiedene Elemente aus dem kreuzbraven „La Cenerentola“ in „Les Enfants Terribles“ recycelt. Angefangen beim eingeblendeten Titel in der selben Kitsch-Schriftart mit der selben schlechten Animation. Überhaupt ist die gesamte audio-visuelle Gestaltung durch Wolfgang Frauendienst ein wiederkehrender Graus, eine regelrechte Nachtmahr aus peinlichem Pathos und altbackenen Effekten. Nahaufnahmen auf Augen, die auf einmal durch digitale Pfützen verwässert werden und pixeliger Licht-Schnee sind da nur die Highlights. Weiter geht es mit einer weiteren Rolle für Gunnar Blume als Erzähler aus dem Off. Emotionslos, beinahe unbeholfen, wird hier aus der literarischen Vorlage zitiert, damit die Zuschauer dem akzentlosen Geschehen irgendwie folgen können.
Denn inhaltlich trägt sich das Stück in keiner Weise. Permanent fläzen die Darsteller auf Betten, und Wände und Spiegel werden ein bisschen gedreht und verschoben. Dazwischen ständige Dialogabfolgen, die in ihrer Eigenschaftslosigkeit die Opiumträume zu kraftlosen Textrinnsalen verwässern. Alles was auf der Bühne passiert ist spätestens nach zehn Minuten egal, weil es keine Verbindung von Gesungenem und Gespieltem gibt. Da hilft auch das aufwändige, vertikal versenkbare Bühnenbild nicht: Ein „Haus-Gefängnis“, von dem keiner weiß was es überhaupt soll, wenn es eh nicht genutzt wird.
Der Sündenbock ist nicht das Ensemble
Philip Glass’ perkussive Klavierkaskaden skelettieren die Vorstellung einer Orchesterbegleitung und entblößen jede Schwäche der Darsteller. Das Regensburger Ensemble blamiert sich allerdings nicht in diesem erbarmungslosen Fokus auf die Expressivität ihrer Stimmen und Körper. Die Harmonie zwischen den Sängern ist zwar nicht ideal und die Choreographie teilweise sehr repetitiv, doch der modernistische musikalische Ansatz wird nicht völlig entstellt. Der Sündenbock für das Scheitern dieses Stücks soll entschieden nicht das Ensemble sein.
Es ist die ständige Agenda der Gefälligkeit und konservativen Konsensfindung in diesem Haus, die die Inszenierung vollends zum Aschenputtel macht. Dass man so nicht mal mehr das Abonnentenpublikum in den Sitzen halten kann, zeigt wie sehr man sich hier fehlgeleitet ausbremst. Denn am Ende haben die Leute nichts gesehen von der im Programmheft versprochenen Sodomie und dem angekündigten Wahnsinn. Lediglich ein untermediokres, im üblichen Plastikbarock gerahmtes Märchenstück. Tragisch. Traurig.
2 blasse Flamingos von 5
lara
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Fast alles was ich bisher im Regensburger Stadttheater gesehen habe hat mich sehr enttäuscht. Tipp: Ins Unitheater gehen! Dort gibt es die mutigen Inszenierungen, die engagierten Schauspieler, die stimmigen Bühnenbilder. Schrecken und Humor, über 10 Theatergruppen. Alle machen dort mit Leidenschaft mit und jede zweite Vorstellung bleibt lange im Gedächtnis.