„Ene, mene, Staatsgewalt…“
Es gibt etwa 800 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Einzugsbereich des Landgerichts Regensburg. Doch am Freitag um 11 Uhr sind es vielleicht gerade einmal 20, die Hälfte davon von weiter her angereist, die – gewandet in schwarzer Robe – der brütenden Hitze trotzen und gegen die Entscheidung des Gerichts im Fall Gustl Mollath protestieren.
Etwas mehr hätte sich die „Initiative der Bayerischen Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger“, die zur Demonstration aufgerufen hat, wohl doch erwartet. Es gibt ein paar enttäuschte Gesichter. Aber zumindest ist der Medienrummel groß; es sind fast genau so viele Journalisten wie Anwälte da.
Unterstützung vom Trennungsvater…
Und für die Kameras wird dann doch noch ein kleiner Protestzug – die Demo zum Haidplatz will man sich dann doch nicht antun – von etwa 100 Metern durchgeführt, um die Schilder zu schwenken und laute Sprechchöre zu intonieren.
Neben den Juristen ist auch Günther Mühlbauer – bekannter Aktivist des Vereins „Trennungsväter“ – mit von der Partie und zieht mit einem kleinen, dekorierten Wägelchen die Aufmerksamkeit auf sich. Ab und zu benutzt Mühlbauer dazu auch die kleine Kuhglocke, die er dabei hat.
„Genau. Ich bin auch betroffen.“
Als der Münchner Strafverteidiger Hartmut Wächtler in seiner Rede Bestürzung über eine Justiz äußert, „die nicht bereit ist aus ihren Fehlern zu lernen“ und davon spricht, dass der Fall Mollath nur ein Beispiel dafür sei, dass das System der Unterbringung dringend reformiert werden müsse, meldet sich ein – wohl etwas alkoholisierter Mann – zu Wort und ruft: „Genau. Ich bin auch betroffen.“
Der Proteststurm pro Gustl Mollath – wie er sich zumindest im Internet abspielt, er scheint das analoge Leben Regensburgs nicht wirklich erfasst zu haben, auf jeden Fall nicht die Zunft der Strafverteidiger. Dabei wären die Anliegen, die Wächtler in seiner Rede formuliert, etwas, über das die gesamte Juristerei mal ausgiebig diskutieren sollte.
Reform der Unterbringungspraxis gefordert
Der Fall Mollath, „wo ein Richter, der nicht gerade für eine faire Prozessführung bekannt war“, diesen auf Basis „windiger und wackeliger Indizien“ zur Unterbringung verdonnert hat.
Die allgemeine Praxis der Fortschreibung von Gutachten – einer schreibt vom anderen ab, „die von Gerichten fraglos übernommen werden“.
Die Tatsache, dass es trotz sinkender Gewaltkriminalität immer mehr Menschen gibt, die in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden und dort auf unbestimmte Zeit bleiben müssen – „der Mörder neben dem Sachbeschädiger“.
Von der Unfehlbarkeit der Justiz
Und schließlich: Dass es nahezu unmöglich erscheint, ein Wiederaufnahmeverfahren zu erreichen. „Die Justiz ist neben dem Papst die einzige Instanz, die prinzipiell davon ausgeht, unfehlbar zu sein“, wettert Wächtler.
Er und seine Kolleginnen und Kollegen fordern unter anderem eine Reform der Unterbringungspraxis – anstelle starrer Strukturen müsse hier ein flexibles System aus geschlossener und offener Unterbringung treten. Es brauche mehr und besser ausgebildete Sachverständige, „um die Praxis der Fließbandgutachten“ zu beenden. Und schließlich sei auch die Justiz gefragt, „ihre eigene Fehlerkultur weiterzuentwickeln“.
Vorauseilender Gehorsam der Anwälte
Noch bevor Wächtler fertig wird, ruft der vermeintlich ebenfalls ´von diesem System Betroffene: „Genau. Ich werd’s Ihnen gleich erzählen, wie das bei mir war.“ Doch schon nach kurzer Debatte scheinen alle von ihm angesprochenen Juristen zum dem Schluss zu kommen, dass schon irgendwas an den Vorwürfen gegen diesen Mann dran sein könnte – sie beenden rasch und etwas peinlich berührt das Gespräch.
„Zumindest haben wir gezeigt, dass sich nicht alle Strafverteidiger mit dieser Entscheidung und der momentanen Praxis abfinden“, sagt uns einer der Teilnehmer. Warum nicht mehr gekommen sind: „Es gibt genügend Kolleginnen und Kollegen, die sich aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Gerichten wegducken. Schließlich entscheiden ja die heute kritisierten Richter tagtäglich über ihre Fälle.“