“Klimaziel statt Lobbydeal”
Mit einem weithin sichtbaren Kreideschriftzug auf dem Neupfarrplatz meldete sich die Fridays for Future-Bewegung am Dienstag in Regensburg zurück.
Dienstag 17 Uhr auf dem Neupfarrplatz. Die Mundschutzmasken bereits im Anschlag sammeln sich auf den Stirnen der Wartenden vor einer Modeboutique die Schweißperlen. Über den Tassen auf den Tischen vor dem Café Alex steigt Dampf auf. Einige Menschen genießen die Sonne, andere stehen auf ihr Fahrrad gestützt da und beobachten, was da gerade passiert. Von alledem völlig unberührt schwingen etwa 50 Regensburgerinnen die Straßenkreide, fahren Striche nach und malen Blumen um einen weißen Bogen herum.
Es ist die erste Kundgebung von Fridays for Future (FFF) Regensburg seit langem. Nachdem Mitte März eine geplante Aktion im Vorfeld der Kommunalwahl coronabedingt abgesagt werden musste, verlagerte sich der Protest in den vergangenen Wochen ins Internet. „Wir nutzen die Zeit aktuell so gut es geht, um uns selbst weiter zu vernetzen, in den Austausch mit vielen anderen Menschen und Strukturen wie etwa Gewerkschaften zu treten und uns selbst über wichtige Klima- und Gesellschaftsthemen weiter zu bilden“, erklärte Ferdinand Klemm von FFF Regensburg Ende März. Auf dem bundesweiten Youtube-Kanal von FFF finden sich mittlerweile zahlreiche Beiträge und Diskussionsrunden mit Wissenschaftlerinnen und Künstlern. Am 24. April organisierte die Bewegung dann den ersten digitalen Klimaprotest mit einer Live-Übertragung vor dem Bundestag in Berlin, um auf die weiterhin bestehende Brisanz der Klimakrise aufmerksam zu machen.
“Auch die Klimakatastrophe ist ein Notstand”
„Nach der Krise ist vor der Krise“, stellt Rednerin Sophia Weigert dann auch am Dienstag auf dem Neupfarrplatz klar. „Wir wissen nun, was es bedeutet wenn der Staat durchgreift und ungeahnte Maßnahmen zum Schutz des Allgemeinwohls verordnet.“ Und es habe eben funktioniert. Dieses entschlossene Handeln fordert FFF daher nun auch bei der Klimakrise. Denn, so Weigert: „Auch die Klimakatastrophe ist ein Notstand.“
„Klimaziel statt Lobbydeal!“ So lautet der Slogan, den die 50 Teilnehmerinnen am Dienstagnachmittag mit Straßenkreide auf den Neupfarrplatz schreiben und künstlerisch gestalten. Ursprünglich war für diesen Tag ein Gipfel der Bundesregierung mit Vertretern der Automobilbranche angesetzt. Dieser wurde zwar kurzfristig verschoben, doch die Klimaschützer gehen dennoch in mehreren Städten auf die Straße. Sie sehen bei den aktuell geplanten Wirtschaftsförderungsmaßnahmen vor allem vertane Chancen.
Kritik an Datteln 4
„Die Bundesregierung plant milliardenschwere Soforthilfen für eine der klimaschädlichsten Branchen überhaupt – die Luftfahrtindustrie“, kritisiert Weigert und erhält viel Applaus auch von einigen Umstehenden. Die veranschlagten neun Milliarden Euro seien laut der Studentin in der Biolandwirtschaft oder der Gastronomie besser investiert. Doch anstatt ähnlich wie in Frankreich die Gelder an Bedingungen zu knüpfen, plane die Politik „ohne jegliche sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen. Vertane Chancen auch hier.“
Eine vertane Chance sieht man auch bei dem am 30. Mai in Betrieb genommenen neuen Kohlekraftwerk Datteln 4 bei Dortmund. „Die Kohle ist gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert und der Ausstieg bereits beschlossene Sache“, betont Micha, ein Mitglied von FFF. Mit einer Leistung von 1.100 Megawatt stellt Datteln 4 das größte Monoblock-Steinkohle-Kraftwerk in Europa dar. Bereits 2007 mit den Bauarbeiten begonnen, kam es in der Folge immer wieder zu Verzögerungen, da der Düsseldorfer Betreiber Uniper mehrfach mit Klagen konfrontiert wurde. 2009 etwa erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster den Bau sogar für illegal.
Weitere Klagen gegen den von Klimaschützern als „Schwarzbau“ bezeichneten Meiler laufen derzeit noch. Mit einer 2017 erteilten Sondererlaubnis zur Fertigstellung wurde nun am 30. Mai Block-4 des seit den 1960er Jahren bestehenden Kraftwerkes in Betrieb genommen, begleitet von zahlreichen Protesten.
Lob für neue Rathauskoalition
Erfreuter ist man bei FFF hingegen über den von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen geplanten “Green New Deal”. Dieser sieht vor, die EU als ersten Kontinent überhaupt bis 2050 klimaneutral zu bekommen. Dass Regensburg laut dem neuen Koalitionsvertrag sogar bereits 2035 emissionsfrei werden möchte, sieht man ebenfalls durchaus positiv, wie die Regensburger Klimaaktivisten in einer Presseerklärung zur Konstituierenden Sitzung des neuen Stadtrates wissen ließen.
Doch bisher habe sich „in den letzten eineinhalb Jahren so gut wie nichts geändert“, mahnt ein weiterer Redner am Dienstag an. Daher werde man auch künftig die politischen Entscheidungen aktiv begleiten und für eine klimafreundliche Wende einstehen.
Julian86
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Kommentar gelöscht. Beachten Sie bitte die Netiquette und nutzen Sie das Forum nicht ständig als Linkliste.
https://www.regensburg-digital.de/unsere-regeln-fuer-unser-forum/25022020/
XYZ
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Die sich wenn auch ferner abzeichnende Klima-Katastrophe wird ein weit grösserer Notstand werden, vor allem für ärmere Länder in heissen Regionen: hoffe nur dass alle was von Corona gelernt haben, das könnte dagegen nur ein Klacks gewesen sein – weiter so!
XYZ
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Zu Datteln 4 wäre aber noch konkret nachzufragen: geschätzt 3/5 des Stroms gehen an die Bahn, die einer der grössten Stromverbraucher ist und auf stets verlässlichen Strom mit Hochspannung angewiesen, die Speichertechnik kaum ausreichend, Wind- Wasser-und Solar-Anlagen wohl unzureichend: m.E. ein Notbehelf, immerhin ein modernes Kraftwerk mit neuester Filtertechnik und höherem Wirkungsgrad, das die alten Dreckschleudern Datteln 1-3 ablöst – Frage wäre also wohl eher: wurde in der Betriebsgenehmigung (bis wann?) ein etwaiger (vorzeitiger) Ausstieg vorgesehen, wenn bessere technische Voraussetzungen gegeben? Nebenbei: in dem mit Braunkohle betriebenen ehemaligen Kraftwerk des Bayernwerks in Wackersdorf wurde auch überwiegend Bahnstrom produziert, bis die Kohle ausging und dann die WAA verlustreich scheiterte . . .
highwayfloh
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@XYZ:
Sie vermengen hier ungerechterweise etwas:
Der Bahnstrom ist historisch und technisch bedingt unabhängig vom öffentlichen, allgemeinen Stromnetz. Wikipedia liefert hierzu – ausnahmsweise – mal seriöse Hintergrundinformationen.
Was die Energiewende an sich anbelangt, da sind wir eben in einem aktuellem Findungsprozess, wobei diesbezüglich natürlich die altbekannten “Platzhirschen” und deren Lobbyisten versuchen, sich das größte Stück vom “Restkuchen” zu sichern.