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„Verbotswidrig angebracht“

„Kleinlich“: Ordnungsamt erlässt Bußgeldbescheid wegen Gedenkplakaten für Terroropfer

Mit einer Plakataktion erinnerten im letzten Jahr mehrere, auch städtische Organisationen an Fatih Saraçoğlu. Der frühere Regensburger wurde bei dem rassistischen Terroranschlag in Hanau ermordet. Das Ordnungsamt verhängte wegen falsch gehängter Plakate einen Bußgeldbescheid. Dabei ist völlig unklar, wer sie aufgehängt hat.

Mit diesen Plakaten wurde vergangenes Jahr an den früheren Regensburger Fatih Saraçoğlu erinnert. Ein Opfer des rassistischen Terroranschlags von Hanau. Foto: bm

Rassisten und Rechtsextremisten waren sie offensichtlich ein Dorn im Auge – die Plakate, die im vergangenen März zum Gedenken an Fatih Saraçoğlu in Regensburg aufgehängt wurden. Als Kind von Gastarbeitern war Saraçoğlu zusammen mit seinem Bruder nach Regensburg gekommen. Vor einigen Jahren zog es ihn mit seiner Partnerin nach Hanau, wo er am 19. Februar 2019 als eines von neun Opfern von Tobias Rathjen ermordet wurde. Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus wollten mehrere Organisationen, darunter der IKS, der städtische Intergrationsbeirat und der a.a.a. (Arbeitskreis Ausländischer Arbeitnehmer_innen) an Saraçoğlu erinnern, der während seiner Kindheit einen Teil seiner Freizeit beim a.a.a. verbracht hatte. Motto: „Say their names“.

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Zerstörungswut und Nazi-Sticker

Es dauerte damals keine 48 Stunden, bis ein Großteil der Plakate von Unbekannten heruntergerissen und zerstört wurde. Auch eindeutig rechtsextreme Sticker wurden hinterlassen. Der a.a.a. stellte seinerzeit Strafanzeige gegen Unbekannt. Doch mangels konkreter Hinweise wurden die Ermittlungen nach einigen Wochen eingestellt.

Stattdessen muss sich der a.a.a. seit längerem mit einem Bußgeldbescheid gegen ein Vereinsmitglied herumschlagen. Zunächst 250 Euro verlangte das städtische Ordnungsamt wegen mehrerer „verbotswidrig angebrachter“ Plakate von dem jungen Mann. Nicht, weil belegt wäre, dass er diese Plakate angebracht hätte, sondern offenbar weil er anfänglich die Sondernutzung für die zweiwöchige Aktion bei der Stadt beantragt hatte.

Praktisch jeder hatte Zugriff auf die Plakate

Kurz nachdem diese im vergangenen Jahr heruntergerissen wurden, griff Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer die Zerstörung der Plakate in einer Rede während der städtischen Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März 2021 auf dem Neupfarrplatz auf – als Beleg dafür, dass Rassismus noch immer „ein gesellschaftliches Problem“ in Deutschland sei.

Mehrere Anwesende holen sich daraufhin neue Plakate, auf die während der Kundgebung praktisch jeder Zugriff hat, und hängen sie wieder auf. Wer das aber im Einzelfall war, könne niemand nachvollziehen, sagt Michael Waffler.

Er ist Vorstand beim a.a.a. und bezeichnet das Vorgehen der Stadt als „kleinlich“. Nicht nur sei die Gedenkaktion im Detail vorab mit allen zuständigen Ämtern besprochen, geplant und genehmigt worden. Auch habe man alle Plakate nach Ablauf des Aktionszeitraums restlos entfernt. „Hinzu kommt, dass trotz der dahingehenden Absprachen mit der Abteilung Sondernutzung der Stadtkämmerei und der dort hinterlegten Kontaktdaten zu keinem Zeitpunkt während der Kunstaktion beteiligte Personen über eine vermeintliche Fehlanbringung informiert wurden.“ Soll heißen: Hätte man bei dem Verein mal angerufen, hätte dieser umgehend gehandelt. Doch das geschah nicht. Stattdessen kam irgendwann der Bußgeldbescheid.

Nach Einspruch: Stadt reduziert Bußgeld

Als „skandalös“ bezeichnet es Waffler, „dass es nun die Initiatorinnen sind, welche sich mit Vorwürfen konfrontiert sehen“, während die „rassistische Beschädigung von Gedenkplakaten bereits nach wenigen Wochen eingestellt wurde“. Das sei ein „Schlag ins Gesicht“, auch für die Opfer von rassistischer Gewalt. „Hier werden institutionelle und strukturelle Ebenen des rassistischen Allgemeinzustandes deutlich.“

Gegen den Bescheid legte der Verein im Sommer 2021 umgehend Einspruch ein. Man führt zudem an, dass einige monierte Plakate, die am Geländer rund um die Neupfarrkirche angebracht wurden, zuvor mit dem Pfarrer der Kirche abgesprochen wurden, die Stadt hier also gar nicht zuständig sei. Die Verwaltung bessert nach und reduziert daraufhin das Bußgeld auf 150 Euro.

Verein sieht keinerlei Rechtsgrundlage für ein Bußgeld

Der a.a.a. holte sich juristischen Rat und geht mittlerweile davon aus, dass es keinerlei rechtliche Grundlage für dieses Ordnungswidrigkeitsverfahren gibt. Wenn nicht klar sei, wer die Plakate aufgehängt habe, könne dafür nicht der jetzt Beschuldigte in Haft genommen werden, nur weil er eine zwei Wochen laufende und breit getragene Aktion angemeldet habe, so Waffler. Viel grundlegender stört den Verein aber, „dass gesellschaftspolitisches Engagement derart angegriffen wird“. Das wolle man nicht hinnehmen und das Bußgeld daher nicht begleichen.

Gegenüber unserer Redaktion erklärt Waffler, dass es schon im Vorfeld schwierig war, die Gedenkaktion überhaupt genehmigt zu bekommen. „Die wollten uns zuerst komplett aus der Altstadt heraus haben.“ Waffler betont dabei, dass die Aktion ja keine Plakatwerbung gewesen sei. Die sei innerhalb des Weltkulturerbes prinzipiell nicht zulässig, habe das Amt damals erklärt. Vielmehr habe es sich um eine von zahlreichen städtischen Institutionen getragenen Veranstaltung gehandelt, die in die Internationalen Wochen gegen Rassismus eingebettet war.

Dennoch musste der Verein erst einmal Unterstützungsunterschriften sammeln. Auch an die OB hatte man sich damals gewendet. Schließlich gab das Ordnungsamt grünes Licht. Allerdings nur für vorher genau abgeklärte Stellen. Neun Plätze waren es am Neupfarrplatz und vier in der Drei-Mohren-Straße.

Wer die Plakate „verbotswidrig angebracht“ hat, weiß niemand

Laut dem Ordnungswidrigkeitsbescheid, der unserer Redaktion vorliegt, hat ein Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes am von der Stadt geltend gemachten Kontrolltag am Neupfarrplatz insgesamt 29 Plakate festgestellt – 21 davon an nicht genehmigten Orten. In der Drei-Mohren-Straße führt der Bescheid 13 der 17 Plakate als „verbotswidrig angebracht“ auf. Doch wer das war, weiß auch das Ordnungsamt nicht. Man scheint den Bescheid also ohne irgendwelche Beweise verhängt zu haben.

Eine Stellungnahme der Stadt Regensburg zu dem Thema steht bislang noch aus.

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Kommentare (10)

  • Susanne

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    Die Aktion war sehr gut, es wurde sehr “plakativ” an eine furchtbare rassistische Tat erinnert. Es ist – wie im Artikel beschrieben – nicht nur kleinlich, sondern mehr als peinlich…

  • KW

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    Der oder die BeamtIn die das durchgezogen hat gehört sonstwohin geschickt, schlimmer jedoch die OBin die, Kraft ihres Amtes, nicht dafür gesorgt hat, dass solch ein Bescheid, verbunden mit einer Entschuldigung, zurückgenommen wird.
    Zum Kotzen.

  • Daniela

    |

    Regensburg, Fahnerl im Wind?

    Taugt’s der OB in einer Rede als Beweis, was gesellschaftlich im Argen liegt, ist’s momentan recht.
    Taugt’s danach, dass die Stadtverwaltung ein Bußgeld verhängen kann, ist’s halt auch wieder recht.

    Furchtbar diese Haltung! Da könnt die OB schon einmal aus der Deckung kommen und was dazu sagen. War die Erinnerungskultur an einem falschen Ort, upps?! Keiner weiß, wie es an diese ” falschen Orte” kam. Ja, wen wollts ihr dann bestrafen?

  • Luck

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    Mit ihrer Rede hat die OB ein grundsätzliches Einverständnis ihrer Verwaltung mit allen illustrierten Kunstmitteln, konkretisiert mittels der aufgestellten Plakate, gegeben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass von den herunter gerissenen Plakaten einige an nichgenehmigten Orten angebracht waren. Die Rede kann aber als eindeutige Willenserklärung für alle Plakate interpretiert werden.
    Nun kann es sein, dass ein Beantragender (nicht gegendert) für die ordnungsgemäße Ausführung einer Aktion verantwortlich ist und somit eine persönliche Überwachungspflicht hat. Diese ist dabei aber relativ zu seinen zeitlichen und organisatorischen Möglichkeiten zu bewerten. In dieser Hinsicht hätte er diese anscheinend nicht erfüllt.
    Wenn nun die Verwaltung einen Kontrolltag anberaumt, dann sollte die in deren Augen verantwortliche Person auch davon unterrichtet sein und nach Möglichkeit auch anwesend.
    Dann hätte vieles unmittelbar auf dem kleinen Dienstweg abgeklärt und entsprechend geändert werden können.
    Wenn dies administrativ grundsätzlich nicht so geregelt ist, dann stellt dies in meinen Augen eine Vergeudung verwaltungstechnischer Ressourcen dar und deutet auf eine personale Überbesetzung hin. Wenn aber andererseits andere Aufgaben unerfüllt bleiben, sind die Ressourcen falsch organistert.
    Die ausführende Person samt Vorgesetzten sind dann zur Verantwortung zu ziehen.
    Die Nichtzuständigkeit bei den monierten Plakaten am Geländer um die Neupfarrkirche sollte bereits die Verwaltung zum Nachdenken angeregt und zu entsprechenden Konsequenzen geführt haben.

    Sparsame Haushaltsführung sieht jedenfalls anders aus und effiziente Organisation ebenso.

    Wenn alle Macht vom Volk ausgeht, dann hat dieses Volk anscheinend einen an der Klatsche.

  • Superstructure

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    Ja, ja, die Regensburger Stadtverwaltung. Soweit ich weiß, ist deren Chefin die Oberbürger*innenmeisterin…….zumindest auf dem Papier.

  • Michel

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    Da fehlen einem die Worte und es gibt nur noch ein Emoji dafür. Runder gelber Kreis mit grünem Auswurf

  • Gscheidhaferl

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    Gibt es nicht ein (freiwilliges) Ãœbereinkommen in Pressekreisen, wonach Täter nicht unnötig namentlich genannt werden sollen, um sie für ihre Verbrechen nicht noch mit Publicity zu ‘belohnen’ bzw. um zu verhindern, dass demgegenüber die Opfer zu sehr in den Hintergrund gefrängt werden?

  • Gscheidhaferl

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    Ansonsten aber natürlich höchst interessant, an welchen Stellen die Verwaltung offenbar Eigeninitiative entwickelt und wo nicht. Ziemlich beschämend irgendwie.

  • Michael Bothner

    |

    Sie haben recht, dass viele Medien entsprechend Ihres Kommentares verfahren und der volle Name solcher Täter nicht genannt wird. Und ja, die Attentäter der letzten Jahre, “angefangen” von Anders Breivik 2011 der übrigens stets ausgeschrieben wird, haben oftmals die Öffentlichkeit geradezu gesucht und ihre Taten durch “Manifeste” und Videos begleitet. Soll man ihnen also die geforderte Publicity geben?

    Es gibt mittlerweile Überlegungen ob durch eine Nennung des kompletten Namens einer Glorifizierung und Erhöhung vielleicht sogar entgegnet werden kann. Hierzu folgender Kommentar im Tagesspiegel https://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremer-terror-warum-die-namen-der-taeter-genannt-werden-sollten/26039978.html

    Es ist eine schwierige Frage, die für mich nicht abschließend und einfach zu beantworten ist und mit der ich mich immer wieder beschäftige. Im Artikel zur Gedenkkundgebung am 19. Februar 2021 habe ich mich gegen die volle Nennung entschieden. Für diesen Artikel nun fand ich es legitim, da meiner Ansicht nach keine Gefahr bestand das Opfer in den Hintergrund zu rücken. Dies kann sicherlich auch anders bewertet werden.

  • Gscheidhaferl

    |

    @Michael Bothner
    Vielen Dank für die ausführliche Rückmeldung!

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