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Falken-Demo vor Gericht

Prozess-Show ums Prinzip

Ansammlung oder Versammlung, politisch oder nicht und was genießt höhere Privilegien? Die Verhandlung über einen Bußgeldbescheid vor dem Amtsgericht Regensburg in dieser Sache glich phasenweise selbst einer politischen Kundgebung.
Bei mehreren Jubelfeiern zur Fußball-EM im Einsatz (hier beim Einzug der deutschen Mannschaft ins Viertelfinale): das Transparent der Falken. Foto: Archiv

Bei mehreren Jubelfeiern zur Fußball-EM im Einsatz (hier beim Einzug der deutschen Mannschaft ins Viertelfinale): das Transparent der Falken. Ein Auftritt wurde jetzt gerichtsmassig. Foto: Archiv

„Es werden keine Stühle geholt. Wir sind ja hier nicht beim NSU-Prozess.“ Die Geduld der Richterin wird am Mittwoch durchaus auf die Probe gestellt. Über 20, größtenteils junge Zuschauer drängen am frühen Morgen in ihren Gerichtssaal und es dauert eine Weile, bis alle einen Sitzplatz gefunden haben. Einige von ihnen tragen Blauhemden und rote Halstücher, ebenso der 24jährige Kläger. Und als er sich zur Sache äußern darf, steht Jan Haas auf und richtet sich mit einer vorbereiteten Rede an das Gericht, fast mehr noch aber an die Zuhörerinnen und Zuhörer. Es geht um Nationalismus, weltweite Brennpunkte und Ausbeutung in Ländern wie Brasilien, für die die deutsche Politik die Verantwortung trage. Und darum, dass sich eine Jugendorganisation nicht das Maul verbieten lasse, nur weil sie eine andere Haltung vertrete als die Masse. Große Worte anlässlich eines Bußgeldbescheids in Höhe von 150 Euro, aber, so Haas, es gehe nicht um die 150 Euro, sondern ums Prinzip.

„SA, SA, es artet aus“

Es begab sich am 28. Juni des vergangenen Jahres, dass Deutschland im Halbfinale der Fußballeuropameisterschaft gegen die italienische Mannschaft mit 1:2 unterlag und sich in Regensburg mehrere Fans beider Mannschaften aufmachten, dieses Ereignis auf dem Domplatz zu feiern, einige aber auch, um ein wenig aneinanderzugeraten. 50 Italienern standen – Polizeiangaben zufolge – etwa 200 Deutsche gegenüber. Vereinzelt gab es, das kann auch der Verfasser dieser Zeilen bestätigen, neben „Deutschland“- oder „Italia“-Rufen auch Sprechchöre a la „SS, SS, es eskaliert“, „SA, SA, es artet aus“.

„Deutschen Nationalismus wegbolzen“

Mitten in all diesem Trubel: ein kleines Grüppchen Jugendlicher und junger Erwachsener aus dem Umfeld der „Sozialistischen Jugend Deutschlands/ Die Falken“, die ein Transparent mit der Aufschrift „Deutschen Nationalismus wegbolzen“ entrollten. Das stieß nicht nur auf das Missfallen von Fußballfans, sondern auch der anwesenden Polizeibeamten. Sie werteten das Auftreten der „Falken“ als nicht angemeldete Versammlung und gegen Haas, den die Polizisten als deren Leiter auszumachen glaubten, wurde besagter Bußgeldbescheid erlassen.

Unruhe im Gerichtssaal

Die Aussagen der beiden Polizeibeamten am Mittwoch verzögern sich etwas. Haas’ Rechtsanwältin Anna Busl besteht zunächst darauf, dass diese vor ihrer Vernehmung die Dienstwaffen ablegen sollen. Nach kurzer Unterbrechung erlässt das Gericht den Beschluss, dass dies nicht notwendig sei. Als es Raunen und Gelächter gibt, weil einer der Beamten von einer „nicht zielführenden Diskussion“ mit Haas „über Grund- und Freiheitsrechte“ berichtet, muss die Richterin kurz mit dem Ausschluss der Zuschauer drohen, um Ruhe herzustellen.

„Einige haben das Transparent nicht gut gefunden“

An SS- oder SA-Sprechchöre können sich beide Polizisten nicht erinnern. „So etwas hätte ich mir gemerkt“, erklärt einer der beiden. Um eine Spontanversammlung habe es sich beim Auftritt der Falken keinesfalls gehandelt. Schließlich hätten diese ein Transparent dabei gehabt, das man schon von früher gekannt habe, und dieses auch auffällig gerade gehalten. Weil es mehrere Fußballfans gegeben habe, die dessen Aufschrift „nicht gut gefunden“ hätten, habe man nach einem Versammlungsleiter gesucht, sei schließlich mit Haas ins Gespräch gekommen und habe die Versammlung der Falken dann auf die Westseite des Doms verlegt.

Politische Versammlung trifft auf unpolitische Ansammlung

Es sei völlig klar, dass es sich bei der „Jubelfeier“ um eine unpolitische „Ansammlung“, ein „Event“ gehandelt habe, das eben keiner Anmeldung bei den Ordnungsbehörden bedürfe, während das Falken-Grüppchen eine politische „Versammlung“ abgehalten hätten, die anzeigenpflichtig gewesen wäre. Für Anna Busl ist das eine „Verkehrung von Grundrechten“ und eine Missachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. „Spontankundgebungen müssen möglich sein. Das Anmelden dient dazu, eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Polizei herzustellen und nicht, um solche Kundgebungen zu erschweren.“ Es gehe nicht darum, ob man Fußball gut finde, oder ob man die Aktion der Falken unterstütze oder nicht. „Aber sie war rechtens und muss erlaubt sein.“

„Es geht um Grundrechte“

Mit einem „War’s das?“ beschließt die Richterin Busls Ausführungen und bestätigt nach einminütiger Pause den Bußgeldbescheid. Das eine sei eben eine Jubelfeier gewesen, das andere eine politische, nicht spontane und damit anmeldungspflichtige „Meinungsäußerung“. Punktum. Das Bußgeld bleibe und sei in der Höhe auch angemessen. Haas will das Urteil nicht hinnehmen. Bei einer anschließenden Kundgebung vor dem Gericht sagt er: „Es richtet sich nicht gegen mich, sondern gegen eine Jugendorganisation, deren sozialistische Haltung in diesem Land einfach nicht gern gesehen wird.“ Eine Berufung müsste vom Landgericht zugelassen werden. Haas’ Anwältin hofft darauf. Sie will die Sache durchstreiten, auch mit Blick auf das restriktive bayerische Versammlungsgesetz. Schließlich gehe es um Grundrechte. „Damit wollen sich Amtsrichter eben nicht beschäftigen.“ Und natürlich geht es ums Prinzip.
Stellungnahme

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