70 Jahre nicht profitorientiert
Leidenschaftlicher Musiker und politischer Freigeist – am Freitag wird Uli Teichmann 70 Jahre alt. Ein kurzes Gespräch über sieben Jahrzehnte.
Es passt nicht so ganz zusammen. Das verschmitzte Lächeln und der fröhliche Ton auf der einen und das, worüber er gerade spricht, auf der anderen Seite. Uli Teichmann regt sich nämlich furchtbar auf. Eben hat er uns zwei Tassen schwarzen Kaffee auf den massiven Holztisch in seiner Küche gestellt. Irgendwo war noch Platz zwischen dem Laptop und zwei recht individuell gestalteten Aschenbechern, Zeitungen, dem Werbematerial von den Linken, der kleinen Metallkanne mit vertrockneten Teeblättern und der roten Rose in einer kleinen Glasvase in der Mitte, die schon ein wenig den Kopf hängen lässt.
„Am liebsten hätten die mich empfangend und untätig“
Während Teichmann sich in aller Ruhe sein Pfeifchen stopft und aus der Tasse mit der Aufschrift „Held der Arbeit“ trinkt, beginnt er aufs Sozialamt zu schimpfen. Da war er am Vormittag und hat erfahren, dass sie ihm jetzt 20 Euro von seiner Grundsicherung abziehen. Die 400 Euro „Hutgeld“, die er letztes Jahr als Troubadour auf Mittelaltermärkten verdient hat, wollen sie ihm nicht lassen.
Von Regensburg bis Füssen fährt er seit sechs Jahren herum, um zu spielen – mit Einhandflöte, Trommeln und Schellen an den Füßen. Geht’s um was Soziales schon auch mal ganz ohne Gage. „Ich denke nicht profitorientiert genug, hat mein Sachbearbeiter gesagt“, murmelt Teichmann. Das sei doch nur ein Hobby. Als solle er sich das Auto sparen und von den 400 Euro darf er nur etwas mehr als 100 behalten. Da bleibt nichts, um sein kaputtes Saxophon reparieren zu lassen. Aber was schert das das Amt. Ist doch nur ein Hobby. „Denen wäre es wahrscheinlich am Liebsten, wenn ich nur noch zuhause vor dem Fernseher sitze. Empfangend und untätig.“ Teichmann hat sich im Internet schon den entsprechenden Text aus dem Sozialgesetzbuch rausgesucht. „Die liegen falsch. Da leg ich Widerspruch ein.“
Es liegt Uli Teichmann gar nicht – das untätig sein. Am Freitag wird er 70 Jahre alt. Geboren 1943 in München, dann bis 16 im Ruhrpott aufgewachsen – „Den Dialekt sprech ich besser als mein Nichtbairisch“. Weil den Vater das „Bergheimweh“ gepackt habe, sei er dann doch wieder nach Bayern zurückgekehrt. Seit Mitte der 70er ist Teichmann Regensburger. Und zumindest vom Sehen kennen ihn die meisten hier. Den schmächtigen Mann, der mit dem Saxophon beim mancher Demo, der Verlegung von Stolpersteinen oder beim Gassenfest spielt. Der vor vier Jahren als Kandidat der Linken für den Bezirkstag kandidiert hat und der sich bei mancher Veranstaltung zu Wort meldet und einen schon mal in längere Diskussionen verwickelt. Der mal mit dem „Rockkabarett Ruam“ auf der Bühne steht, mal mit seinen beiden „Buam“, wie er sie nennt: den Gebrüdern Teichmann, bundesweit und international bekannten Musiker und DJs.
Irgendwie haben wir noch einen Termin gefunden, um uns ein wenig zu unterhalten – über die letzten 70 Jahre. Zwischen einer Aufstellungsversammlung der Linken – er tritt auch bei der nächsten Wahl an, einem Auftritt bei einer Veranstaltung für die Kinder von Fukushima – die Kirschblütenzweige stehen in einer Vase auf dem Fensterbrett, und dem, was er „Tingeln“ nennt. Tingeln – Musik machen. Das ist seine große Leidenschaft. Neben der Politik. Er ist – wenn auch immer mal mit Bauchschmerzen – von Anfang an bei den Linken dabei. Teichmanns erste Parteimitgliedschaft.
„Aufruhr“ und „Beamtenbeleidigung“
Vorher war er nur beim SDS. Vorsitzender an der Uni München 1967/ 68. Mittendrin in den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und den Muff von tausend Jahren. Mittendrin in den Osterunruhen, bei denen in München der Student Rüdiger Schreck und der Fotograf Klaus Frings getötet wurden. Die Verantwortlichen wurden nie gefasst. „Studenten und Polizisten haben sich gegenseitig mit Steinen beworfen. Aber nicht aus Militanz, sondern weil sie blöd waren“, meint Teichmann. Er selbst wurde zwei Mal verurteilt, wegen „Aufruhr“ und „Beamtenbeleidigung“. Er hatte einen Zivilpolizisten als „Nazischwein“ beschimpft, weil der mit einem Holzknüppel auf Demonstranten losging.
„Ich kann mich einfach über Ungerechtigkeiten aufregen. Dann werde ich kämpferisch und gerate immer mal in komische Kreise und Situationen.“ Dabei sei er bei den Unruhen und Protesten eher der „Abwiegler“ gewesen. Derjenige, der den einen Kommilitonen davon abhielt, dem Botschafter der Schweiz mit einer Fahrradkette ins Gesicht zu schlagen, weil der sich gerade für den Vietnamkrieg ausgesprochen hatte. Den anderen vom Steine werfen. Und wieder einen anderen davon, mit einer geladenen Pistole zur Demonstration zu gehen.
Trotzdem landete auch Teichmann mal mal zwei Tage im Knast, weil ihm Kommilitonen eine Kamera in die Hand drückten, die sie einem Polizisten abgenommen hatten. Ihm ging bei der anschließenden Flucht die Luft aus. „Da hab ich mich einfach ergeben.“ Gleich drei Rechtsanwälte kamen am Ende, um ihn rauszuholen und aus der zu erwarteten Haftstrafe wegen „schweren Raub“ eine Bewährungsstrafe wegen „Aufruhr“ zu machen.
„…irgendwann hat jeder seine eigene K-Gruppe gegründet“
Mit Gudrun Ensslin und Andreas Baader hat Teichmann in seiner WG diskutierte, noch bevor die beiden sich radikalisierten, untertauchten und die RAF gründeten. Irmgard Möller, die später als einzige RAF-Terroristin lebend aus Stammheim herauskam, hat eine Weile in derselben WG gewohnt. „Irgendwann war sie weg und ist dann auf einem Fahndungsplakat aufgetaucht.“ Was die Leute bewegt habe, könne man psychologisch schon erklären.
„Ich hab sie ja alle gekannt. Aber so etwas interessiert doch heute niemanden mehr.“ Er habe damals auf eine breite, pluralistische, linke Bewegung gehofft. „Aber irgendwann hat jeder seine eigene K-Gruppe gegründet, weil ihm der andere nicht gepasst hat.“ Schade, findet Teichmann. „Ich hab mich mit den Maoisten auch gestritten, weil ich es eklig fand, dass der Pianisten die Hände abhacken lässt, aber am Ende haben wir doch gemeinsam gegen den Krieg demonstriert.“ Doch nicht einmal das sei am Ende noch möglich gewesen. „Was Rudi Dutschke gesagt hat, hat mir gefallen. Aber das hat doch niemanden mehr interessiert.“
Im Jazz-Club Kneiting
Mitte der 70er zog Teichmann, gerade Vater geworden, aus München weg. Trotz Einser-Physik-Diplom in der Tasche hatte er sich fürs „Tingeln“ entschieden. Immer wieder mit verschiedenen Bands die Landclubs abklappern und Musik machen. Kein einträgliches Geschäft, aber trotz der materiellen Unsicherheit befriedigender als ein Bürojob in irgendeiner Kommune oder einem Unternehmen. So landete er schließlich in Kneiting und gründete dort den Jazz-Club. Sechs Jahre – bis 1984 – war der Club eine weithin bekannte Auftrittsstätte für internationale Jazz-Größen, Musiker aus der DDR und so ziemlich alle Bands, die es in und um Regensburg damals gab.
Eines der größten Events: Ein mehrtägiger Donaldisten-Kongress, bei dem es zur Spaltung der Donaldisten kam. „Die einen gingen Entenbraten essen und für die anderen galt: ‘Ein wahrer Donaldist niemals eine Ente isst’.“ Viele Linke seien damals Donaldisten geworden, erzählt Teichmann. „Ich hab selbst schon ernsthaft überlegt.“
Den Jazz-Club in Regensburg würde es nicht geben ohne diesen Vorläufer in Kneiting, der an einer ruhebedürftigen Nachbarin scheiterte und einem Kneitinger Bauern, der – aus alter Erbfeindschaft mit Teichmanns Vermieter – seinen Acker nicht als Fluchtweg freigeben wollte.
Teichmann und Söhne: „Musikalisch erst im reiferen Alter zueinander gefunden“
Deshalb – weil er dort der Wirt war und mit so ziemlich allen und allem mitgejammt hat, was Löcher, Tasten und Saiten hat – kennen ihn in Regensburg die alten und mittelalten Musiker. Die jüngeren kennen Teichmann wegen seiner „Buam“. „Wir haben musikalisch erst im reiferen Alter zueinander gefunden“, sagt Teichmann. „Sie waren leider viel zu antiautoritär erzogen und wollten nur Punk spielen. Mir hat das nicht so getaugt.“ Ab und an treffen sich Vater und Söhne mittlerweile aber doch zu gemeinsamen Sessions. Mal in Berlin, mal in Regensburg oder irgendwo, wo’s gerade passt.
Zum Beispiel am Wochenende. Wenn Uli Teichmann groß Geburtstag feiert, kommen auch seine beiden Buam vorbei. Die zweite Aufstellungsversammlung der Linken, wo er auf einen der vorderen Listenplätze gewählt werden soll, lässt er dafür sausen. „Ich bin alt genug. Da darf ich mir das erlauben“, sagt er und lacht. Außerdem ist das Tingeln und Leben einfach wichtiger als irgendwelcher Profit…