Kein Kaffee in Regensburg
Wir laden ein zu einem Trip in die Vergangenheit und stellen drei Orte in der Regensburger Altstadt vor, an denen man keinen Kaffee trinken kann. Undenkbar? Von wegen!
Oh Regensburg, du Perle der Donau, die du endlich aus dem ärmlichen Schatten dieser süddeutschen Quasi-Favelas getreten bist, deren Immobilien für einen Quadratmeterpreis unter 3.000 Euro verschleudert werden müssen! Früher musste man sich fast schämen, ein Regensburger Hausbesitzer zu sein, heute kann man sich den willkommenen Neid seiner Mitmenschen sichern, wenn man hier einen eigenen Parkplatz hat.
Das Adler-Haus ist nur noch Alibi-Schandfleck
Rausgeputzt hast du dich, deine dunklen Ecken sind verspachtelt, gemalert, subtil ausgeleuchtet und werden von schönen, gutgekleideten Menschen durchwandelt, so dass das Adler-Haus in der Thundorferstraße mittlerweile nur noch als besichtigungswürdiger Alibi-Schandfleck dient, ähnlich den romantischen künstlichen Ruinen englischer Aristokratengärten. Im Gegenzug nimmt die Anzahl der Regensburger, die man vor einer Einladung bei der Fürstin zu einer Messer-und-Gabel-Schulung schicken muss, von Jahr zu Jahr ab.
Das mittelalterliche Erbe wird allerorten gepflegt, sei es durch feudales Bauen, sei es durch ein lebhaftes Gedenken an die Kreuzfahrer, deren Kreuzfahrtschiffe heute wieder eine unerschöpfliche Rollatoren-Kavallerie an Land werfen, um die Ungläubigen zu peinigen und, wenn nötig, deren Blut durch die Gassen fließen zu lassen. Und kosmopolitisch bist du geworden, Regensburg! Kaum ein Spur von Provinz mehr! Die Brezen, die man in deinen Bäckereien kaufen kann, könnte man in dieser Qualität jederzeit auch in Bogota, Kuala Lumpur oder Wladiwostok bekommen, und die Innenstädte sind bereinigt von regionalen, das weitgereiste Besucherauge verwirrenden Geschäften, sondern erfreuen durch bedienerfreundliche, weltweit nach denselben Maßstäben dekorierten Auslagen der gleichen Geschäfte derselben Ladenketten. Die Weltkulturerbschaftssteuer dürfte mal ein hübsches Sümmchen ergeben.
Die Besonderheit ist der Drop-out-Store
Aber obwohl kaum eine Entwicklung eine derart ungeteilte Begeisterung verzeichnet wie diese Regensburgerische, so gibt es doch hin und wieder Stimmen, die eine steigende Uniformität als negative Entwicklung brandmarken, in völliger Ignoranz der Tatsache, dass das Besondere ja wohl kaum an jedem Eck anzutreffen sein darf, ohne ebendieses Merkmal des Besonderen zu verlieren. Ein einzelner Übergewichtiger, der die Titelmelodie vom weißen Hai rülpsen kann, ist eine Attraktion, zwanzig von der Sorte sind ein CSU-Ortsverein. Möglicherweise hat Regensburg ja verloren, wie ja jeder Wandel mit Verlust verbunden ist, aber mein Gott, dass es heutzutage zum Beispiel den Beruf des Ameislers nicht mehr gibt, dass ist doch wohl zu verschmerzen – aber ich schweife ab.
Der springende Punkt ist natürlich, dass Regensburg großartige Neuerungen wie die vielen tollen Pop-up-Stores zu verzeichnen hat, dass aber erst das Gegenteil des Pop-up-Stores eine Regensburger Besonderheit darstellt: nämlich der geschlossene Laden, der sogenannte Drop-out-Store. Wenn man in hundert Metern Umkreis seiner Wohnung einen Ukuleleladen, einen Sari-Shop, einen Tischtennisausrüster und einen Mozartkugelspezialisten findet, dann trägt das nur zu einer Geringschätzung des Besonderen bei. Mittlerweile allerdings hat Regensburg wieder Raum geschaffen, das Besondere zu suchen und möglicherweise sogar zu finden. Weil die Drop-out-Stores so florieren. Das schafft Raum für Geheimtipps.
Lonely Planet Regensburg.
Regensburg abseits der ausgetretenen Pfade.
Orte, die keiner kennt.
Verborgenes Regensburg.
DIE Möglichkeit für Einheimische Eingeweihte, mit ihrem Insiderwissen aufzutrumpfen.
Ein Buch sollte man darüber schreiben! Mindestens aber eine Reihe, zu veröffentlichen in einem kulturell maßgeblichen Regensburger Medium. Und los geht‘s.
Als Ausweichstandort für Starbucks ist Wenzenbach im Gespräch
Beginnen wir mit einem echten Trip in die Vergangenheit, einem Ausflug ins Unbekannte, ins nahezu Undenkbare: im Folgenden werden drei Orte in der Regensburger Altstadt vorgestellt, an denen man keinen Kaffee trinken kann. Nicht mal einen Espresso. Nicht mal durch die Kapsel gedrückt. Nicht mal durch den Filter gebrüht. Null Kaffee whatsoever. Sie sagen, das geht nicht? Warten Sie ab und vertrauen Sie uns.
Was in Regensburg vor gut 300 Jahren mit dem Café Prinzess begann, hat mittlerweile eine Blüte von der Pracht eines Riesen-Bärenklau erreicht. Starbucks hat nur deshalb hier noch keine Filiale, weil es keinen Platz mehr gibt. Als Ausweichstandort ist Wenzenbach im Gespräch. Und nachdem der Priestermangel weiter grassiert und nicht jeder Kandidat ein Asket vom Schlage eines Kardinal Müller ist, hat man auch in dieser Beziehung nachgerüstet: mittlerweile steht in jeder mittelgroßen Sakristei ein zweigruppige Espressomaschine, eingedenk der Tatsache, dass alle Wege nach Rom führen und man dort wenig Kamillentee trinkt. Doch wohin nun, um keinen Kaffee zu trinken? Natürlich gibt es in Regensburg mehr als die im Folgenden erwähnten drei Orte (beim internen Durchzählen kamen wir ohne Probleme auf fünf bis sieben), aber es spielen zugegebenermaßen auch hier subjektive Empfindungen eine Rolle.
Die Wurstbraterei Reisinger ist wie ein Pandabär
Meinen persönlichen und tatsächlich eher privaten Liebling setze ich hier gleich an die erste Stelle:Am Liebsten trinke ich keinen Kaffee bei Lederwaren Umsonst in der Wahlenstraße. Für mich persönlich ist ein schönerer Ort kaum vorstellbar, um keinen Kaffee zu trinken. Der ganze Laden wirkt mit seiner recht vorgestrigen Einrichtung etwas aus der Zeit gefallen, aber das ist halt etwas Besonderes. Mittlerweile, wie gesagt. Die Leute, die da arbeiten, verstehen tatsächlich eine Menge von Koffern und Taschen und erzählen einem das nur, wenn man das will. Nebenbei wollen sie einem nicht auch noch eine Versicherung verkaufen. Oder einen Kaffee. Das kann sehr angenehm sein. Bestimmt gibt‘s da auch keinen Prosecco, aber das habe ich noch nicht ausprobiert. Ich gehe gerne rein, trinke keinen Kaffee, und gehe dann irgendwann wieder ganz entspannt nach Hause; hin und wieder mit einem Köfferchen in der Hand, das fröhlich hin und her schaukelt. Ich hoffe von Herzen, dass sie ihr Konzept noch sehr lange so beibehalten.
Ein zweiter, kaum minder großartiger Ort, um keinen Kaffee zu trinken, ist die Wurstbraterei vom Reisinger am Neupfarrplatz. Die Radikalität des Reisinger-Konzeptes raubt mir jedes Mal wieder den Atem, wenn ich dort vorbeikomme – seit Jahren gibt es dort nicht nur keinen Kaffee zu trinken, nein, mehr noch: es gibt dort auch keinen Burger zu essen! Eine derartige Kompromisslosigkeit nötigt Respekt ab, auch wenn das Modell kaum zur Nachahmung empfohlen werden kann. Das mag in der Nische funktionieren, und auch da nur bedingt, das sollte man nicht nachmachen wollen. Diese Bude ist wie ein Pandabär; nicht mehr als eine hübsche Laune der Natur, wo aber in der Regel das Überleben der Art weniger flauschig vonstatten geht. Also: Die Wurstbraterei Reisinger ist natürlich nur eine Bude, die zwar kompetent und liebevoll geführt wird, aber eher nicht zum langen Verweilen einlädt. Wer jedoch nicht viel Zeit hat und bei frischer Luft in schöner Umgebung kurz innehalten und keinen Kaffee trinken mag, dem sei dieser Ort wärmstens ans Herz gelegt.
Keinen Kaffee trinken sollte man nur zu besonderen Anlässen
Und der dritte Ort? Ehrlich gesagt beißt es jetzt ein wenig aus. Dramaturgisch gesehen sollte jetzt natürlich der beste der drei versprochenen Orte kommen, aber das wird schwierig. Einige der in Frage kommenden Orte verkaufen nur deshalb keinen Kaffee, weil sie zwangsgeräumt wurden (siehe Drop-out-Store), und auch, wenn sich in den stromlosen Hüllen der ehemaligen Restaurationen immer wieder Menschen treffen, um bei Kerzenschein keinen Kaffee zu trinken, so ist dieses Hausbesetzer-Ambiente auch nicht für jedermann etwas. Andere Lokationen trinken keinen Kaffee, weil sie ihn zu den anregenden Getränken zählen und durch den Konsum in eine religiöse Bredouille kommen könnten. Das mag man respektieren oder auch nicht, aber die Sorge um das eigene Seelenheil sollte meiner Meinung nach nicht entscheidend sein bei der Suche nach keinem Kaffee.
Keinen Kaffee zu trinken sollte man nur machen, wenn einem danach ist. Wenn man mal was Besonderes haben will. So wie Arte schauen. Oder nur die roten Gummibärchen aus der Packung essen. Keinen Kaffee trinken, das ist was für Sonntag oder Kommunion oder den bestandenen Führerschein. Und es ist gut zu wissen, dass man in Regensburg die Möglichkeit dazu hat. Auch wenn man sich möglicherweise ein wenig bemühen muss. Aber das ist am Ende doch das Schöne dabei.
Hartnäckig
| #
eine herrlich geschriebene Kolumne.
Und der Autor schreibt nicht, was er uns eigentlich zwischen den Zeilen sagt: Wir Verbraucher haben mit unserem Konsumverhalten einen mehr oder minder großen Dachschaden !
Ohne uns würde es ja diese Fehlentwicklungen nicht geben !
Mr. T
| #
Hervorragend! Jetzt weiß ich endlich, wo ich mal keinen Kaffee trinken kann. Ich gönn mir den Luxus ja mehr als nur ab und zu.
Aber das schöne touristifizierte Regensburg so schlecht zu machen …
El
| #
Lederwaren Umsonst ist auch mein Lieblings-Nicht-Cafe.
Ansonsten Danke für die Info, dass auch die Sakristeien inzwischen Kaffee ausgeben. Das sollte doch wahrlich publiker werden – dannn hauen vielleicht die Touristenschwärme mal für länger ab in die Kirchen.
Da könnte man dann zusperren, sobald sie drinnen sind. Und a Rua wad!
Das könnte man als Life-Folterkammer-Event verkaufen oder sowas .
Ach ja dieses Regensburg bietet MÖglichkeiten ohne Ende ….- man muss nur noch ein bisschen mehr schöpfen und schröpfen !
Falls sie gute Connections zu den Kirchen haben, könnten Sie ja auch noch anregen, die Beichtstühle mit Espressomaschinen zu bestücken ….oder mit Cola-Light-Kisten. Dann sind noch mehr Touristen in der Mausefalle.
Dürfen die Starbucketleute jetzt nicht am Arnulfsplatz ihre Zelte aufschlagen – oh wie Schade !! Der elitärste Kaffeegenuß ever ….
Danke für Ihre schreckliche Beschreibung einer schrecklichen Entwicklung.
Ich habe schrecklich gelacht
Tobi Becq
| #
Die Krux mit diesem Regensburger Adler Hochhaus ( Ich hielt es immer für das sog. Lutherhaus, andere haben es auch Keplerhaus genannt? ) ist, wie bei jedem Regensburger Hochhaus, von den Königswiesener Türmen bis zum Hochhaus beim alten Jahnstadium, dass der Blick darauf zwar jeweils hässlich sein mag, wenn man aber erst mal oben ist, entlohnt einen dafür der Blick hinunter doppelt. Da drinnen riecht es dann zwar nicht nach lecker Hipster Kaffeerösterei, sondern nach Curryketchup, Käsesocken und mangelnder sanitärer Hygiene, sprich es stinkt nach Studentenwohnheim, aber dafür gibt es oben einen umlaufenden Balkon mit frischer Luft und lecker Handyantennenstrahlung. Es wird einem also bei einem zu langem Aufenthalt trotzdem die Bohne geröstet.
https://www.flickr.com/photos/tobi_becq/21041952800/in/dateposted-public/
https://www.flickr.com/photos/tobi_becq/27828256751/in/dateposted-public/
Mr. T
| #
Ist das Alderhaus nicht die Brandruine in der Thundorfer?
Stefan Aigner
| #
@Mr T. Ja. Das ist nur ein Symbolfoto.