Teil 5 – Die Wahlkampfverschwörung
Regensburg ist eine hilflose Stadt. Die Bürger sind ausgeliefert und wehrlos. Wer sie so gnadenlos im Würgegriff hält? Na, die Politiker! Die Regierungs-Riege der Stadt hat eine perfide Verschwörung gegen Bürger und Medienmenschen aufgezogen. Und alle sind drauf reingefallen. Das glaubt zumindest unsere Autorin Bianca Haslbeck. Und sie glaubt es gerne. Denn wäre die Realität eine andere, wäre das sehr viel schlimmer.
Liebes Regensburg,
wir wurden verarscht. Aber gewaltig. Du und ich und alle deine Bewohner und alle meine Kollegen. Wir wurden aufs Übelste reingelegt und wir haben uns reinlegen lassen.
Denn mal ehrlich: So ein Wahlkampf kann doch unmöglich ernst gemeint sein. Glaub ich zumindest. Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Da hört bei mir der gute Wille auf.
Ich kann mir nämlich beim besten Willen nicht vorstellen, dass zwei Parteien (CSU und SPD) unabhängig voneinander solche Ideen auffahren. Dass die Politiker, ihre Berater, ihr PR-Manager, ihre Werbeagenturen unabhängig voneinander solche Einfälle haben.
Mein Vorstellungsvermögen erlaubt es mir nicht zu glauben, dass tatsächlich irgendwelche Polit- und Werbe-Profis dieses futuristische MRT-Video von Christian Schlegl für gut befunden haben. Oder dass jemand tatsächlich meinte, der Wolbergs könne damit punkten, wenn er vor laufender Kamera einen Krapfen mit Aprikosenmarmelade vertilgt.
Ich kann auch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass sich dieselben Polit- und PR-Profis selbst dazu beglückwünscht haben, wie sie Hannelore Goppel den Schlegl in die Wange kneifen ließen oder beschlossen, dem Woli einen Hobel in die Hand zu drücken.
Nein, kann ich mir nicht vorstellen. Wirklich nicht. Und ich habe viele Phantasien und blicke auch gerne mal in die Abgründe menschlicher Seelen. So hobbymäßig, versteht sich. Aber da hört’s auf. Da ist meine Imagination am Ende, meine Empathie erschöpft. So sehr ich mich auch gewunden habe, ich konnte es mir nicht vorstellen, dass das jemand für so gut befand, dass man es für viel Geld auf Plakate drucken lassen sollte. Und dass jemand davon ausging, irgendetwas davon würde irgendjemanden davon überzeugen, einen von beiden zu wählen. Wie gesagt: Vorstellungskraft adé.
Bizarre Bündnisse und Bekenntnisse
Ganz abgesehen von den anderen Possen, die sich da so vor dem Auge des unwilligen Betrachters abspielen: bizarre Bündnisse für Kandidaten; Geständnisse und Bekenntnisse, die (zumindest ihrer Form nach, ungeachtet des Respekts vor – fast – jeder politischen Haltung) hoffentlich nur in Folge massiven Schlafentzugs entstanden sein können; inszenierte Kneipenbesuche; karitative Konzert-Events.
Zugegeben: Die Wahlkämpfe außerhalb Regensburgs verfolge ich nur mit einem halben Auge. Es mag also sein, dass ich ein bisschen was verpasst habe. Ab und zu schau ich mal kurz nach München. Da geht der SPD-Kandidat mal Steckerlfisch-Essen. Gut, Vegetarier-Herzen wird er damit nicht gewinnen, aber immerhin gibt es zu diesem Termin noch keinen Trailer, in dem der zu verspeisende Steckerlfisch eine Hauptrolle zugewiesen bekommt.
Oder der Wahlkampf im Landkreis. Auf meiner täglichen Strecke lachen mich täglich Peter Aumer, Maria Scharfenberg und Tanja Schweiger an. Auf Facebook lese ich nahezu täglich Bekennerschreiben für den CSU-Kandidaten Aumer. Sein Wahlwerbespot ist so langweilig, dass ich das letzte Testominal gar nicht mehr mitbekommen habe, weil ich schon im Halbschlaf weilte.
Aber: Das ist alles noch normal. Die Leute lächeln, schreiben ihre Partei dazu, finden ein paar Fürsprecher und fertig. Die Fremdscham hält sich in Grenzen. Ganz im Gegensatz zum Wahlkampf in Regensburg, wo man sich am liebsten einen fest installierten Facepalm vors Gesicht schrauben möchte. Zumindest für CSU und SPD.
Die Erkenntnis kam auf Rädern
Doch dann gab es diesen erhellenden Moment. Den Moment, in dem mir alles klar wurde. Es war am späten Samstagnachmittag. Ich war an lächelnden Aumers, einer Breitseite Schlegls (fünf schmale Hochkant-Porträtplakate hintereinander an der Frankenstraße!) und ein paar Wolbergsens vorbeigefahren und fühlte wieder einmal einen dezenten Wahlkampf-Overkill. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Das ist alles gar nicht echt. Die haben sich verschworen. Gegen uns. Gegen die Bürger. Gegen die Journalisten. Gegen alle Wahlberechtigten dieser Stadt.
Diese umwälzende Erkenntnis kam auf Rädern zu mir. Als Erstes erblickte ich das Wahlkampf-Gefährt von Michael Staab, dem Wirtschaftswunder der Regensburger SPD (die CSU hat ja bislang nur ein Wirte-Wunder hervorgebracht). Gar wunderlich mutet es an, die rote Rennsemmel auf drei Rädern. Ob die Reifen wohl von Conti sind, wie das Konterfei des Kandidaten, dessen Klebe-Abziehbild einen aus der Windschutzscheibe anlacht? Es stand – ordnungsgemäß mit Parkzettel bestückt – in der Pfluggasse, jenem völlig überlasteten Nadelöhr, das man passieren muss, wenn man eigentlich gar nicht über den Domplatz fahren will, das aber tun muss, um einen der letzten drei freien Parkplätze in Regensburg zu ergattern, weil die Thundorferstraße ja wieder einmal Opfer wegweisender verkehrspolitischer Entscheidungen wurde.
Kampf-Gefährt Nummer zwei stand auf dem mutmaßlich selben Längengrad ein paar Meter weiter nördlich. Unter den Schwibbögen schreit mich eine Plane an einem nicht minder eigenartigen Fahrzeug förmlich an: “DER KANN’S”, untertitelt mit “DIPL.-ING. CHRISTIAN SCHLEGL OBERBÜRGERMEISTER FÜR REGENSBURG”. (Man entschuldige die schlechten Bilder. Angesichts von hinten nahender Autos war nicht mehr als ein schneller Handy-Schnappschuss durch das Seitenfenster möglich.)
Und da dämmerte es nicht nur über der Donau, sondern es dämmerte auch mir: Das ist alles Absicht. Da sind gar keine tollen Werbeagenturen, die ausgefeilte Pläne schmieden, damit eine Partei die andere übertrumpfen möge. Da steckt was anderes dahinter.
Visionen, so zartfließend wie Marmelade
Und dann ging es mir wie Christian Schlegl: Ich hatte Visionen. Wie ein unterirdischer Hochgeschwindigkeits-Metro-Bus auf elektrifizierten Schienen raste der Gedanke durch mein Hirn: Die stecken unter einer Decke. Die Erkenntnis floss wie Aprikosenmarmelade aus dem Krapfen: Da gibt es eine verschworene Herrenrunde, wo Christian und Joachim sich Scherze aushecken. Umhüllt von Zigarrenrauchschwaden lümmeln sie in Ledersesseln, das Whisky-Glas lässig in der Hand, und baldowern Schachzüge aus, mit denen sie uns aufs Glatteis führen.
Nachdem sie schon die Stadtgesellschaft in vorgebliche Unterstützergruppen aufgeteilt, Kindern wahnwitzige Worte in den Mund gelegt und als Krönung des Täuschungsmanövers einen Koalitionsbruch inszeniert haben, lassen sie nun aufdringlich bedruckte Schnauferl durch die Welt gurken.
Allein die strategisch geschickte Platzierung weist darauf hin, dass es sich um einen abgesprochenen Akt handelt: gerade weit genug voneinander entfernt, um nicht verräterisch aufeinanderzuprallen, aber nah genug beieinander, dass man bei einer durchschnittlich trotzigen “Und-ich-finde-doch-noch-eine-Lücke-am-Kornmarkt”-Parkplatz-Such-Runde darauf stoßen kann.
Lachende Herrenrunde
Und es ist mir völlig klar, wie die Spitzen von CSU und SPD in ihrer Zigarren-und-Whisky-Runde darauf bauen, dass ein aufmerksames Auge diesen Zusammenhang bemerkt und sodann seine Beobachtungen niederschreibt. Wie sie sich diebisch ins Fäustchen lachen, weil irgendein Schreiberling entrüstet darauf aufmerksam macht, dass so eine Werbung die Altstadtschutzsatzung perfide subtil unterläuft. Wie sie darauf anstoßen, dass sie verzweifelte Bürger, die vor Fremdscham die Hand nicht mehr vom Gesicht nehmen können, gegen den nächsten Laternenmasten laufen lassen. Wie sie einen tiefen Zug von der Zigarre nehmen, weil ihnen in ihrer konspirativen Runde schon vorher klar war, wie kleine Kinder oder andere schreckhafte Naturen beim Anblick des Stadtratskandidaten-Star-Schnitts im Tucker-Gefährt zusammenzucken. Wie ängstliche und autoritätshörige Personen sich schwören, ihr Kreuzchen bei Schlegl zu machen, weil sie sich von den SCHREIENDEN GROSSBUCHSTABEN auf der Plane eingeschüchtert fühlen.
Ja, so ist das liebes Regensburg. Das wurde mir am Samstag klar. Und soll ich dir was sagen? Ich bin froh, dass es so ist. Ich bin froh, dass mir endlich aufgegangen ist, dass CSU und SPD überhaupt nicht gegeneinander antreten, sondern dass sie sich gegen uns verschworen haben. Warum? Ja, jetzt stell dir mal vor, wir würden von Leuten geleitet, die das alles ernst meinen. So eine Verschwörung kann zerplatzen. Aber wenn die diese abgefahrenen Ideen, die sie da so verbreiten, tatsächlich so meinen würden… Ja, dann, liebes Regensburg, dann dräute uns gar Schröckliches.
Insofern: Ich bin beruhigt. Die Verschwörung ist aufgedeckt. Jetzt können wir wieder weitermachen wie erwachsene Menschen.
Erleichtert grüßt
Deine Bianca Haslbeck, Ritterin vom Orden der Erleuchteten