13 Feb2013
Kosmetika ohne Tierversuche
Fluide Mikrochips testen Hautverträglichkeit von Kosmetika
Verfahren kommt ohne Tierversuche aus
Wissenschaftler aus Regensburg und Jena haben gemeinsam mit vier Partnern aus der Industrie ein neues mikrofluidisches Chipsystem zur präzisen Messung der Hautverträglichkeit von Kosmetika und anderen Pflanzenextrakten entwickelt. Mikrofluidische Systeme – oft auch Westentaschenlabore oder Chiplabore genannt – vereinen die verschiedenen Funktionen von makroskopischen Laboren auf einem nur plastikkartengroßen Kunststoffsubstrat. Der Forscherverbund arbeitet jetzt an der Entwicklung eines Prototyps, der auch Screening-Verfahren zum Nachweis der biologischen Wirkung beliebiger Chemikalien ermöglicht.
Die Analyse der Hautverträglichkeit spielt eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Markteinführung neuer Medikamente oder Kosmetika. In den vergangenen Jahren wurden hier Tierversuche zunehmend durch zell-basierte Untersuchungen ersetzt. Dabei werden Hautzellen (Keratinocyten), die sich im Labor nahezu unbegrenzt vermehren lassen, als Testsystem verwendet und mit den zu untersuchenden Chemikalien in Kontakt gebracht. Die Methode hat jedoch den Nachteil, dass Zellreaktionen nicht immer mit ausreichender Empfindlichkeit registriert oder über bestimmte Zeiträume hinweg untersucht werden können.
Forscher der Universität Regensburg haben deshalb gemeinsam mit Kollegen der Ernst-Abbe-Hochschule Jena (Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Karl-Heinz Feller) ein mikrofluidisches Chipsystem entwickelt, das diese Probleme löst. In einem neuen Verfahren ließ das Team um den Regensburger Wissenschaftler Prof. Dr. Joachim Wegener vom Institut für Analytische Chemie, Chemo- und Biosensorik menschliche Keratinocyten in einer Durchflusszelle wachsen. Durch den Flüssigkeitsstrom in dem Chipsystem wurden potentielle Gefahrstoffe an die Hautzellen herangeführt und deren Reaktion auf die jeweilige Substanz auf verschiedene Arten untersucht.
Im Flusskanal des Chipsystems, der nur wenige hundert Mikrometer breit ist, wurden Elektroden platziert, die kleinste Formveränderungen der Hautzellen erfassen können. Dabei nutzten die Wissenschaftler den Umstand aus, dass die dreidimensionale Zellform ein äußerst empfindlicher Indikator für Zellstress – bzw. für abnormale biochemische Prozesse innerhalb der Zelle – ist. Geraten Zellen durch äußere Einflüsse unter Stress, reagieren sie ungemein sensibel mit Veränderungen ihrer Form.
Das Forscherteam ergänzte diese Analysemethode durch einen in den Hautzellen selbst vorhandenen Sensor. Die Keratinozyten wurden vor ihrem Einsatz gentechnisch so verändert, dass sie bei aufkommendem Zellstress im Zellinneren ein fluoreszierendes Protein herstellen. Nach Produktion des Proteins leuchten die Zellen bei Bestrahlung mit blauem Licht grün auf, so dass eine Zellreaktion über das Leuchten der Zellen identifiziert werden konnte. Das neu entwickelte Chipsystem erlaubt es dabei, bis zu drei Substanzen gleichzeitig zu untersuchen und die Zellreaktionen kontinuierlich zu registrieren.
Die Forscher wollen nun noch einen Schritt weitergehen: Gemeinsam mit den Industriepartnern wird ein Prototyp entwickelt, in dem die zellbeladenen Chips zum Einsatz kommen sollen. Der Prototyp wird alle Einzelschritte der Substanztestung selbständig durchführen können – einschließlich der automatisierten Datenanalyse. Das Gerät soll schließlich nicht nur zur Untersuchung von Pflanzenextrakten und Kosmetika dienen. Durch den Einsatz von Zelltypen aus anderen Gewebearten könnte sich ein breites Anwendungsgebiet für Screening-Verfahren zum Nachweis der biologischen Wirkung beliebiger Chemikalien eröfnnen.
In diesem Zusammenhang wird ein neues Verbundprojekt der beiden Hochschulen und der vier Industriepartner unter dem Namen „FASTEST“ (Fully Automated System Testing Extracts and Substance towards Toxicity) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit 1,1 Millionen Euro gefördert. Die ersten Ergebnisse der Forscher wurden bereits in der Online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Biosensors and Bioelectronics“ veröffentlicht (DOI: 10.1016/j.bios.2012.07.075). Die Publikation der Printversion steht noch aus.