Ihre Arbeitsagentur rät: Traumjob Leiharbeit
Hauptsache eine gute Statistik – das scheint die Maxime bei der Arbeitsagentur Regensburg zu sein. Anstatt einen 21jährigen Facharbeiter ernsthaft bei der Arbeitssuche zu unterstützen erhielt er fast ausschließlich Angebote von Leiharbeitsfirmen. Darunter unseriöse und gerichtsbekannte Unternehmen. Man lehne grundsätzlich mit keiner Firma die Zusammenarbeit ab, heißt es auf Nachfrage.
Am Ende scheint die Sache doch noch gut ausgegangen zu sein. Seit ein paar Wochen hat Peter Kick wieder eine Arbeit. Und dass der 21jährige sich dabei nicht auf die Agentur für Arbeit verlassen hat, war vermutlich die beste Entscheidung, die er in den knapp drei Monaten, während der er arbeitslos war, getroffen hat. Den Namen des jungen Mannes haben wir geändert und erwähnen auch die Unternehme auf seine Bitte hin nicht namentlich. Er hat Angst, dass sich der Bericht ansonsten negativ auf seine berufliche Zukunft auswirken könnte. Doch von Anfang an.
48 Vorschläge, 46 Mal Leiharbeit
Kick ist Industriemechaniker. In einem großen Regensburger Betrieb hat er seine Ausbildung gemacht und im Dezember mit Bestnoten und sehr guten Beurteilungen abgeschlossen. Übernommen wurde er dennoch nicht. Eine Begründung blieb das Unternehmen schuldig. Das sei „schon hart“ gewesen, erzählt er. Ganz abgesehen von der unsicheren Zukunft wird man nach knapp vierjähriger Ausbildung auch ein Stück weit aus dem persönlichen Umfeld herausgerissen. Man kennt die Kollegen, ist mit dem einen oder anderem befreundet. „Das ist dann erst mal weg.“
Doch Kick ist Facharbeiter. In einer Region wie Regensburg mit viel produzierendem Gewerbe sind Industriemechaniker gesucht. Und so bekam er von der Agentur für Arbeit denn auch recht schnell einige Vermittlungsvorschläge auf den Tisch. Zwischen Mitte Dezember und Anfang Februar kamen insgesamt 48 Jobangebote. Zwei bei kleinen Betrieben im Landkreis mit Löhnen weit unter Tarif.
Der Rest, 46, bei Leiharbeitsunternehmen. Das bedeutet vor allem zweierlei: weniger Geld und eine unsichere Beschäftigungssituation. „Ich war echt baff und deprimiert“, sagt Kick.
Arbeitsagentur: „Ganz normal“
Etwa 60 Prozent der Stellen, die bei der Arbeitsagentur Regensburg im Jahr 2012 gemeldet waren, stammen von Leiharbeitsunternehmen, erklärt man dort auf Nachfrage. Der Löwenanteil davon liegt im produzierenden Gewerbe, der Metall- und Elektroindustrie. Genaue Zahlen haben wir bislang nicht erhalten.
Insgesamt mache Leiharbeit in Regensburg knapp sieben Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Das sei weit weniger als man angesichts der medialen Berichterstattung annehmen könne, erklärt die Arbeitsagentur fast ein wenig stolz.
Doch, wenn dem so ist: Weshalb sind dann annähernd 100 Prozent der Vermittlungsangebote für einen 21jährigen Facharbeiter Leiharbeit?
Das sei saisonal bedingt und auch ganz normal, erklärt ein Sprecher der Arbeitsagentur. „Gerade jetzt akquirieren diese Unternehmen den Löwenanteil ihrer Arbeiter für das Frühjahr.“ Und ein Facharbeiter ist leicht vermittelbar. Mit ihm kann ein Leiharbeitsunternehmen gutes Geld verdienen.
Wie viel Geld hingegen Kick verdient und zu welchen Bedingungen bleibt auf Basis der Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur häufig unklar.
Das Einstiegsgehalt eines Facharbeiters mit der Ausbildung von Peter Kick liegt – laut aktuellem Tarif der Metall- und Elektroindustrie – bei 19,18 Euro brutto die Stunde, wie uns IG Metall-Sekretär Oliver Berner bestätigt. Die Arbeitszeiten sind klar geregelt. Ebenso die Zuschläge für Nacht- und Schichtarbeit, Urlaub etc..
Läuft die Beschäftigung über eine Leiharbeitsfirma kann Stundenlohn fast um die Hälfte weniger sein. Der aktuelle Tarif in der Leiharbeitsbranche liegt für einen Facharbeiter bei 10,22 Euro. Handelt es sich um einen Industriebetrieb kommen dazu – je nach Beschäftigungsdauer – noch Zuschläge zwischen 15 (Einstieg) und 50 Prozent (nach neun Monaten). Maximal sind dann immerhin gut 15 Euro Stundenlohn drin.
Die Jobangebote: unterschiedlich, unklar, unseriös
Doch wie gut waren die Angebote, die Kick nun von der Arbeitsagentur offeriert wurden? Auf Basis der Vermittlungsvorschläge ist das oft nur schwer zu sagen.
Mal Zwei-, mal Drei-Schichtbetrieb. Mal Wochenendarbeit. Mal 35-, mal 40-Stunden-Woche. Mal wird ein eigener Pkw gefordert, mal sollte er auswärts „auf Montage“. Viele der Stellen sind befristet, oft nur auf wenige Monate. Nur etwa die Hälfte der Stellenbeschreibungen beziehen sich explizit auf einen Industriemechaniker. Häufig geht es um ähnlich gelagerte Facharbeiterberufe. Manchmal gibt es aber auch gar keine Beschreibung oder es sind Berufsbezeichnungen wie „Montagemitarbeiter“, die schlechtestenfalls dazu führen können, dass Kick sich auf dem Posten eines besseren Hilfsarbeiters wiederfindet. „Da war einiges dabei, was ich nicht wirklich gelernt habe oder Jobs, für die ich einfach überqualifiziert bin“, sagt Kick.
Entsprechend unterschiedliche Angaben gibt es denn auch zum Gehalt: Zwar wird in der Mehrzahl der Tarif der Leiharbeitsbranche genannt. Immer wieder heißt es aber auch: „Gehalt nach Vereinbarung“, „attraktive Entlohnung“ oder es gibt dazu gar keine Angaben.
250 Leiharbeitsfirmen in Regensburg
22 Leiharbeitsfirmen sind es, bei denen sich Kick nach Vorstellungen der Arbeitsagentur bewerben sollte. Das ist nicht wirklich viel. Insgesamt gibt es allein in Regensburg etwa 250 solche Unternehmen – unterschiedlichster Größe und Seriosität. „Da hat ein paar Jahre regelrechte Goldgräberstimmung geherrscht“, so Gewerkschaftssekretär Berner.
Während es bei den größeren Firmen in diesem Bereich in aller Regel eigene Betriebsräte gibt und sie sich auch an die tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen halten, gibt es auch solche, die sowohl bei den Gewerkschaften wie auch bei den Arbeitsgerichten keine Unbekannten sind: Dumpinglöhne, zu hohe Arbeitszeiten, unklare Schichtregelungen – Gewerkschaftssekretär Berner spricht in Zusammenhang mit mehreren Firmen, die sich unter Kicks Vermittlungsvorschlägen finden von Betrugsversuchen. Dagegen könne man sich zwar gerichtlich wehren. „Aber nicht jeder kennt seine Rechte.“
Vermittlungserfolge über Leiharbeit
Anfang Januar wurden Teile eines Diskussionspapier des Bundesvorstands der Arbeitsagentur öffentlich. Darin wird unter anderem kritisiert, dass viele Menschen von den Arbeitsvermittlern regelrecht in Leiharbeit gedrängt würden, um so ihre Vermittlungsquoten zu verbessern. Zehn Agenturen seien darunter, die ihre „Vermittlungserfolge“ zu 60 und 69 Prozent über die Leiharbeit erzielen.
Wie diese Zahlen für Regensburg aussehen, kann oder will man uns bei der hiesigen Arbeitsagentur nicht sagen. „Diese Informationen stammen aus einem Datenpool, der nicht zu Zwecken der Veröffentlichung bestimmt (…) ist“, heißt es auf Nachfrage. Die hiesige Praxis scheint aber auch vornehmlich an einer guten Statistik orientiert zu sein als daran, einem jungen Menschen nach der Ausbildung einen vernünftigen Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen.
„Wir lehnen kein Unternehmen ab“
Eine Vorauswahl der Unternehmen, zu denen man Arbeitssuchende vermittelt, trifft man in Regensburg nicht. „Grundsätzlich gibt es weder Zeitarbeitsfirmen noch andere Unternehmen, wo wir eine Zusammenarbeit ablehnen“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber unserer Redaktion. So etwas sei auch für die Zukunft nicht angedacht. Lediglich auf Messen der Arbeitsagentur verzichte man mittlerweile auf Leiharbeitsfirmen, ergänzt ein Sprecher. „In Regensburg ist das Arbeitslosen-Potential derart gesunken, dass wir den Unternehmen gar kein vernünftiges Angebot machen können.“
Auch Peter Kick vermisste „ein vernünftiges Angebot“ der Arbeitsagentur und zog daraus seine Konsequenzen. „Ich hab mich keinem einzigen dieser Unternehmen vorgestellt. Wenn ich einmal aus meinem Beruf draußen bin, kann es sein, dass ich nie mehr etwas Richtiges finde.“
Erfolgreiche Jobsuche ohne Arbeitsagentur
Über Kontakte und ehemalige Kollegen hat er mittlerweile wieder eine Stelle als Industriemechaniker gefunden. Wieder in einem großen Regensburger Unternehmen. Auch als Leiharbeiter – allerdings bei 35-Stunden-Woche, unbefristet und mit den annähernden Maximalzuschlägen. Er kommt jetzt auf rund 15 Euro die Stunde und fühlt sich in dem Betrieb gut integriert. „Es wird kein Unterschied gemacht zwischen Festangestellten und Leiharbeitern. Mir wurde eine Festanstellung in Aussicht gestellt.“ Das Leiharbeitsunternehmen ist eines der größten in Deutschland. Bei der Arbeitsagentur Regensburg meldet dieses Unternehmen seine Stellen übrigens nicht.
Wir werden uns weiter mit dem Thema beschäftigen.