Klimavorbehalt im Stadtrat – peinlich, unpassend, unvollständig
Seit dem letzten Jahr steht jedes Vorhaben der Stadt Regensburg unter einem Klimavorbehalt. Die Auswirkungen aufs Klima werden geprüft und in einem Papier, das den Beschlussvorlagen beiliegt, dargestellt – als zusätzliche Information für den Stadtrat. Doch diese spärlich ausgefüllten Formblätter scheinen für einige Ämter nicht mehr zu sein als eine lästige Pflichtübung.
„Die Eindämmung der Klimakrise sehen wir als eine der dringlichsten Aufgaben der Politik auf allen Ebenen – wir stehen für Klimagerechtigkeit und bekennen uns zu der Verantwortung, die unserer Stadt in dem Zusammenhang zukommt. Alle relevanten Stadtratsvorlagen stehen deshalb unter Klimavorbehalt.“
So steht es im Koalitionsvertrag, den das Regierungsbündnis aus SPD, CSU, FDP, Freien Wählern und CSB im Mai 2020 unterschrieben hat.
Bereits 2019 hatte der Umweltausschuss diesen Klimavorbehalt einstimmig auf den Weg gebracht. Demnach sollten „alle künftig geplanten Maßnahmen und Projekte (…) konsequenter als bisher unter Klimavorbehalt gestellt werden“, genauer gesagt: „Die Auswirkungen auf das Klima werden überprüft und in allen relevanten Stadtratsvorlagen dargestellt.“
Klimavorbehalt: Angeordnet per Dienstanweisung
Im Januar 2021 ordnete Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer per Dienstanweisung (hier als PDF) an, dass sämtliche Stellen in der Stadtverwaltung über ein dreistufiges Prüfschema sicherstellen sollten, dass
- sämtliche Auswirkungen eines Beschlusses auf das Klima überprüft und dargestellt werden,
- der Beschluss drauf überprüft wird, ob er mit dem städtischen Leitbild Energie und Klima (hier als PDF) konform geht,
- die Zusammenfassung all dessen dem Stadtrat zur Beschlussfassung mit vorgelegt wird.
Seitdem liegt jeder Beschlussvorlage zusätzlich ein einseitiges Formblatt zum Klimavorbehalt bei, in dem diese drei Schritte abgearbeitet werden. Anhand der Ausführungen solle der Stadtrat einen Überblick zu den Überlegungen der jeweiligen Verwaltungsstellen bekommen, hieß es bei einer Diskussion im Umweltausschuss im April 2021.
Doch einen wirklichen Mehrwert für die Stadträtinnen und Stadträte bieten die, in der Regel mit einem Satz ausgefüllten Formblätter bislang nicht. Meist wirken sie wie eine lästige Pflichtübung, die damit erfüllt wurde, oft genug erscheinen die Ausführungen nicht nachvollziehbar und gelegentlich werden durchaus relevante Informationen schlicht weggelassen. Drei Beispiele.
Aus für Klima-Leitprojekt: „Keine direkten Auswirkungen auf das Klima“
Ende Oktober 2021 beschloss der Regensburger Stadtrat mehrheitlich, das geplante Fahrradverleihsystem aus Kostengründen zu beerdigen. Fazit des Stadtplanungsamtes im beiliegenden Klimavorbehalt: „Durch den Beschluss sind keine direkten Auswirkungen auf das Klima zu erwarten. Das Schutzgut Natur/Klima wird im Rahmen des weiteren Verfahrens untersucht.“ Die Vorgaben des Leitbilds Energie und Klima würden durch den Beschluss eingehalten (die Beschlussvorlage als PDF).
Dass in diesem Leitbild das Fahrradverleihsystem ausdrücklich als „Leitprojekt“ in Sachen Mobilität vorgesehen ist, lässt das Planungsamt sowohl in der Beschlussvorlage wie im flankierenden Klimavorbehalt unerwähnt. Grünen-Stadträtin Maria Simon bezeichnete diese Darstellung damals als „absolut unpassend“. Folgenlos.
Eine neue Tiefgarage: „Erfüllt das Leitbild teilweise“
Im November 2021 brachte der Stadtrat mehrheitlich eine Machbarkeitsstudie für eine Tiefgarage am Emmeramsplatz auf den Weg (die Beschlussvorlage als PDF). „Die geplante E-Ladefunktion in der Quartierstiefgarage von bis zu 100% der Stellplätze hat im Sinne eines reduzierten CO2 Ausstoßes positive Auswirkungen auf das Klima“, heißt es im Formblatt zum Klimavorbehalt vom Planungsamt. Darüber hinaus solle der entsprechende Planungswettbewerb für den Emmeramsplatz „einen hohen Anspruch an Klimaanpassung, Aufenthaltsqualität und Nachhaltigkeit haben“. Grundsätzliches Fazit der Verwaltungsfachleute: Zwar verursache die Verwendung von Beton einen hohen Ausstoß an CO2, allerdings werde bei der Betonage auch wieder CO2 aufgenommen – und: „Über die Lebensdauer und danach (Recycling) wandelt sich das Baumaterial über einen langen Zeitraum wieder in einen Kalkstein um.“
Damit erfülle der Beschluss in Richtung Tiefgarage die Ziele des Leitbilds Energie und Klima (das ausdrücklich „CO2-Vermeidung im Bausektor“ vorsieht) „teilweise“, heißt es abschließend. Benedikt Suttner (ÖDP) bezeichnete diese Ausführungen in der entsprechenden Sitzung als „ziemlich peinlich“.
Klimavorbehalt: Ein Projekt in der Evaluationsphase
Allerdings, das hatte das Umweltamt anlässlich der Einführung des Klimavorbehalts ausdrücklich eingeräumt, stehe dieses Instrument erst am Anfang. Manchmal entspreche die Beurteilung auch nicht „den Erwartungen eines/einer Einzelnen“, räumte der damalige Chef des Umweltamts, Rudolf Gruber, ein. Deshalb solle nach dem ersten Jahr die „Herangehensweise evaluiert und die Dienstanweisung gegebenenfalls optimiert“ werden.
Doch schon ohne Evaluation und Optimierung sollte eigentlich klar sein, dass dem Stadtrat im Rahmen des Klimavorbehalts alle relevanten Informationen vorgelegt werden. Es sei für die jeweiligen Fachämter „vor allem wichtig, sich mit dem Leitbild Energie und Klima auseinanderzusetzen und alle Punkte nach bestem Gewissen zu prüfen“, heißt es in der entsprechenden Dienstanweisung der OB. Sowohl die positiven wie auch die negativen Auswirkungen auf das Klima müssten dem Stadtrat dargestellt werden.
Bebauung von lokal wichtigen Ausgleichsraum: „Keine direkten Auswirkungen auf das Klima“
Beim Bebauungsplan für das Biotop an der Ecke Lilienthalstraße/Hermann-Köhl-Straße, der im Juli 2021 auf den Weg gebracht wurde (die Beschlussvorlage), ist das Stadtplanungsamt diesen Anforderungen allerdings nicht gerecht geworden. Wie mehrfach berichtet, laufen Naturschützer seit Monaten Sturm gegen die Bebauung. Die Mehrheit im Stadtrat hingegen erhofft sich von der Bebauung mit Wohnungen eine Verbesserung der bisherigen Situation – ein bestehendes, großflächiges Baurecht für Gewerbe. Bereits beim Grundsatzbeschluss 2016, der zunächst eine generelle Prüfung dazu vorsah, ob Wohnbebauung möglich ist, hatte es das Planungsreferat versäumt, den Stadtrat darüber zu informieren, dass es sich bei der Fläche um ein eingetragenes Biotop handelt.
Die Fläche ist für das Stadtklima auch abseits davon nicht unbedeutend. Sie wird explizit im Klimagutachten der Stadt Regensburg erwähnt, das 2014 vom Umwelt- und Rechtsamt vorgelegt wurde, um auf Basis einer fundierten Grundlage für eine Verbesserung des Klimas in der Stadt zu sorgen. Das Gutachten solle „Basisdaten für eine den Themen Klimaanpassung und Klimawandel angemessene Politik“ liefern, lautet die Zielsetzung.
Das kleine Wäldchen an der Lilienthalstraße wird in der Planungshinweiskarte, die dem Gutachten beiliegt, als „lokal wichtiger thermischer Ausgleichsraum mit bedeutender klimarelevanter Aktivität“ eingestuft. Ausdrücklich finden sich der Hinweis, dass man auf dem Areal „keine weitere Bebauung zulassen“ solle.
Im Aufstellungsbeschluss, mit dem vergangenen Juli der Bebauungsplan für das Areal auf den Weg gebracht wurde, ist davon keine Rede. Auch nicht im Klimavorbehalt-Formblatt,das das Planungsamt der Verwaltungsvorlage beigelegt hat. Im Gegenteil. Dort heißt es lediglich, dass durch den Beschluss „keine direkten Auswirkungen auf das Klima zu erwarten“ seien. „Das Schutzgut Natur/Klima wird im Rahmen des weiteren Verfahrens untersucht.“ Und dieser Untersuchung wird dann vermutlich erneut ein Klimavorbehalt-Blättchen beigelegt.
Tröster
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Das verwundert mich nicht. So wird es in vielen anderen Kommunen auch gehandhabt: Man beschließt schöne Leitbilder, hehre Ziele, und nette Konzepte. Papier ist schließlich geduldig und alles lässt sich über wohlklingende Pressemitteilungen gut “verkaufen”.
Wenn es dann aber zum Schwur kommt, wird weitergewurstelt wie bisher. Man will ja niemandem wehtun. PV-Anlagen sind o.k., Ladesäulen auch, ebenso Blühwiesen und Fair-Trade-Kaffee in städtischen Kantinen. Aber wenn’s ans Eingemachte geht – Stichwort Bauen, Autoverkehr, Parkplätze -, dann hört der Spaß auf. Dann heißt es schnell: zu teuer, nicht machbar, Technik noch nicht ausgereift, zu viel Gegenwind von interessierter Seite…
So wird das nichts mit der Energiewende und dem Kampf gegen den Klimawandel.
Solitär
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Wer mit Verharmlosern des Klimawandels, mit Vertreterinnen der Autolobby und mit Geschichtsrevisionisten ins Bett geht, darf sich nicht wundern, wenn dann auch sowas bei raus kommt.
Wobei ich bei der aktuellen SPD gar nicht weiß, ob sie nicht selbst unter ersteres fällt und damit eh zusammengewachsen ist, was zusammen gehört.
Daniela Camin-Heckl
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Jetzt sehe ich mich doch veranlasst, für die Mitarbeiter in der Verwaltung eine ‘Lanze zu brechen’.
Der Beschluss und die Dienstanweisung, sowie das Formblatt alleine genügt nicht, dass Mitarbeiter sogleich qualifizierte ökologische Aussagen zu jedem Projekt abgeben können.
Ich stelle mir das schwierig vor, wenn bislang zwar Planungen oder Projekte geprüft werden sollten, aber ggf. halt nur anhand von Statik, Massen und Maße, benötigte Materialien, Prüfen von Bilanzen, Angeboten usw. Jetzt aber wird abrupt verlangt, dass eben Buchhalter, Ingenieure des Bauwesens, Volkswirte usw. sich mit der Klimaneutralitat von Baustoffen, beim Abriss und beim Bauen selbst zu 100% auskennen.
Darf ich einmal nachfragen, wie viele Mitarbeiter der Stadtverwaltung tatsächlich qualifiziert zu diesem Thema in den letzten 2 Jahren fortgebildet wurden? Dabei dürften Wochenendlehrgänge oder interne 2-4 Std. Fortbildungen nicht genügen!
Ich denke, hier wird etwas qualifiziert abverlangt, ohne Berücksichtigung der Ressourcen bei den Mitarbeitern.
Falls ich irre, sei mir vergeben! Aber vor der Dienstanweisung hätte es der Evaluation bedarft, wie viele Mitarbeiter, diese Ressourcen bereits aufweisen.
Ich will hier wirklich keinen Mitarbeiter der Stadtverwaltung auf die Füße treten, im Gegenteil. Ich bin fest davon überzeugt, dass hier Mitarbeiter einfach per Dienstanweisung überfordert werden. Das Thema z. Bsp. Klimaneutralitat von Baustoffen, CO 2 Bindung und Abgabe in Bauholz ect. ist so umfassend, da studieren einige Jahre dafür.
Raimund Schoberer Bund Naturschutz
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@SgH Herr Aigner,
wenn ich die Legende zur “Planungshinweiskarte” des Klimagutachtens nicht völlig verkehrt lese, dann ist die Schraffur zur “Lilienthalstraße” = “keine weitere Bebauung zulassen”. Die Legende “keine weitere Bebauung wünschenswert” ist z.B. südlich der A3 in den blau hinterlegten Flächen einschlägig.
MfG Schoberer
Karim Belkacem
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Es ist einfach beschämend, wie die Stadtspitze inkl. Verwaltung ständig an der Stadtbevölkerung vorbei regiert.
Warum wird denn überhaupt ein Klimavorbehalt angefertigt, wenn es eh egal ist was drin steht, soll das etwa eine neue Beschäftigungstherapie für gelangweilte Verwaltungsangestellte sein?
Obelinchen
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Die Stadt Regensburg müsste sich halt entscheiden, nicht nur ein Formblatt zu kreieren sondern auch das Personal zur Überprüfung jedes einzelnen Stadtratsbeschlusses auf seine Klimaauswirkungen. Derzeit sieht es aber so aus, dass zur Kostenersparnis Stellen, die durch „natürliche Fluktuation“ frei werden, erst verzögert besetzt werden – manchmal aufgrund der erzwungenen Sparmaßnahmen (schließlich sind die relativen Personalkosten im Bayernvergleich zu hoch), manchmal weil ungeschickt ausgeschrieben wird und sich niemand bewirbt. Hierdurch gibt es in manchen Bereichen bereits Probleme, auch nur gesetzliche Pflichtaufgaben angemessen zu erfüllen. Eingehende, fachtechnische Beurteilungen der klimatischen Auswirkungen sind dann leider das gewisse Extra, das hinten runterfallen muss.
Hans L
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@Herr Aigner
@Raimund Schoberer
Ich lese das Klimagutachten genau so! (https://www.regensburg.de/leben/umwelt/energie-und-klima/klimagutachten)
Stefan Aigner
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Danke für den Hinweis. Wird sofort korrigiert.
Daniela Camin-Heckl
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@ Obelinchen,
Das wäre natürlich die ‘schlechteste’ aller Möglichkeiten. Es fehlt prinzipiell an Mitarbeitern, die das bewältigen sollen.