Kein Scherz: Vor Regensburgs Luxusklo stehen ab sofort acht bunte Stühle
Über ein Jahr suchte die Stadt Regensburg nach Ersatz für die abgeschraubte Bank beim mondänen Toilettengebäude am Schwanenplatz. Nun ist er da. Eine Hommage.
Wie zufällig über die Fläche verstreut, mal einander ab-, mal zugewandt, wirken sie in ihrer lockeren Anordnung wie eine Einladung zur Auseinandersetzung mit Raum, Funktion und Identität. Man möchte sofort Platz nehmen auf den subtil gekurvten, farblich individuell gestalteten Sitzflächen, die in der Kombination aus kalt schimmernder, feuerverzinkter Stahlrohrkonstruktion (Meterpreis ab Werk: ca. 4,60 Euro) und den durchgefärbten, mehrlagigen, zwölf Millimeter starken Hochdrucklaminatplatten (Materialpreis: ca. 180 Euro pro Quadratmeter) futuristisch als auch zeitlos erscheinen.
Lässig im Pflaster verschraubt sind dies weit mehr als nur Sitzmöbel, sondern auch Sinnbild einer neuen Art von Designphilosophie, die Natur, Funktion und Ästhetik miteinander verbindet und in seiner surrealen Mischung aus moderner Architektur und utopischer Stadtplanung die Frage nach der Intention aufwirft. Ist es ein Symbol für urbane Isolation? Ein Aufruf, die Perspektive zu wechseln? Oder doch nur eine pragmatische Lösung bei der Suche der Regensburger Stadtverwaltung nach einem Möbelstück, dem ein „möglichst geringer Aufforderungscharakter zum dauerhaften Verweilen bzw. Nächtigen“ innewohnt?
In Kiel ist man fündig geworden
Fest steht: Eineinviertel Jahr nach Entfernung der Obdachlose und Taubenfütterer anziehende Bank vom „Luxusklo“ am Schwanenplatz, nach diversen nächtlichen Guerillaaktionen, bei denen unerwünschter und polizeiliche Fahndungsmaßnahmen auslösender Ersatz in dem Unterstellhäuschen angebracht wurde, gibt es seit dem heutigen Freitag nun neue Sitzmöbel.
Auf acht Stühle in unterschiedlichen Farben ist die Wahl der Stadt Regensburg gefallen. Augenscheinlich handelt es sich dabei um Exemplare des „Plateau StadtSitz“, in welche die Stadt Regensburg inklusive Montage 8.000 Euro investiert hat. Hersteller ist die Eisen-Jäger Kiel GmbH, besser bekannt unter dem Namen UNION – FreiraumMobiliar, welches die Stadt Regensburg im hohen Norden der Republik ausfindig gemacht hat, um eine Lösung zu finden, die allen Bedürfnissen einer Welterbestadt genügt.
Miesmacher gibt es immer
Es muss die Stadt Regensburg dabei nicht stören, dass Miesmacher gibt, wie Grünen-Fraktionschef Daniel Gaittet. Der lässt sich trotz der schönen bunten Stühle „nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei dieser Maßnahme um die Verdrängung von Menschen geht“. Der kritisiert, dass die „von CSU und SPD geführte Verwaltung“ an dieser Stelle „Menschlichkeit und Haltung vermissen lässt“. Und der vertritt die Ansicht, dass man doch die Bank einfach wieder hinschrauben hätte sollen und dass der Preis von 1.000 Euro pro Stuhl „dem Fass den Boden ausschlägt“.
Über all dies kann die Stadt aber getrost hinwegsehen. Schließlich sind diese ikonischen Möbelstücke, die zugleich urbane Sehnsucht und erhabene Isolation der Höhen zelebrieren und Graffiti keine Chance geben, im Vergleich zu dem 900.000 Euro teure Klohäuschen, vor dem sie stehen, ein echtes Schnäppchen.
Trackback von deiner Website.
Daniel Gaittet
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Und dann im Rathaus wieder rumheulen, wenn quer vom BR vorbeikommt. Genau mein Humor.
B.F.
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8.000 € Zusatzkosten für die Menschenfeindlichkeit der Stadt Regensburg
Daniela
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Über Geschmack lässt sich ja, bekanntlich, trefflich (nicht) streiten (diskutieren).
Aber zumindest der Preis ist phänomenal, unglaublich, spektakulär…
Vielleicht fehlt mir auch nur der innovative Durchblick.
Herbert
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Da fehlen aber noch ein paar Tische für die Leberkäsbrotzeit, eine Biotonne, Restmülltonne usw .
Dieter
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“Defensive Architektur” mal in stylish und teuer.
Das passt zum Zynismus des Kapitalismus und somit zu einer Boomtown und ihren neoliberalen Verwalter
Mittlerweile wird Platz für Obdachlose in der Altstadt knapp, die meisten Banken sperren seit der Pandemie nachts ihre Filialen komplett ab, d.h. man kommt auch nicht mehr an die Automaten um Geld abzuheben. Hauptsache niemand schläft drin.
Wenn ich mir diese neuen Stühle anschaue, lange werden die es sowie nicht machen.
Jonas Wiehr
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Die “zufällige” Anordnung ist bemerkenswert.
P.S.: Ich mag, dass es jetzt Like- und Dislike-Buttons gibt!
Korrektur-Funktion – großes Like!
Wuzzi
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Wie kann man den berühmten “Schimpfermann-Bau” mit dieser Möblierung nur soooo verunstalten.
J.B.
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Diese Stühle ziehen Vandalismus an wie Motten das Licht.
Mal schauen ob sie die Neujahrsnacht erleben.
Dann kommen die nächsten Tausender zum Einsatz.
Karl Straube
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Leider sind die Blauen Beckensteine mit “Duft nach Ocean” zur Zeit nicht lieferbar. Deren Verwendung würde den optischen und taktilen Genuss der Bestuhlung als Eventraum um einen olfaktorischen ergänzen, da sich der Duft über die ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten hinaus verbreitet. Liebe Mitleser: nicht Vergangenem (der Bank) nachtrauern sondern konstruktiv – forward-looking – mitdenken!
Alfons
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Die Stadt ist menschenfeindlich, weil Obdachlose nicht mehr auf einer Bushaltestellenbank schlafen können? Dann drehen wir das mal um. Wenn die Stadt viele Bänke in überdachten Bereichen aufstellt, können viele Obdachlose darauf schlafen. Folglich wäre die Stadt dann menschenfreundlich.
Ganz schön schräg die Thematik der Obdachlosigkeit an Bushaltestellenbänken fest zu machen. Grundsätzlich gehts doch um Sitzmöglichkeiten an ner Bushaltestelle und die sind nun wieder vorhanden.