Kommt Sigmund Freud zum Papst
Michel Piccoli macht den Stellvertreter: „Habemus Papam“, der wundersamste, lustigste, traurigste, verrückteste und wahrhaftigste Papstfilm, der je gedreht wurde, ist in der arte-Mediathek zu sehen.
Seit 6. April ist „Habemus Papam“ in der arte-Mediathek, und Sie haben den Film immer noch nicht gesehen?! – Soweit die schlechte Nachricht. Und nun die gute: „Habemus Papam“ ist noch bis 19. April (also bis Sonntag) in der arte-Mediathek! Sie haben noch eine Chance! Der ultimative Filmtip fürs Wochenende!
Qua Amt unter Quarantäne
Die Welt steht unter Quarantäne? Seit 2.000 Jahren gibt es einen Mann, der qua Amt und per definitionem unter Quarantäne steht: der Papst. Ja gut, er darf, besser gesagt: er muss regelmäßig bei Riesenveranstaltungen auf allen sieben Kontinenten Kinder herzen und Nonnen tätscheln, aber das folgt einem strengen Drehbuch. Einfach mal so durch die Gassen schlendern, irgendwo einen Espresso trinken und blöd in die Gegend schauen: Das geht nicht. Im Grunde ist der Papst ein Gefangener des Vatikans. – Das ist eine Platitude? Die gern von Vatikankorrespondenten und anderen Papstfixierten bemüht wird, um billig Mitleid mit einem alten Mann zu erzeugen, der dieses Mitleid nicht verdient hat, weil er die Galionsfigur einer weltweiten Machtmaschinerie ist, die gehörig Dreck am Stecken hat? Wohl wahr.
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Und doch hat Nanni Moretti aus der Binse „der Papst als Gefangener des Vatikans“ einen ebenso turbulenten wie in sich ruhenden Film von intellektuellem Charme und psychologischem Tiefgang gemacht – psychologischer Tiefgang? Oh ja! Das wird schon allein durch das unfehlbare Urteil des allerkatholischsten „Lexikon des Internationalen Films“ beglaubigt, das „Habemus Papam“ attestiert, dass er „nicht in psychologische Tiefen vorstößt“.
Hat Seine Heiligkeit sowas wie psychologische Tiefen oder gar Untiefen?
Denn das ist auch schon akkurat der Kern des Problems. Hat Seine Heiligkeit sowas wie psychologische Tiefen oder gar Untiefen? Gibt es da überhaupt etwas zu ergründen? Beziehungsweise: Müsste man, um das herauszufinden, nicht einen Psychoanalytiker zu Rate ziehen? Indes: Verbietet sich das nicht von selbst und von vornherein? Nicht zuletzt deshalb, weil die Psychoanalyse eine jüdische Erfindung ist? Weil also, wenn man den Papst analysieren wollte, der Jude Zugang in die heiligsten Gemächer des Vatikans erhielte?
Jedoch, er ist schon drin im Vatikan, der Jude, in Gestalt von Professor Brezzi, dem besten Analytiker Roms (starring: Nanni Moretti himself). Die Una Sancta Catholica weiß sich nicht mehr anders zu helfen, denn der frisch erwählte Papst ist noch vor der Verkündung seiner Erwählung schreiend zusammengebrochen. Eine Milliarde Katholiken verwirrt und orientierungslos. Man versucht eine Crash-Therapie vor versammeltem Kardinalskollegium. Professor Brezzi zum Kardinalstaatssekretär: „Nun, ich gehe davon aus, dass ich ihn nichts fragen darf zu-“ – „Absolut nicht!“ Noch Fragen?
Keine Lust, der geistliche Zampano einer Milliarde Schäfchen zu sein
Das alles wäre nicht mehr als eine witzige Idee, ein Hirngespinst, hieße dieser zu analysierende, zu therapierende Papst nicht Michel Piccoli. Ja genau, der: Buñuel („Pesthauch des Dschungels“, 1956), Godard („Die Verachtung“ mit Brigitte Bardot, 1963) und, hundert Filme später, Leos Carax („Holy Motors“, 2012). Grandios, mit wie wenig Worten Michel Piccoli mit seinen 86 Jahren diesen Kardinal Melville auf die Leinwand bringt, der keine Lust hat, der geistliche Zampano einer Milliarde von Schäfchen zu sein. Jedes unwillkürliche Mundwinkelzucken, jedes verunsicherte Blinzeln dieses gottbegnadeten Michel Piccoli ist mehr wert als all die Versicherungen und Beglaubigungen und Beteuerungen der Popen und Popanze, die in feierlichem Singsang unumstößliche Gewißheiten verkünden. Denn das Leben ist keine Sicherheit. Es ist eher eine Unsicherheit. Eine Unsicherheit, die es auszuhalten gilt und die man nicht mit wohlfeilen Kalendersprüchen à la Anselm Grün, gern auch Bilgri, erdrosseln sollte.
Seit zweitausend Jahren phantasieren sich die Christen eine jüdische Anfechtung zusammen, eine Infragestellung christlicher Grundwahrheiten durch jüdische Sophistereien. Voilà: hier ist sie endlich, die jüdische Attacke. Wenn auch nur als Film, doch äußerst schauerlich anzusehen: Der Jude dringt ins Allerheiligste der alleinseligmachenden Kirche ein. Was heißt, er dringt ein – er wird gerufen, man bettelt darum, daß er kommt, er wird dringend gebraucht. Denn das weiß auch der konservativste Katholik: Wenn die Kirche mit ihrem Exorzistenlatein am Ende ist, braucht man eben doch den Juden mit seinen psychoanalytischen Teufelskünsten. Wenn’s ums Reparieren, ums Therapieren, ums Heilen geht, dann muß man letztlich doch den Gottesmörder ranlassen. Dieser Film stürzt die Mächtigen vom Thron, er stellt katholischste Gewissheiten in Frage, er verbreitet den Virus der Verunsicherung. Das treue Schaf, das so gern beruhigende Worte hören würde von Hinterholzer/Söder/Papst, es wird bitterlich enttäuscht und allein zurückgelassen.
Dieser Papst büxt aus…
Katholizismus heißt: seine Persönlichkeit an der Garderobe abgeben, aufgehen in der jubelnden Masse, die dem Papst zu Füßen liegt. Aber dieser Papst büxt aus. Er schlägt seinen Schäfchen ein Schnippchen. Irgendwann sitzt Michel Piccoli in der Straßenbahn und hält wie irgendsonstein verwirrter Alter Monologe. Ja genau: Wo ist eigentlich der Unterschied zwischen den Monologen desorientierter alter Männer oder auch Frauen in der U-Bahn und den Osteransprachen des Papstes? Wer sich diese Frage schon das eine oder andere Mal gestellt hat, der darf diesen Film nicht versäumen.
So ganz nebenbei gibt‘s auch noch beißende Kritik an den Medien in der Tradition von Fellinis “La dolce Vita”: Weißer Rauch aus dem Vatikan, ein neuer Papst ist gewählt! Doch der Balkon bleibt leer, er zeigt sich nicht, die ganze Welt starrt wie gebannt auf den Petersplatz. Ein Experte soll im Fernsehen die unerträgliche Situation erklären. Er sieht genau so aus, wie man sich einen Experten vorstellt: ernste Visage, von Vollbart umrahmt, seriöse, beruhigende Worte. Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber. Bis der Moderator zu seiner ultimativen Frage ansetzt: Und was bedeutet das jetzt alles für uns? – Ja, also, das bedeutet jetzt für uns. Das bedeutet für uns. Und plötzlich bricht der Experte in sich zusammen. Er stammelt, er schweigt, er senkt den Kopf. Es tut mir leid, sagt er, ich weiß auch nicht weiter. Und der Moderator beruhigt ihn: Nicht so schlimm.
Währenddessen stolpert Michel Piccoli durch Rom und blinzelt in die Sonne.
Piedro
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Danke für den Tip.
Mr. T.
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Wer sich Mediathek-Inhlalte wie diesen gerne herunterladen möchte so lange sie verfügbar sind, der/dem sei dieser Link empfohlen:
https://mediathekviewweb.de/#query=habemus%20papam
Hiermit lassen sich alle Mediatheken schön durchsuchen. Dann auf den Link für den Inhalt mit der rechten Maustaste klicken und mit “Speichern unter” auf die Festplatte konservieren.
Ich hoffe, ich finde inmitten der aktuellen Langeweile Zeit für diesen Film!
XYZ
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Der Papst erhebt seine Hände auf den leeren Petersplatz, Sakramente dass sich Brot und Wein leibhaftig umwandeln gibts nicht mehr, die Ostersonntags-Auferstehung verschwindet im Weltall – Zeit für eine Neuorientierung.
XYZ
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Die Katastrophe unserer Zeit ist doch: es herrscht Machtgewalt statt geistiger Autorität. Auf Dauer hat noch nie reine Kraft obsiegt, sondern nur überlegenes geistiges Sein – bestes Beispiel die jeweiligen Machthaber und die zitierte Psychoanalyse – davon hat die päpstliche Kurie wenig Ahnung, die ist ja jüdisch – von wegen: wenn man das NT näher nachliest wurden keine neuen Zeremonien eingesetzt, sondern menschliche Beispiele gesetzt
Der sterbende Gallier
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Schließe mich an.
Klasse Film.
Unvergessen aus “Das grosse Fressen”: Michel Piccoli hats immer noch drauf.
Markus Feilner
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Genau das sind so die Sachen, wofür ich gerne GEZ zahle. Ich lebe seit einigen Jahren ein weitgehend werbungsfreies Leben, und die Öffentlich-Rechtlichen Mediatheken, Youtube-dl et al haben da einen großen Anteil daran. Hat mein Leben verändert, nicht mehr den RTL/SAT1/PRO7-Müll mitzubekommen. Danke für diesen tollen Tipp.