Hilfeschreie aus der Forensik
Laute Hilfeschreie. Solche hört man im Hintergrund eines Telefonats mit einer Insassin der Forensik in Taufkirchen. Was war da los? Wir veröffentlichen hier die Aufnahme des Telefonats, zusammen mit einer unvollständigen Stellungnahme des Klinikums. Heute war Gustl Mollath zusammen mit zwei Begleitern in Taufkirchen, um sich ein Bild von der Situation dort zu machen.
Das Tonband hört sich schockierend an. Eigentlich wollte Martin Heidingsfelder mit einer Insassin der Frauenforensik in Taufkirchen telefonieren. Dort sind rund 160 psychisch kranke Straftäterinnen im Maßregelvollzug untergebracht. Die Frau, Sema A., hatte den Nürnberger kontaktiert, weil sie hoffte, dass er ihr ein Gespräch mit Gustl Mollath vermitteln könnte. Der Inhalt des Telefonats tritt allerdings beim Anhören der hier veröffentlichten Aufnahme phasenweise komplett in den Hintergrund.
Aufnahme: Telefonat Martin Heidingsfelder und Sema A. am 7.12.2013
Manchmal sind die beiden kaum zu verstehen. Stattdessen hört man im Hintergrund permanent laute Schreie einer anderen Frau. Die knapp zehnminütige Aufnahme ist davon lediglich ein kleiner Ausschnitt. Insgesamt habe er 45 Minuten mit der Frau telefoniert – im Hintergrund ständig Schreie, so Heidingsfelder. Er habe schließlich das Aufnahmegerät eingeschaltet, um das Ganze zu dokumentieren. Die Schreie kommen aus dem Isolierzimmer, wo Insassinnen fixiert, am Bett festgeschnallt, werden. Unmittelbar daneben scheint sich das Telefon für die auf der Station untergebrachten Patientinnen im „Maßregelvollzug“ zu befinden.
Horst Seehofer weiß Bescheid
Heidingsfelder hat die Aufnahme zwischenzeitlich unter anderem an Ministerpräsident Horst Seehofer und den Bezirkstag von Oberbayern geschickt und um Aufklärung gebeten. Mit Zustimmung von Sema A. hat er sie auch unserer Redaktion zur Verfügung gestellt. Diese behauptet im Telefonat, dass die Zahl der Fixierungen erst seit kurzem zurückgegangen sei. Darüber hinaus werde diese Maßnahme meist völlig unnötig angewendet.
Heute haben Heidingsfelder, Bezirksrätin Beate Jenkner (Linke) und Gustl Mollath Sema A. auch tatsächlich besucht. Über den Inhalt des Gesprächs und ihren Eindruck wollen sie vorerst Stillschweigen wahren und zunächst den Landtag informieren.
Wie geht es also im Isar-Amper-Klinikum in Taufkirchen zu? Dort, wo auch eine Regensburgerin untergebracht ist, über die wir 2008 berichtet haben?
Schleppende Antworten der Klinik
Wir kennen den Namen der im Hintergrund schreienden Frau nicht. Wir wissen lediglich, dass am 7. Dezember eine Fixierung stattgefunden hat. Wir wissen nicht wie lange die Frau fixiert wurde und aus welchem Grund. Wir wissen nicht, wie häufig die Zwangsmaßnahme der Fixierung in Taufkirchen angewendet wird und wie sich die Zahl der Fixierungen in den letzten Jahren entwickelt hat.
Das hätten wir allerdings alles gerne gewusst.
Bereits vor Tagen haben wir das Isar-Amper-Klinikum in Taufkirchen mit der Aufnahme konfrontiert, einige sehr konkreten Fragen gestellt und über zwei Tage Zeit für die Antwort gegeben, die angesichts eines dort vorhandenen und beworbenen Qualitätsmanagements eigentlich kein Problem darstellen sollte. Mehrfach wurde unsere Redaktion vertröstet und bis heute haben wir noch keine abschließenden Auskünfte erhalten.
Nicht zuständig, Schulung, keine Antwort
Als wir Matthias Dose, den ärztlichen Direktor des Isar-Amper-Klinkums, am 9. Dezember zum ersten Mal mit der aktuellen Aufnahme konfrontieren, bezweifelt er zunächst telefonisch, dass die Aufnahme aus der Forensik in Taufkirchen stammen könne. Das stellt sich allerdings recht rasch als falsch heraus.
Dose verspricht, der Sache weiter nachzugehen und unsere Fragen zu beantworten. Einen Tag später bekommen wir von ihm die Nachricht, dass er unsere Anfrage zuständigkeitshalber an Dr. Verena Klein, jetzige Leiterin des Maßregelvollzugs in Taufkirchen, weitergeleitet habe. Die meldet sich wieder einen Tag später mit einer knappen Antwort zurück, teilt uns mit, dass sie sich auf Schulung befinde und verweist uns ansonsten auf die Pressestelle der Isar-Amper-Klinken. Von dort bekommen wir überhaupt keine Antwort.
Erst am Donnerstagabend meldet sich Frau Dr. Klein und beantwortet unsere Anfrage teilweise. Als wir noch einmal nachhaken, werden wir übers Wochenende vertröstet.
Vorerst liegt uns folgende Stellungnahme von Dr. Klein vor:
„Bei einem geringen Anteil unserer Patientinnen (momentan vier von 160) ist im Rahmen von akuten unregelmäßig auftretenden Erregungszuständen, die nicht unter Nutzung der Deeskalationstechniken nach PRODEMA (“Professionelles Deeskalationsmanagement”, Anm. d. Red.) bzw. durch eine reine Isolierungsmaßnahme deeskaliert werden können, aufgrund akuter Eigen- bzw. Fremdgefährdung (selbstverletzendes Handeln wie Kopf gegen die Wand schlagen, Angriffe auf Mitarbeiter oder Mitpatientinnen) eine Fixierung (immer mit Sitzwache) erforderlich.
Die Notwendigkeit der Fortdauer der Fixierung wird mindestens zwei Mal täglich durch den zuständigen Arzt und ein Mal täglich durch den zuständigen Oberarzt überprüft. Im Oktober gab es insgesamt circa fünf Fixierungen (die genaue Zahl müsste ich noch ermitteln), die von zwei Stunden bis höchstens 24 Stunden dauerten.“
„Wegen keines anderen Klinikums in Bayern gibt es so viele Rechtsstreitigkeiten”
Die Frauen-Forensik Taufkirchen geriet in der Vergangenheit schon mehrfach in die Schlagzeilen. Insbesondere seit sich mit dem Fall von Gustl Mollath eine höhere Aufmerksamkeit für die Bedingungen der zwangsweisen psychiatrischen Unterbringung von Straftätern entwickelt hat.
„Wegen keines anderen Klinikums in Bayern gibt es so viele Rechtsstreitigkeiten wie dem Isar-Amper-Klinikum Taufkirchen”, sagt ein Regensburger Rechtsanwalt, der sich schon häufiger mit der Klinikleitung gerichtlich auseinandersetzen musste.
Zuletzt machte Taufkirchen in Zusammenhang mit der Regensburgerin Ilona Haslbauer Schlagzeilen, über deren Fall wir im Juni 2008 berichtet hatten.
Die mittlerweile 57jährige soll ihre Nachbarin bei zwei unterschiedlichen Gelegenheiten mit einem Einkaufswagen gerammt haben. Die Frau erlitt eine Prellung. Ilona Haslbauer, die zu diesem Zeitpunkt bereits vorbestraft war, wurde nach Paragraf 63 zu Maßregelvollzug verurteilt. Das Ziel: Therapie und Resozialisierung. Einen Therapierfolg gibt es indes bis heute nicht. Und wie die Therapie aussieht, ist nicht zu erfahren. Auch weil Haslbauer einer Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht nicht zustimmt.
25 Stunden fixiert und im Urin gelegen
Im Juni dieses Jahres soll Haslbauer, einem Spiegel-Bericht zufolge, über 25 Stunden lang fixiert worden sein – ohne Essen, kaum etwas zu trinken und ohne die Möglichkeit zur Toilette zu gehen. So ihre Schilderung. Sie nässte sich mehrfach ein und lag die gesamte Zeit im eigenen Urin.
Das Klinikum reagierte mit einer Pressemitteilung, in der „das Vorkommnis“ zwar bestätigt, die Vorwürfe aber weitgehend zurückgewiesen wurden. Haslbauer habe weder etwas zu essen, noch zu trinken gewollt. Ebensowenig habe sie gefragt, ob sie zur Toilette gehen könne. Verletzungen durch die Fixierung habe sie sich absichtlich selbst zugefügt. Dass Haslbauer sich bislang geweigert habe, die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, solle jeden Unterstützer skeptisch stimmen, so der ärztliche Direktor Matthias Dose.
Isar-Amper-Kliniken: Wirtschaftlich ein Erfolg
Die Isar-Amper-Kliniken sind wirtschaftlich eine Erfolgsstory für den Bezirk Oberbayern. Seit der Umwandlung von einer kommunalen Klinik in ein halbprivates Unternehmen („gemeinnützige GmbH“) erwirtschaften sie Gewinn. Bezahlt wird das aus Steuergeldern.
Seit Jahren steigt die Zahl der zwangsweisen Unterbringungen im Maßregelvollzug. 2012 waren es 6.700 Menschen, 2.400 davon in Bayern. Die Unterbringung schlägt pro Person mit rund 100.000 Euro pro Jahr zu Buche.
UPDATE: Zwischenzeitlich gibt es eine Stellungnahme der Leiterin des Maßregelvollzugs.